Zwischen Berg und Tal im Great Smoky National Park, TN - NC habe ich erfahren:
"der Film „Die Professorin - Tatort Ölfeld“ wurde am 13.3.2019 von einer Jury für den 51. Fernsehpreis der Erwachsenenbildung nominiert. (...)
Eine Jury, der Vertreterinnen und Vertreter der zehn preisverleihenden Verbände der Erwachsenenbildung sowie Journalistinnen und Journalisten und einem Medienwissenschaftler angehören, wird am 10. April 2019 die Preise vergeben. Die PreisträgerInnen werden bei der Preisverleihung, die am 25. Juni 2019 um 18.30 Uhr im Urania Kino in Wien stattfindet, bekannt gegeben."
Bitte, Daumen drücken!
Bisher erschienen:
Mittwoch, 20. März 2019
Samstag, 16. März 2019
Ein Ösi in Connecticut (Teil 41): Washington DC
Teil 41: Washington DC – Raise and Fall of an Empire.
Julianes und meine Kurzreise nach
Washington DC war unser vorletzter Ausflug in den USA. Nachdem wir vor allem mit
Plymouth in Massachusetts und Gettysburg in Pennsylvania zwei legendenvolle
Ursprungsstätten der Vereinigten Staaten besucht hatten, bildete die Hauptstadt
zugleich Höhepunkt und vorläufigen Abschluss unseres zweijährigen Aufenthaltes
sowie meiner Reise in die Geschichte und in die Mythen unseres Gastgeberlandes.
Von den hölzernen Hütten der ersten europäischen Einwanderer und Kolonisatoren zu
den marmornen Palästen der US-amerikanischen Republik. Der Zeitpunkt und die
Umstände unseres Aufenthaltes verliehen allen diesen Eindrücken einen
besonderen und eigentümlichen Beigeschmack.
Während Juliane die Vormittage
auf dem ACLA-Jahrestreffen an der Georgetown University verbrachte, schaute ich
CNN auf unserem Hotelzimmer. Das einzige Fernsehprogramm, das nicht gänzlich aus
Werbungen für rezeptfreie Psychopharmaka oder Schmerzmittel, Versicherungen und
Junkfood sowie Wiederholungen angejahrter TV-Serien und Filmen bestand, und von
dem ich keinen spontanen Hirnschmerz erlitt. Seit wann gilt eigentlich das
Filmen von bekennenden Hinterwäldlern bei der Arbeit, auf Schatzsuche oder beim
Fischen als Dokumentation? Whatever! Anders als es die deutschsprachigen Medien
im Internet suggerierten, waren die Wogen um die wiederholten Aussagen der
demokratischen Kongressabgeordneten Ilhan Omar keineswegs geglättet. Ganz im
Gegenteil, die Emotionen gingen und gehen gerade erst hoch. Und wie bei allen
diesen Angelegenheiten sind auch die Hintergründe und Konsequenzen dieses
Skandals wieder einmal unglaublich kompliziert. Weshalb ich mich an dieser
Stelle lieber meiner Stimme enthalte. Auch und vor allem, weil mich die
Attentate von Christchurch über dieses kontroverse und vielschichtige Thema
sprachlos zurücklassen. Ein entsprechender, die gesamte Partei der Abgeordneten
desavouierender Kommentar des amtierenden US-Präsidenten ließ dagegen nicht
lange auf sich warten. Darauf trat Bill Shane, Donald Trumps fünfter
Pressechef, überraschend zurück. Was sollte er auch für eine offizielle
Pressearbeit für das Weiße Haus machen, solange der Präsident frank und frei
über alles und jeden plauderte und twitterte? Das vormittägliche Beobachten des
politischen Durcheinanders, das gegenüber der möglichen Antworten der
Bevölkerung(en) verantwortungslose Benehmen aller involvierten Populisten und
das nachmittägliche Besuchen der prächtigen Regierungsgebäude ließen mich an
die letzten Jahre der Römischen Republik denken. Nicht von ungefähr, sahen sich
die Gründerväter der USA doch in der Tradition dieser antiken Demokratie auf
dem Scheideweg. Sie verfassten die US-Verfassung wohlwissend, um das Wirken von
Volkstribunen wie Clodius und Diktatoren wie Sulla und Caesar schon im Keim mittels
„Checks and Balances“/ Gewaltenteilung ersticken zu können. Wie jemand auch aus
meiner Sicht völlig richtig einwandte, ist der Vergleich mit Donald Trump eine
Beleidigung für Gaius Julius Caesar. Allerdings nicht für Publius Clodius
Pulcher. Wie dem auch sei, im Herzen der US-amerikanischen Hauptstadt an den
Ufern des Potomac River begegnen dem aufmerksamen Wanderer die Symbole der
antiken Republik am Tiber auf Schritt und Tritt: Adler, Fasces und Toga. Allerdings
können nur noch sehr wenige etwas mit ihnen anfangen oder sie in einen
Zusammenhang bringen. Die windschiefen Hütten von Plimoth Plantation im Hinterkopf und die Pracht des hiesigen Capitol Hill vor Augen, konnte ich mich
der Zuschreibung nicht erwehren, hier und jetzt Aufstieg und Fall eines
Imperiums zu bezeugen: The rise and fall of an empire.
Unsere Anreise fand mit einem Tag
Verspätung statt. Die Ursache war ein Zufall, der zugleich Glücks- und
Unglücksfall bedeutete: Der Termin für meine lange ersehnte, vor unserer
Abreise nach Europa letzte und von Rheumatologie und Dermatologie gemeinsam
durchgeführte Untersuchung. Einziger für alle beteiligten Ärzte möglicher
Termin war der geplante Abreisetag nach Washington DC. Die Klinik kam uns mit der
Uhrzeit so gut wie möglich entgegen, das Hotel stornierte spesenfrei eine
Nacht, aber die bereits erworbenen Zugtickets waren verloren, das heißt der
Fahrpreis wurde nicht erstattet. Das geschah uns so nicht zum ersten Mal, dass
ein medizinischer Termin unsere Reisepläne zunichtemachte, und wir Geld
verloren. Also warum reagierten wir nicht endlich, z.B. mit einer
Reiserücktrittsversicherung? Die Antwort ist ebenso einfach wie unerquicklich:
Das entsprechende Zugticket, also mit Reiserücktrittsversicherung, kostete rund
dreihundert Dollars mehr. Coachclass, versteht sich. Ein Reiserücktritt
aufgrund einer vor dem Reiseabschluss bereits existierenden medizinischen Verfassung
war aber sowieso nicht versichert. Mit einer chronischen Krankheit wie meiner
konnte sich jede und jeder den Ticketpreis auch bei einem medizinischen Notfall
in den Kamin schreiben, mit und ohne Reiserücktrittsversicherung. Das war und
ist bei Eisenbahn- und Flugreisen immer dasselbe. Dazu möchte ich polemisch
bemerken, dass mich mein Gesundheitszustand schon nicht auf die Butterseite des
Lebens befördert und in Überfluss und Wohlstand versetzt hat. Anders formuliert,
ein derart gewaltiger Preisunterschied ist schlicht unerschwinglich. Und dann
schützen diffuse Vertragsklauseln die „Versicherung“ auch noch vor der für mich
notwendigen Leistung. Jede und jeder behinderte und/oder chronisch kranke Mensch
kann und muss damit rechnen, im Fall der Fälle seine Reise zwei- oder mehrmals
zu berappen. Klar, wir haben´s ja… Ironie aus! Das klingt zunächst alles
ziemlich unlogisch. Nicht mehr so sehr, wenn ich ins Feld führe, dass zu einem
der bedeutendsten Glaubenssätze der First Church of Income der freie Anspruch
auf das Glück oder die Freiheit ist, für dieselbe Leistung mehr bezahlen zu
können. Mehr noch, ohne jemals um einen Cent Rabatt zu verhandeln mehr
begleichen zu dürfen. Status wird innerhalb dieser puritanischen Form des
Kapitalismus mittels Kapitalvernichtung gewonnen, mit Ausgabenmaximierung. In
einer Art Potlatch, das rituelle Deckenverbrennen der First Nations. Allerdings
auf Kredit. Die mit großer Geste zu Rauch verwandelten „Decken“ hat es außer
als Buchgeld nie gegeben. Spätestens jetzt wird auch dem naivsten,
stockkatholischen Frühkapitalisten klar: Nichts als Schall und Rauch! Da knallt
er dann sein Kontobuch zu und ruft empört: „Vaffanculo!“ Daraus ergeben sich
für US-Amerikaner in Europa zwei schockierende Erkenntnisse: Arme gehen in die
Oper, und für denselben Basispreis erhalten alle Kundinnen und Kunden in Hotels
und auf Reisen dieselben hochwertigen Leistungen. Das heißt, niemand ist
„awesome“ und „special“. Noch nicht einmal dann, wenn sie den
Leistungsanbietern einen Aufpreis aufdrängen wollen. Die Kehrseite dieser
Medaille ist naturgemäß die medizinische Versorgung unter Finanzierungsvorbehalt.
Jedoch der Glaube versetzt Berge, und so wird in den USA aus medizinischer
Unterversorgung und Schmerzmittelmissbrauch ganz schnell die „Freiheit der
Krankenversicherung“, in der jede und jeder nur die Leistung bekommt, für die
sie und er bezahlt haben. In einem Gesundheitssystem, in dem
Krankenversicherungen mit Ärzten und Spitälern verhandeln, und
Arzneimittelhändler wie der zur Haft verurteilte „Pharma bro“ Martin Shkreli das
50fache des Preises eines zugelassenen, lebensrettenden Medikaments von
HIV-Infizierten verlangen können, ist das nicht viel. Und hier schließt sich
der Kreis zu den vorhin erwähnten Fernsehwerbungen für rezeptfreie
Psychopharmaka und Schmerzmittel, wo einem schon beim Anhören der möglichen,
oft tödlichen Nebenwirkungen als empathischen Menschen schwarz vor Augen wird.
Der Abschied von meinem
Rheumatologen und meiner Dermatologin gestaltete sich berührender als ich es erwartet
hatte. Ich habe das Arzt-und-Patienten-Verhältnis bisher immer als rein
professionell erfahren, und ich war wirklich berührt und überrascht wie
persönlich unsere Beziehung in den letzten beiden Jahren geworden war. Die
Eindrücke dieser besonderen Erfahrung warfen einen bedrohlichen Schatten auf
das Näherrücken des baldigen letzten Photopherese-Termins am Yale New Haven
Hospital. Der Abschied von Hatty und den Schwestern und Ärzten auf der Station,
auf der ich so viele Stunden verbracht habe, wird wohl nicht einfach werden.
Und an diesen beiden kurz umrissenen Aspekten zeigt sich für mich einmal mehr
deutlich, dass wenn es gelänge, die Vorteile beider Krankensysteme, des
US-amerikanischen und des europäischen, zu einem zu verbinden, es das beste der
Welt für alle wäre. Ein schöner Traum, der nolens volens daran scheitern wird,
dass zu viele um das Feuer für das Goldene Kalb tanzen.
Mit einem Tag Verspätung also
brachen Juliane und ich nach DC auf. Bei strahlendem Sonnenschein. Und wie
eigentlich jedes Mal war der Bahnsteig der Union Station New Haven und der Amtrak-Zug
nach Roanoke, Virginia, voller Reisender. Anders als es vielleicht manch eine
oder manch einer von der US-amerikanischen Car Culture erwartete, sehr viele
Menschen reisten und pendelten mit dem Zug. Im Ticketpreis ist automatisch auch
eine Platzreservierung enthalten. Das steht so auch auf der Fahrkarte vermerkt.
Wagen- und Platznummer nicht. Den Fehler vieler Europäer, den Schaffner nach
seinem Platz zu fragen, kann man sich getrost ersparen, die Reservierung
besteht ebenfalls eher symbolisch als faktisch. Alle Bahnkunden haben Anrecht
auf einen garantierten Sitzplatz, wo sich der jedoch im Zug befindet, darum
muss sich jede und jeder gefälligst selber kümmern. Böse Zungen behaupteten ja
schon, der versprochene Sitzplatz könne auch das Klo sein. Reserviert ist
jedoch jeweils eine Bank pro Waggon für Menschen mit Behinderung. Was nicht
automatisch bedeutet, dass diese beiden Plätze immer für Berechtigte frei
gelassen, oder ohne Diskussion aufgegeben werden. Dazu aber später mehr, über
die Rückreise. Bei der Anreise gab es keinerlei Probleme. Beim Personalwechsel
in New York ist mir nur aufgefallen, dass die älteren „Conductors“ die
unbeeinträchtigten Fahrgäste darauf hinwiesen, dass sie im Bedarfsfall diese
beiden Sitze freimachen mussten, die jungen Schaffner sich dagegen nicht mehr
um diese Regelung kümmerten.
Sechseinhalb Stunden Zugfahrt
nach Süden später kamen Juliane und ich an der Union Station von Washington DC
an. Von den Niederflurwaggonen und barrierfreien Bahnsteigen in bisher allen
anderen bereisten US-Bundesstaaten verwöhnt, war ich ziemlich überrascht, dass
das Zugpersonal die schmalen Treppen der Garnituren händisch ausklappen
mussten, und wir mehrere Stufen mit unserem Gepäck nach unten auf den Perron zu
klettern hatten. Zusätzlich in die Erinnerungen an meine Kindheit im
Waldviertel versetzt fühlte ich mich von der Durchsage, dass es in Washington
DC für alle Weiterreisenden zu einem längeren Aufenthalt kam, da die Elektrolok
durch eine Diesellok ausgetauscht werden musste. Das habe ich das letzte Mal,
glaube ich, vor zwanzig oder gar fünfundzwanzig Jahren vor der Elektrifizierung
der Franz Josefs-Bahn auf dem Bahnhof Sigmundsherberg im Bezirk Horn in
Niederösterreich gehört (laut Wikipedia 1994 bis nach Göpfritz vollendet,
meinem damals regelmäßigen Fahrziel). Der Aufzug von den Bahnsteigen zur Halle war
auch bloß einen Halbtagswandertag von den Ausstiegen der Züge entfernt. Auf dem
langen Marsch dorthin verhinderte Juliane mehrmals mit unserem dezenten
Rollkoffer, dass mich Leute mit Handgepäck über den Haufen rannten, weil sie
sich unbedingt vor mir in die einzige Aufzugkabine quetschen wollten. Von
solchem Durchsetzungswillen beeindruckt, standen sie verblüfft und leichter
oder schwerer an den Schienbeinen gebläut für mich Spalier. Als sich die
Schiebetüren wieder öffneten, erblickten wir das übliche Durcheinander aus
Warteschlangen und Einkaufszentrum. Der schmale gewundene Pfad in die Große
Halle des Bahnhofs leitete uns an allerlei Shops vorbei, wo wir vom
MAGA-T-Shirt bis zur pastellfarbenen Damenunterwäsche buchstäblich alles erwerben
hätten können. Allerliebst war ein schwarzes T-Shirt, darauf ein brüllender
Kothaufen mit geld-orangenem Scheitel. Ein Erwerb war nicht zu erwirken.
Endlich öffnete sich das niederdrückende, düstere und zugleich grell
beleuchtete Konsumnadelöhr und gab den Blick auf die riesige lichte
Bahnhofshalle frei, die sich über den Suk und die Bahnsteige wölbte. Das
riesige Tonnengewölbe erinnerte mit seinem Kassettenschmuck wohl nicht ganz
zufällig an die Maxentius-Basilika auf dem Forum Romanum. Das Gefühl in die
Augusteische Rom gereist zu sein, verstärkte sich unter dem Eindruck der Großen
Halle. Weiß und mit Säulen und Statuen geschmückt. Eine Architektur, die nichts
anderes als patriotische Gefühle wecken sollte. Und nichts anderes tat sie,
nirgends sonst sind mir bisher Zeilen aus dem Lied „I am from Austria“
eingefallen. Ein befremdliches Gefühl. Unter den Arkaden des prachtvollen
Gebäudes lagerten Obdachlose, schmutzig, in Lumpen und mit ausdruckslosen
Gesichtern. Juliane und ich traten in die frische Luft. Unter blauem
Frühlingshimmel sahen wir fliegende US-Fahnen und die mächtige Kuppel des
Kapitols vor dem Horizont. Wir erlebten unsere Ankunft in der US-Hauptstadt
also genauso wie es von den damaligen Regisseuren bzw. Architekten geplant
worden war.
Der Taxifahrer, der uns vom
Washington ins nahe Georgetown brachte, lebte seit 72 Jahren in DC. Er erzählte
uns auf der Fahrt durch das politische und historische Zentrum der Hauptstadt
von den Veränderungen seit seiner Kindheit. Wo heute Wohnblöcke mit Tiefgaragen
standen, hatte er noch Einfamilienhäuser mit Gärten erlebt. Und er war im
Hochsommer noch barfuß zischen den Felsen im Fluss des Rock Creek Park
herumgetollt. Inzwischen siedelten sich internationale Konzerne, Anwälte und
Finanzinstitute rings um Kapitol und Weißes Haus an. Millionäre, Lobbyisten und
Unternehmer. Auch Jeff Bezos, der Amazon-Chef und Besitzer der Washington Post.
Alles deutete darauf hin, dass sich das wirtschaftliche Leben komplett von der
Ostküste hierher nach Washington verlagerte. Das alte DC verschwand zusehends.
Jobs entstanden, neue Menschen zogen zu, neue Stadtviertel, Geschäfts- und
Wohnbereiche, entstanden. Die neue Zeit zog in den erhaltenen, alten und repräsentativen
Baubestand. An fast jeder Ecke und Kreuzung wurde gebaut und renoviert. Alles
war im Wandel. Die zentrale öffentliche Bücherei, die Carnegie Library, wurde
zu einem Apple Store umgewidmet.
Was Washington DC aber am meisten
von den anderen großen Städten der USA unterscheidet, ist der offene Himmel
über den Alleebäumen. Hier sind Tages- und Jahreszeiten unmittelbar erlebbar. Es
gibt keine Skyscraper, dafür Boulevards und Grünanlagen. Ich bin ehrlich gesagt
ein wenig enttäuscht gewesen, die legendäre Kirschblüte um ein Monat verpasst
zu haben. Anders als in Wien, wo sie eine uninspirierte und groteske Linie über
eine Praterwiese spannen, wurden in Washington die von Japan geschenkten
Kirschbäume in Hainen gepflanzt und bilden ganz im Sinne des Gebers jedes Jahr
die Kulisse zu einem Kirschblütenfest mit Picknick unter rosarotem
Blütenbaldachin, Hanami.
Trotz der sichtbaren
Veränderungen lässt sich bis heute nicht verkennen oder leugnen, dass es sich
bei Washington um eine auf dem Reißbrett geplante Hauptstadt nach europäischem
Vorbild handelte. Nach wie vor ist hier meiner Meinung nach die Ähnlichkeit mit
Europas Metropolen am deutlichsten. An manchen Stellen könnte man sich ebenso
gut in Paris, London oder eben Rom befinden. Zwischen den Staatsmonumenten, den
Denkmälern und Prunkfassaden strömten die Touristengruppen, aber auch
Obdachlose wanderten und lagerten dort. Und dieser Anblick ist für Europäer in
dieser Form bislang immer noch ungewöhnlich. Ich schreibe hier nicht von
einigen Bettlern oder Sandlern, sondern von Zeltlagern und Haufen aus
Habseligkeiten zwischen Grünflächen, unter Brücken, Viadukten und neben
Autobahnschleifen. In einer so sauberen und sichtlich wohlhabenden Stadt wie
Washington ist die immer weiter werdende Schere zwischen Arm und Reich
besonders augenfällig.
Besonders im zwischen Washington
DC und Virginia gelegenen Georgetown. Einer im Kolonialstil erhaltenen
Kleinstadt rund um die älteste römisch-katholische Universität der Vereinigten
Staaten. Diese heute kleine malerische Siedlung bestand bereits erfolgreiche
vierzig Jahre als die US-amerikanische Hauptstadt gegründet wurde. Die
Universität wurde bereits 1789 aus der Taufe gehoben, und ist dabei so
selbstbewusst, dass sie sogar mit Yale (1701) um das Maskottchen rivalisiert,
eine Bulldogge. Ihren individuellen Charakter hat sich auch die (Vor-)Stadt
Georgetown erhalten. Georgetown ähnelt heute sehr den Villenvorstädten der
europäischen Hauptstädte, es ist ja im Grunde auch nichts anderes. Eine
schmucke Fassade reiht sich unter hohem Altbaumbestand an die nächste. Jede in
einem individuellen Stil. Für den Verkehr ergaben sich daraus auch
strukturbedingt dieselben Probleme, enge und schmale Einbahnen mit breiten
Karossen befahren und zugeparkt. Die Gebäude, auch die kleinsten und ältesten,
sind Ziegelbauten. Washington und Georgetown sind nicht aus Holz, sondern aus
Stein und Ziegel errichtet worden. Zum ersten Mal in den USA habe ich hier
Nachtens auch Ratten und keine Waschbären oder Opossums über die Bordsteine
klettern sehen.
Leider präsentierte sich auch der
Universitätscampus als Baustelle. Zahlreiche Bauzäune und Umleitungen
verstellten den Blick auf die historischen Gebäude. Das Nachbargebäude des
Hotels und Konferenzzentrums war die Universitätsklinik. Immerhin das beruhigte
uns schon bei der Ankunft. Auch wenn wir da noch nicht wussten, dass wir bald
darin Zuflucht suchen würden.
Vom Fenster unseres Zimmers
schauten wir direkt auf den Fußballplatz der Georgetown Universität. Wir hörten
den legendären Schlachtruf „Hoya Saxa!“ („What rocks!“) allerdings nicht, es
waren Ferien, Springbreak. Im Auge des europäischen Betrachters ähnelte das
Spielfeld der Georgetown Universität eher dem Feld eines Regionalligisten.
Woran sich einmal mehr zeigte, dass der hier so genannte Soccer zwar mehr und
mehr im Kommen war, aber Livespiele nur eine recht überschaubare Besucherzahl
anzogen. Die Football-Stadien der Collegeligisten sind dafür oft größer und
moderner als so manch eines NFL-Clubs.
Am ersten Nachmittag besuchten
Juliane und ich Dumbarton Oaks. Ein bemerkenswertes Herrenhaus mit
Barockgarten, die Residenz von Robert Woods Bliss (1875–1962) und seiner Gattin
Mildred Barnes Bliss (1879–1969). Ein für mich in den USA völlig unerwarteter
Anblick. Das Anwesen hätte ebenso gut in Frankreich oder Norditalien stehen
können. In seinem herrschaftlichen Inneren beherbergte das Gebäude die Dumbarton
Oaks Research Library and Collection: ein barockes Musikzimmer, flämische
Tapisserien und eine hochqualitative Privatsammlung präkolumbianischer und
byzantinischer Kunst. Die vielfältigen Kunstwerke aus Südamerika waren in einem
Neubau untergebracht, der aus ineinandergreifenden scheinbar gläsernen
Rundsälen bestand, die rings um ein steinernes Wasserbecken mit Fontäne
angeordnet waren. Die gelungene Harmonie aus Architektur und Qualität der
Objekte war beeindruckend.
In einer kleinen Seitengasse im
Herzen des historischen Georgetown liegt auch ein bemerkenswertes kleines
Szenelokal verborgen: Leopold´s Kaffee. Juliane und ich waren dort zweimal zum
Abendessen. Beim ersten Mal erstarrte ich schon beim Hereinkommen vor der
Kuchenvitrine. Da standen sie einträchtig und schmackhaft nebeneinander:
Esterhazy Torte, Sacher Torte und all die anderen Juwelen der Wiener
Patisserie. Und auf der Speisekarte las ich unter anderem „Kaiserschmarren mit
Zwetschgenröster“, „Brathendel“ und „Heurigenplatte“. In der Liste der Desserts
fand ich doch nicht etwa einen „Mohr im Hemd“, und keinen „African American in
linnen shirt“. Die Kaffeekarte war zur Gänze einem Wiener Kaffeehaus entnommen.
Alles da, von der Melange bis zum Großen Braunen. Ein erfahrener Mann hat mir
einmal geraten, um ein Restaurant und seinen Küchenchef zu testen, darf man
kein Steak bestellen. Das könnte jede und jeder braten. Um die Fähigkeiten des
Chefs auf die Probe zu stellen, ordere man einen Kaiserschmarren. Das habe ich
hernach getan. Und ich muss sagen, der französische Küchenchef im Leopold´s
konnte hervorragend kochen. Sein Kaiserschmarren war beinahe perfekt. Nur beim
Zwetschgenröster handelte es sich um Powidl. Um richtigen, keine Plum Butter. Beim
anschließend servierten Meinl-Kaffee in der Originaltasse mit Mohrenkopf (!)
kamen mir bald vor Verzückung die Tränen. Ich habe dieses leichte österreichische
Abendessen aus Heurigenplatte mit Gewürztraminer, Kaiserschmarren und Esterhazy
Torte als Dessert sehr genossen. Und der französische Koch und Patissier hat
übrigens über meinen Steak-Sager herzlich gelacht. Sein Lokal ist jeden Abend
restlos ausgebucht. Es ist schon bemerkenswert, dass zuhause vor allem
Junggebliebene über das angeblich altväterliche Wiener Kaffeehaus die Nase
rümpfen, und hier in Washington DC die Jungen in Designerkleidung dafür
Schlange stehen. Das Leopold´s Kaffee ist hipp und angesagt, während in der Wiener
Innenstadt für die Literaturgeschichte bedeutende Traditionskaffees zu
Supermarktfilialen werden und Starbucks zu dem Ort erklärt wird, wo man lieber
sein möchte. Starbucks ist in den USA auch sehr geschätzt, auch als
Kaffeetränke, aber vor allem als Wärmestube und wegen seiner
Bedürfnisanstalten.
Apropos, neben dem Leopold´s
befand sich ein Tanzlokal. Beide Etablissements teilten sich die Restrooms. Auf
dem Weg dahin, wohin auch der Kaiser zu Fuß ging, sind mir die zahlreichen
Plakate des Leopold Museums in Wien aufgefallen. Daher also der Name.
Aufgefallen ist mir auch noch etwas anderes: In dem Club war scheinbar
Lateinamerika-Abend. Hispanische Klänge lagen in der Luft, die Hüften kreisten.
Ich sah Frauen und Männer aller Herren Länder an der Cocktailbar und auf der
Tanzfläche, aber die einzig wirklich spanischsprechende Person im Gebäude war
einmal mehr die nicht gegrüßte und nicht bedankte Klofrau.
Am nächsten Morgen wurden Juliane
und ich unsanft von einem Feueralarm geweckt. Nur mit Papieren und im Nachthemd
und Pyjama stiegen wir die Feuertreppe im Stiegenhaus nach unten zur Lobby. Wir
erwarteten, dort von Hotelangestellten beruhigt und weder ins Bett geschickt zu
werden. Begleitet wurden wir von einer weiteren Konferenzteilnehmerin, die sich
ihrerseits für einen Mantel, ihre Handtasche und ihren Laptop, aber gegen
Schuhe entschieden hatte. Sie bloßfüßig und wir im Nachtgewand erreichten wir
die Hotellobby, wo uns alle anderen, ähnlich elegant adjustierten Gäste, aber weder
das Hotelpersonal noch die Feuerwehr erwartete. Allerdings die Köche des Hotels
und die Angestellten der benachbarten Starbucks-Filiale. Endlich wandte sich
eine Rezeptionistin an uns, der Alarm quäkte immer noch, wir müssten alle das
Gebäude verlassen. Halbnackt und verwirrt wie wir alle waren, wurden wir auf
die Straße geschickt. Im Winter, bei ebensolchen Temperaturen. Wäre nebenan
nicht das beheizte Krankenhaus gewesen, wir hätten nicht gewusst wohin. Allerdings
war einerseits Wochenende und andererseits Springbreak. Das bedeutete, weit und
breit kein Krankenhauspersonal zu finden. Also weder Decken, noch warme Getränke.
Fünfzig Minuten später erreichte uns die Nachricht, wir könnten ins Hotel
zurück. Die Feuerwehr war immer noch nicht eingetroffen. Die beiden
Police-Officers hatten zwar den Alarm deaktiviert, aber seine Ursache nicht
feststellen können. Sie vermuteten, dass wohl jemand eine alarmgesicherte Tür
geöffnet hatte. Sie vermuteten es! Geklärt war gar nichts. Ich traute meinen
Ohren nicht. Die patente Starbucks-Angestellte kommentierte trocken und im schönsten
Vernacular, dass dies genau Washington DC wäre. Die Feuerwehr traf erst ein,
wenn das brennende Gebäude bereits in sich zusammenfiel.
Wenig später erfuhr ich, dass
ungefähr zur selben Zeit das Donauzentrum in Wien in Flammen gestanden hatte. Die
dort evakuierten Hotelgäste waren innerhalb von zwanzig Minuten in Decken
gehüllt und mit Taxis in andere Hotels gebracht worden. Der Slogan stimmte,
Wien war anders. Jedenfalls als Washington DC. Und wie ein deutscher Freund
bemerkte, er hätte es eher umgekehrt erwartet, dass man nämlich in Wien im
Chaos sitzen bleiben würde.
Natürlich hätte ich auch sehr
gerne das Weiße Haus besucht. Dazu war für ausländische Besucher eine Anmeldung
über die Homepage des eigenen Konsulats in DC notwendig. Auf der Seite der österreichischen
Vertretung erfuhr ich jedoch, dass auch das zwar theoretisch richtig war, aber
faktisch nicht mehr stimmte. Man könnte zwar weiterhin so tun als ob, aber
Tatsache war, dass Präsident Trump keine ausländischen Touristen mehr im Weißen
Haus haben wollte und nur noch US-Amerikaner in die offizielle Residenz des
US-Präsidenten hinein durften. Undank ist halt der Welten Lohn. Ein bis heute
unwiderlegter Teil der Legende rund um das Gebäude besagt, dass der
namensgebende weiße Sandstein schon bei der Errichtung als Geschenk der
damaligen österreichischen Regierung von der kroatischen Insel Brač geliefert
wurde. Dasselbe Gestein, das für den Bau des Diocletian Palastes im heutigen
Split verwendet worden war. Andere Stimmen behaupteten inzwischen, der
ursprüngliche Sandstein wäre schlicht aus Virginia gekommen, und der kroatische
erst beim Wiederaufbau verwendet worden. Aber diese Version hat für mich einen ebenso
MAGA-nationalistischen Beigeschmack wie die Besuchsbeschränkung. Im Gegenzug
hatte ich – und das keineswegs absichtlich – das Weiße Haus zweimal beim
Vorbeifahren übersehen. Im Vergleich zum gegenüberstehenden Washington Monument
ist es winzig. In den Augen eines Botschafters der alten europäischen
Monarchien muss es zum Zeitpunkt seiner Entstehung kaum mehr als ein
Einfamilienhaus gewesen sein. Dass es einmal der Sitz eines Präsidentenamtes
werden würde, dass für sich die „Führung der freien Welt“ und offen die „world
supremacy“ der eigenen Nation beanspruchen sollte, hätte damals wohl niemand
jemals zu träumen gewagt. Letzteres ist heutzutage zwar salonfähig, die „Weltherrschaft“
gehörte aber noch in den Tagen meiner Kindheit exklusiv zum Vokabular
größenwahnsinniger Superschurken und Bond-Bösewichter.
Weltoffener präsentierte sich
natur-und mehrheitsgemäß das Kapitol. „E pluribus unum!“ lautete der Wahlspruch
der hier untergebrachten Volks- und Ländervertreter: „Aus vielem wird eines!“
Der US-amerikanische kapitolinische Hügel war wie der republikanisch-römische
als ein Schrein des Volkes und seiner Regierung gedacht: Volk und Senat, also die
beiden Kammern Repräsentantenhaus und Senat. Das erste Kongressgebäude wurde im
Krieg von 1812 mitsamt der restlichen Hauptstadt von britischen Truppen niedergebrannt.
Die beiden ursprünglichen, voneinander getrennten Tagungsgebäude von Kongress
und Senat sind links und rechts der relativ neuen, im Bürgerkrieg vollendeten
zentralen Kuppel wiederaufgebaut worden. Das ursprüngliche Ensemble ohne
Zentralbau erinnerte mich in seiner Grundidee an die norditalienischen mittelalterlichen
Republiken, z.B. Palazzo dei Consoli und gegenüber der Palazzo Pretorio in
Gubbio, Umbrien. Da diese Sprache aus Architektur und Symbolen heute scheinbar Großteils
auf taube Ohren stieß, setzte man uns zum Beginn unseres Besuches im Kapitol
einmal mehr in ein Großraumkino. Dort sollte uns ein Film patriotisch stimmen und
gleichzeitig erklären, dass hierher, und nicht ins Weiße Haus, die tatsächliche
Volksvertretung gewählt wurde und die Regierung der USA tagte.
Aber schon der Beginn stand unter
keinem guten Stern. Gerade war das Repräsentantenhaus nagelneu und besenrein
von Sklaven und auch ein paar freien Arbeitern fertiggestellt worden,
entschieden die Volksrepräsentanten anstatt ins US-Kapitol einzuziehen, auszuziehen
und das heutige Kanada zu überfallen. Die Briten waren in Europa gerade mit
Napoleon beschäftigt, und die Kolonien in Nordamerika bis auf ein paar wenige professionelle
Truppen und zur Verteidigung bereite Franzosen, Engländer, Deutsche, Native Americans
und entlaufene und befreite afroamerikanische Sklaven ungeschützt. Trotzdem
rückte die britische Arme bald auf Washington vor, marschierte ein und fackelte
es ab. Nicht nur darum, sondern auch weil in der Ausstattung klarerweise
überall auf George Washington und den Unabhängigkeitskrieg 1776 Bezug genommen
wurde, war es irgendwie skurril, einen Briten als Tourguide durch das Kapitol
zu haben. Einen, der es wie er scherzhaft meinte, als „Strafe“ empfand, dabei täglich
eine Uniform in den Farben der britischen Füsiliere tragen zu müssen: rote
Jacke, schwarze Hose und weißes Hemd. Er bedankte sich auch ernstgemeint bei
uns als Gruppe, dass wir ihn nicht wegen seines „Akzents“ anfeindeten. Aufgrund
seines britischen Englischs hatte er wohl schon einiges mit weniger
zivilisierten Zeitgenossen erlebt. Gewisse Leute hatten ihre Ressentiments
scheinbar von Generation zu Generation vererbt und gehegt.
In die Reihe der ungewöhnlichen
Zufälle fügte sich, dass wir in der Krypta des Kapitols vor der State Statue
von Connecticut mit der Führung durch die Schauräume des Kapitols begannen.
Dort fragte unser Guide dann auch, ob jemand aus den ursprünglichen dreizehn
Kolonien in der Gruppe wäre. Natürlich, Juliane und ich waren aus ebenjenem Connecticut
gekommen. Die Staatsstatue von
Connecticut zeigte Roger Sherman (1721-1793). Sherman war der einzige
Gründungsvater der USA, der alle vier Great State Papers of the United States
unterzeichnet hatte: die Continental Association, die Declaration of
Independence, die Articles of Confederation, und die Constitution. Gespieltes
Erstaunen bei unserem Guide und ehrliches in unserer Gruppe löste die Toga aus,
die Sherman trug, und das nette Bündel Stöckchen, das neben ihm lehnte. Ich
glaube nicht, das wirklich niemand wusste, dass Sherman US-Senator gewesen ist und
darum als antiker römischer dargestellt worden war. Oder als Liktor mit Fasces,
als ein Wächter der Republik, bewaffnet mit Beil und Rutenbündel.
Und weil ich gerade von „Konföderation“
geschrieben habe, Roger Sherman gegenüber stand ausgerechnet die State Statue
von Virginia: Robert E. Lee! Da standen sie also alle einträchtig am leeren
Grab von George Washington beisammen, die Konföderierten und die Gründungsväter
der Union. Aus britischer Sicht machte es keinen Unterschied, da waren sie
alles Sezessionisten und Verräter. Das sprach unser Guide vor dem legendären
Riesengemälde von John Trumbull „Declaration of Independence“ auch offen aus,
und die US-amerikanischen Zuhörer hielten kurz den Atem an. Nichtsdestotrotz,
deutete unser unerschrockener Brite an, dass demnächst mit einem großen
Austausch von State Statuen zu rechnen sein wird. Viele Biographien der von
ihren Bundesstaaten in der Vergangenheit Geehrten entsprechen nicht mehr der
allgemeinen Vorstellung dessen, wem Ehre gebührte. Einige Herren wurden schon
ersetzt. Wen allerdings die State Statue von Ohio dargestellt hatte, dass
Thomas Edison (1847-1931) die Verbesserung darstellte, will ich mir gar nicht vorstellen.
Ohne Zweifel ist Edison ein würdiger Repräsentant des Zeitgeists.
Eine Verkörperung ihres
Zeitgeistes ist auch die Rotunde des Kapitols. Je nach Wetterlage drückte der
Raum eine andere Stimmung aus. Bei unserem Besuch zeigte er sich ein wenig
duster und betrübt. Die riesige Kuppel wölbte sich über der leeren Grablege
George Washingtons auf. Der erste Präsident der Vereinigten Staaten wurde auf
eigenen Wunsch und nach dem Willen seiner Familie nicht hier, sondern auf
seinem Anwesen, der Plantage Mount Vernon in Virginia beigesetzt. Er war 1799,
ein Jahr vor der Fertigstellung des Kapitols gestorben. Anwesend ist er trotzdem
bis dato. Und zwar auf dem riesigen Deckengewölbe, das die Apotheose George
Washingtons zeigt. Also die Vergöttlichung des siegreichen Generals und ersten
Präsidenten der Union. Für viele Betrachterinnen und Besucher wirkte dieses
Sujet befremdlich. Für mich als Wiener, der mit der Apotheose Prinz Eugens schon
als Kind vor Augen aufgewachsen war, löste es keine besondere Verwunderung aus.
Für Juliane wiederum ergab sich die logische Verbindung zur römischen Denkweise
und Tradition. Der Präsidenten-Gott trug das Purpur der antiken Triumphanten.
Auch an den Wänden der Rotunde
hingen riesige Gemälde. Idealisierte Szenen aus der amerikanischen Geschichte.
Von den großen „Entdeckungen“ bis zum Unabhängigkeitskrieg. In den Bann gezogen
hat mich das Gemälde „Discovery of the Mississippi by De Soto“ von William H.
Powell, fertiggestellt 1853. Es zeigte Hernando de Soto wie er den Mississippi „entdeckte“.
Meine ganze Aufmerksam auf sich gezogen hat augenblicklich die Fahne, unter der
De Soto in dieser Darstellung unterwegs war. Auf dem Gemälde wie im Leben die
Fahne des Heiligen Römischen Reiches, und wie es für die 1850iger wohl einzig
denkbar war, sah sie für Powell wie die Standarte des Kaisertum Österreichs
aus: Schwarzer Doppeladler auf weißem Grund, umrahmt von Flammenzungen in Schwarz-Rot-Gold
und Weiß. Der Anblick dieser Fahne bewirkte eine seltsame Stimmung in mir. Gerade
an diesem Ort wurde deutlich, was Juliane schon mehrmals bemerkt hatte, nämlich
das Geschichte ein nationales Anliegen bedeutete. Niemand in Österreich würde
heute Hernando de Soto etwas anderes als einen Spanier nennen. Niemand würde
ihn in Verbindung mit einer österreichischen Fahne setzen. Vielleicht würden
überhaupt nur noch die wenigsten diese Standarte als eine österreichische
betrachten. Und in diesem Moment unter all diesen verschiedenen Eindrücken
formulierte sich in mir der Gedanke, oder vielmehr das bislang diffuse Gefühl,
Aufstieg und Fall eines Imperiums zu bezeugen.
Die nächsten Räume betrachtete
ich in der Folge mit verändertem Blick. Den historischen Sitzungssaal ebenso
wie den Übergang zum neuen, wo sich zwischen zwei Säulen die Tür zum Büro von Nancy
Pelosi, Speaker of the United States House of Representatives, befand. Und ich
erinnerte mich an ihr Gesicht während der State of the Union Address, die
Donald Trump am 5. Februar 2019 gleich dort vorne hinter der heute
verschlossenen Doppeltüre gehalten hatte. Am Ende seiner Ansprache hatte er einmal
mehr und unverblümt von den USA als „der größten Nation der Weltgeschichte“
gesprochen. Mich gruselte. Ich stand exakt an der Stelle, an der am 24. August
1814 die britischen Füsiliere die Möbel des Kongresses aufgehäuft hatten, um damit
den Großen Brand von Washington zu entfachen und sich für den amerikanischen
Überfall auf York in Ontario, Kanada zu rächen.
Unsere Führung war zu Ende, und das
US-Kapitol schloss für heute seine Pforten. Es war 16:30. Juliane und ich
durchquerten den unterirdischen Gang zur Library of Congress. Auf diese Weise
konnten wir auch dieses legendäre Gebäude besuchen. Zu Füßen der Freitreppen
und der Prunkfassade befand sich ein Neptunbrunnen. Wie unsereins es aus Europa
gewohnt ist, thronte da der römische Meeresgott, von Nereiden, Meeresrössern
und allerlei Seegetier umringt. Die Wasserbecken und Kaskaden waren
jahreszeitbedingt trocken. Als ich gerade ein Foto von Juliane und den
bronzenen Brunnenfiguren machte, brüllte mir ein vorbeigehender Halbwüchsiger
ins Ohr: „Weird looking people riding on horses!“ (Komisch aussehende Leute,
die auf Pferden reiten!) Okay?! Ich konnte mich nicht erinnern, ihn um seine
Expertise gefragt zu haben. Auf meine spontane und zugegebenermaßen unüberlegte
Antwort“ „Idiot without a clue!“ (Idiot ohne blasser Ahnung!), reagierte er
nicht. Er zog bloß wie schon so oft erlebt und beobachtet die Schultern ein und
lief davon.
Aus gänzlich anderen Gründen ist
wie das US-Kapitol auch das National Museum of the American Indian ein Epitaph,
ein leeres Grabmonument. Ich hatte mich auf eine große Auswahl an Objekten der
First Nations gefreut. Ich musste jedoch feststellen, dass sich die größten Sammlungen
zu den Native Americans in Europa befanden, z.B. in Radebeul bei Dresden. In
den USA war offenbar kaum etwas erhalten geblieben. Unser Eindruck, den wir
bereits in der New Yorker Dependance des Museums gewonnen hatten, wurde hier in
Washington DC bestätigt. Die Südamerika-Sammlung im Dumbarton Oaks Museum war
leider umfangreicher und hochwertiger als die hier gezeigte Sonderschau. Juliane
und ich hatten uns gegen das schmale Zeitfenster im vielbesuchten National
Museum of African American History and Culture und für den Besuch dieses Hauses
entschieden. Wir waren trotzem nicht enttäuscht, wir wurden mit einem Konzert
der Lieder der letzten Königin von Hawaii Liliʻuokalani belohnt. Wir konnten in
den letzten beiden Jahren leider nicht nach Hawaii kommen, also kam Hawaii
jetzt zu uns. Jetzt könnte man natürlich berechtigter Weise einwenden, dass Liliʻuokalani
einer polynesischen Dynastie und keiner First Nation entstammte. Und Hawaii
nicht in der Karibik, also gar nicht in Westindien lag. Aber auch hier galt es
einmal mehr zu bedenken, dass Geschichte hier rein national begriffen wird. Die
annektierten Hawaiianer waren US-amerikanische Ureinwohner und damit basta. Und
als der Staatsputsch unter Führung US-amerikanischer Bürger und die Annexion
Hawaiis beim Namen genannt wurde, standen weiße Menschen aus dem Publikum auf
und gingen. Umgekehrt war mir dieses Glitzern in den Augen einiger Zeitgenossen
aufgefallen, als sie Juliane und mich das Museum betreten sahen. Ich frage mich
bei solchen Gelegenheiten, ob die aktuell praktizierte so genannte
Identitätspolitik und der unselige ständige Rassendiskurs nicht mehr zum „divide
et impera“ (Teile und herrsche!) als zum angestrebten „e pluribus unum“ (Aus
vielem eines!) beiträgt?
Und obwohl unser Ausflug nach
Washington DC für mich zu den eindrücklichsten und schönsten unseres
Aufenthaltes zählt, gab es einiges, das mich zum Nachdenken brachte.
Auf unserer Rückreise nach New
Haven war der Zug nach Boston wie gewohnt voll. Ich kletterte die schmalen
Stufen nach oben in die Garnitur, und soweit mein Auge reichte erblickte es in
jeder Zweierbank schon jeweils einen Kopf. Juliane wuchtete das Gepäck und
ergriff die Initiative. Sie sprach die junge Frau an, die es sich mit ihrem
Laptop auf der für Behinderte reservierten Bank gemütlich gemacht hatte. Juliane
bat sie höflich, uns hier niedersetzen zu lassen. Mich als Behinderten, und sie
als meine Begleitperson. Also genau nach Vorschrift und zufolge der gut
lesbaren Beschriftung an den Sitzen. Es ging aber nicht ohne Diskussion. Die
Frau konnte sich nicht vorstellen, dass es keine zwei anderen freien Plätze im
Zug mehr gab. Sie behauptete einfach, die Beschilderung würde nur in diesem
Fall gelten. Juliane zeigte auf mich und antwortete, dass ich nicht in der Lage
bin, durch die Waggone zu gehen, um diese „anderen Plätze“ zu suchen. Die junge
Frau sah sich nach Verbündeten um, fand aber keine. Dann erst räumte sie die
Behindertenbank und setzte sich auf den freien Platz neben dem jungen Mann auf
der anderen Seite des Mittelganges. Der stieg dann eine Station weiter am
Flughafen aus, und sie hatte wieder eine ganze Bank für sich alleine. Ich habe
meinen Mund gehalten, den Ärger hinuntergeschluckt. Ich hätte ihr gerne gesagt,
dass die ganze Welt für sie offen stand, mir jedoch nicht mehr. Und für die
einzigen zwei Sitzplätze pro Waggon, die ausdrücklich für Menschen wie mich
reserviert waren, musste ich mit ihr diskutieren? Wirklich?
Warum habe ich dann aber nichts
gesagt? Ich gestehe, weil ich Angst hatte. Wovor? Vor der Möglichkeit von
irgendjemandem gefilmt und mit einer faszinierenden Version der Ereignisse in
den Sozialen Medien veröffentlicht zu werden. Wem würden dann wohl die
Sympathien zufliegen, wem geglaubt werden und für wen Partei ergriffen werden? Der
hübschen alleine reisenden Frau mit den rehbraunen Haaren in fliederfarbenen
Leggings, oder dem vollbärtigen Mann mit der Boston Celtics-Kappe und dem deutschen Akzent?
Mehrere liebe Menschen
bestätigten mir in New Haven, dass ich mich auf die Mehrheit der Amerikaner immer
noch verlassen könnte, die gerade in solchen Situationen noch immer an
Gemeinschaftsregeln glaubten. Aber ich hatte wirklich Furcht, dieses Vertrauen
auf die Probe zu stellen. Und ich räume ein, dass es gut möglich sein kann, dass
mich diese Reise besonders und unser USA-Aufenthalt allgemein schon ziemlich
paranoid gemacht haben.
Zu meiner Beruhigung bleibt die
Erwartung, dass sich Julianes und mein Leben nach unserer Rückkehr nach Europa
in Zukunft weniger ereignisreich gestalten wird.
Fortsetzung folgt.
Freitag, 15. März 2019
Samstag, 9. März 2019
Geadanken für den Tag, Ö1 (11.3.-16.3.2019, 6:56 Uhr)
https://oe1.orf.at/programm/20190311/545947 |
David Weiss über Purim
Purim oder: "Bis man nicht mehr weiß". David Weiss, Schriftsteller, über - auch persönliche - Erinnerungen zum jüdischen Glücksfest.Mo, den 11.3., bis Sa, den 16.3., jeweils um 6:56 Uhr auf Ö1.
Gestaltung: Alexandra Mantler
https://oe1.orf.at/gedankenfuerdentag
Viel Spaß und Gute Unterhaltung!
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