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Donnerstag, 20. Juli 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 9)



Teil 9: Bots und Geister auf dem Telefon


Vienna calling...
Es soll Länder geben, in denen Präsidenten die Möglichkeit bekommen, ihren Mitbürgern ohne Einladung auf dem privaten Handy zu ihrer eigenen Pracht und Herrlichkeit zu gratulieren. Ich rufe also meine Oma an, und bevor ich sie höre, brüllt mir mein vom Volk gewählter Potentat ins Ohr. Das anhaltende Gezwitscher aus dem Weißen Haus ist dagegen zu einem unterschwelligen und gewohnten Begleiter geworden. Ja wirklich, zu einem Weggefährten, der manchmal für Erstaunen, Verblüffung und neu interpretiert für Unterhaltung sorgt, z.B. in der Art und mit der Stimme Gollums vorgelesen. Sad! Das Twittern des Präsidenten erfüllt den Wunsch, unmittelbar mit den Ideen und Gedanken der Herrscherin oder des Herrschers verbunden zu sein. Einem Verlangen, das laut Wissenschaftlern wie John Plunkett seit der medialen Revolution im viktorianischen Zeitalter existiert. Dank der massenproduzierten Boulevardpresse wuchs das Begehren nach einem Platz erste Reihe fußfrei im Kopf der Regierenden. Man erhoffte sich ein Spektakel an Volksnähe und Genialität. Jedermann sollte an ihren bzw. seinen Denkprozessen teilhaben können. Be careful what you wish! Jetzt haben wir den Salat tagtäglich auf dem Teller. Und was uns da vorgesetzt wird, das müssen wir erst einmal verdauen. Es ist nicht die damals erhoffte direkte Demokratie. Manch einem schmeckt es ja. Es erscheinen Bücher über Regierungschefs und Artikel über „Erlöserfiguren“, die mich an Herrscherhuldigung erinnern. Die scheinbar jugendliche Hülle des Absolutismus macht die alten Republiken schlottern. Wieder mal. Und es werden Gesetze vorgeschlagen und erlassen, gegen die der Gläserne Mensch im Museum sich seine Würde erhält, mit seinen offen zur Schau gestellten Blutkreislauf und Verdauungstrakt. Weil seine Gedanken für unsere Blicke unsichtbar und frei bleiben. Und wenn ich über die Würde des Einzelnen nachzudenken beginne, dann tauchen seltsame Gedanken aus der Suppe meiner Gedanken auf. Ständig schwimmen sie wie Fettaugen schimmernd darauf herum, so dass ich gar nicht wegschauen kann: Wer erlaubt Passanten, kranke und behinderte Menschen im Vorbeigehen zu kommentieren? Ich habe die Kommentarfunktion an mir nicht aktiviert. Wer erlaubt mir, schöne Frauen anzugaffen? Passiert mir leider immer wieder, obwohl ich darauf achte. Und weiter, wenn wir Dingen künstliche Intelligenz geben, verleihen wir ihnen auch künstliche Würde? Und falls ja, müssen wir diese dann nicht schützen? In ihrem und unserem eigenen Interesse? Erschaffen wir Bewusstsein, nur um es straffrei ausbeuten und missbrauchen zu dürfen?
Klingt alles rein theoretisch und verkopft. Aber ich habe in den USA fast täglich mit Robotern zu tun. Inzwischen begehen die Sicherheitsroboter in einigen Shoppingmalls sogar Selbstmord, sie ertränken sich in Brunnen. Auf dem Flughafen Newark hat mir eine künstliche Stewardess zugewinkt und mich begrüßt. Als ich am Automaten mein Gepäck aufgegeben habe, habe ich mich gefragt, ob ich demnächst auch das Flugzeug selbst fliegen werde. Die selbstfahrende Einschienenbahn zwischen den Terminals hat mir darauf gleich eine Antwort gegeben. Eine, die von der aktuellen Unfallstatistik auch noch bestätigt wird. Die modernen Autos sind nicht das Problem, es sind die Fahrer bzw. ihre Selbsteinschätzung. Die Mitarbeiter eines Call Centers werden dagegen ja wohl selten vom Cäsarenwahn befallen, trotzdem erledigen ihren Job bereits mehrheitlich Maschinen. Die Klischees vom freundlichen Inder oder der missgestimmten Afroamerikanerin am anderen Ende der Leitung ist bald Geschichte. Manchmal mehrmals am Tag klingelt das Handy. Die Zahl der Menschen, die meine US-amerikanische Telefonnummer haben, ist überschaubar. Interessant sind Anrufe für mich darum eigentlich nur, wenn sie aus Europa, Connecticut oder New Haven direkt kommen. Wichtige Stellen senden ihre Kontaktdaten mit, damit ich sehe, sobald z.B. das Krankenhaus, die Apotheke oder eine Behörde anrufen.
Als ich auf diese Details noch nicht geachtet hatte, also auf Area Code und Absender, habe ich jeden Anruf höflich entgegen genommen. Mehr oder weniger. Ich verspüre bis dato eine gewisse Unsicherheit, wenn ich auf Englisch telefonieren muss. Manche Leute nuscheln so garstig, und ich komme mir blöd vor, wenn ich sie nicht gleich verstehe. Wie dem auch sei, ich hob immer brav ab. Und sofort hörte ich schnell sprechende Stimmen, die mir interessante Dinge mitgeteilt haben. Über meine Kreditkartenabrechnung, meinen letzten Aufenthalt im Ferienressort einer bestimmten Hotelgruppe, oder über meinen irrsinnigen Gewinn bei einem supertollen Glückspiel. Alle diese freundlichen Anrufer hatten eines gemeinsam, sie antworteten nicht auf meine Begrüßung, nicht auf Zwischenfragen, auch gegen Unterbrechungen waren sie immun. Und da fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, die Mädels und Typen waren und sind nicht echt! Das waren Roboter! Ich hatte mich zum Affen gemacht.
Wer jetzt denkt, dass es hilfreich wäre, aufzulegen, sobald man eine Automatenstimme erkennt, der irrt sich verhängnisvoll. Den Fehler habe ich schon gemacht. Krankenhausbesuche, Arzttermine und Apothekenlieferungen müssen telefonisch bestätigt werden. Jedes einzelne Mal. Und die Anrufe für die Confirmations machen keine Mitarbeiter oder Sprechstundenhilfen, sondern Maschinen. Ich, der Mensch, interagiere mittels Tastatur. Vertippe ich mich, redet das Ding am anderen Ende der Leitung im besten Fall Spanisch mit mir, im schlimmsten buche ich eine Vasektomie. Okay, so schlimm ist es nicht. Auflegen hilft, die rufen nochmals an. Besonders tricky sind die Automaten, die einen an echte Ärztinnen oder Mitarbeiter weiter verbinden. Da empfiehlt es sich dringend, flapsige Kommentare und Verwünschungen im Zaum zu halten. Dem Roboter war es bisher (noch) egal, wenn ich ihn an meinem Unmut teilhaben ließ, die Damen und Herren sind dagegen beleidigt. Niemand möchte, dass kein Arzttermin stattfindet, oder die sündteuren und notwendigen Tabletten plötzlich doch nicht bewilligt werden. Und Medikamente sind alle teuer. Vor allem die Salben und Tabletten, die helfen.
Ich habe also dreierlei gelernt: Roboter ist nicht gleich Roboter. Die einen erledigen Marketingschmarren, die anderen tätigen wichtige Arbeit. Manchmal verbindet so ein Ding an eine Person weiter, aus dem technischen Hilfsmittel wird (oft ohne Vorwarnung) ein Mitmensch. Und drittens, Roboter haben nie schlechte Laune, die klingen immer gleich professionell. Leider sind sie darum auch gegen Nachfragen und Zwischentöne völlig unempfänglich.
Besonders auf die Nerven gegangen sind mir jene Roboter, die mich verwechselt haben, die mich mit einem fremden Namen angeredet haben. Für diese Dinger war ich ein gewisser Deandre. Deandre, mit deiner Kreditkartenabrechnung ist alles Ordnung. Na immerhin! Deandre, wie hat dir dein letzter Urlaub in unserem Ressort gefallen? Heast, ich bin´s nicht, und ich war nicht da! Deandre, wir haben ein günstiges Rabattangebot für dich! O Mann! Da wurde mir klar, dass Telefonnummern in den USA einfach weitervergeben wurden. Der Vorbesitzer meines Handys war ein gewisser Deandre. Und der war sehr umtriebig. Nach und nach trudelten SMS an ihn ein. Die gingen über Freunde, Einkaufen und Barbecue. Brav habe ich mitgeteilt, dass dies jetzt die falsche Nummer war, um mit Deandre zu kommunizieren. Aus Erfahrung vorsichtig geworden (siehe oben), habe ich zu selektieren begonnen, bei welchen Anrufen ich überhaupt noch abhob. Auf jeden Fall tat und tue ich es bei medizinischen Einrichtungen. So habe ich erfahren, dass Deandre seinen Inhalator bei seinem letzten Arztbesuch vergessen hat. Mist, aber ich konnte weder Deandre noch der Ordination helfen. Ein paar Tage später hat mich das Gesundheitsamt von Connecticut kontaktiert, wo Deandre abgeblieben ist? Warum er nicht zu vereinbarten Terminen erschienen ist? Und noch etwas später, meldete sich auch seine Bank. Ich wurde langsam richtig sauer auf Deandre. Der Kerl hatte seine Handynummer ausgetauscht und war untergetaucht. Und ich bekam jetzt die Nachrichten und Anrufe all derer, denen er in Zukunft lieber aus dem Weg gehen wollte. Vielen Dank! Zum Vatertag gratulierte mir dann jemand mit Verspätung. Da wurde ich stutzig. Den Inhalator beim Arzt vergessen, Termine bei der Krankenversorgung nicht eingehalten, bei der Bank nicht aufgetaucht, den Kindern die neue Nummer nicht gegeben?! Da durchfuhr mich die Erkenntnis siedend heiß: Deandre war tot! Und eine ganze Menge Leute, auch solche die ihm nahegestanden waren, hatten es erst durch mich erfahren. Und im nächsten Augenblick war ich froh, in meinen Antworten immer höflich geblieben zu sein. Ich war froh, meinen Ärger nicht weiter gegeben zu haben. Das war und ist der feine Unterschied, der uns (noch) zu Menschen macht.

Fortsetzung folgt…

And all the world is green...