Teil 9: Bots und Geister auf dem Telefon
Vienna calling... |
Es soll Länder geben, in denen
Präsidenten die Möglichkeit bekommen, ihren Mitbürgern ohne Einladung auf dem privaten
Handy zu ihrer eigenen Pracht und Herrlichkeit zu gratulieren. Ich rufe also meine
Oma an, und bevor ich sie höre, brüllt mir mein vom Volk gewählter Potentat ins
Ohr. Das anhaltende Gezwitscher aus dem Weißen Haus ist dagegen zu einem
unterschwelligen und gewohnten Begleiter geworden. Ja wirklich, zu einem
Weggefährten, der manchmal für Erstaunen, Verblüffung und neu interpretiert für
Unterhaltung sorgt, z.B. in der Art und mit der Stimme Gollums vorgelesen. Sad! Das Twittern des Präsidenten erfüllt
den Wunsch, unmittelbar mit den Ideen und Gedanken der Herrscherin oder des
Herrschers verbunden zu sein. Einem Verlangen, das laut Wissenschaftlern wie John
Plunkett seit der medialen Revolution im viktorianischen Zeitalter existiert.
Dank der massenproduzierten Boulevardpresse wuchs das Begehren nach einem Platz
erste Reihe fußfrei im Kopf der Regierenden. Man erhoffte sich ein Spektakel an
Volksnähe und Genialität. Jedermann sollte an ihren bzw. seinen Denkprozessen
teilhaben können. Be careful what you
wish! Jetzt haben wir den Salat tagtäglich auf dem Teller. Und was uns da
vorgesetzt wird, das müssen wir erst einmal verdauen. Es ist nicht die damals
erhoffte direkte Demokratie. Manch einem schmeckt es ja. Es erscheinen Bücher
über Regierungschefs und Artikel über „Erlöserfiguren“, die mich an
Herrscherhuldigung erinnern. Die scheinbar jugendliche Hülle des Absolutismus
macht die alten Republiken schlottern. Wieder mal. Und es werden Gesetze
vorgeschlagen und erlassen, gegen die der Gläserne Mensch im Museum sich seine
Würde erhält, mit seinen offen zur Schau gestellten Blutkreislauf und
Verdauungstrakt. Weil seine Gedanken für unsere Blicke unsichtbar und frei
bleiben. Und wenn ich über die Würde des Einzelnen nachzudenken beginne, dann
tauchen seltsame Gedanken aus der Suppe meiner Gedanken auf. Ständig schwimmen
sie wie Fettaugen schimmernd darauf herum, so dass ich gar nicht wegschauen
kann: Wer erlaubt Passanten, kranke und behinderte Menschen im Vorbeigehen zu
kommentieren? Ich habe die Kommentarfunktion an mir nicht aktiviert. Wer
erlaubt mir, schöne Frauen anzugaffen? Passiert mir leider immer wieder, obwohl
ich darauf achte. Und weiter, wenn wir Dingen künstliche Intelligenz geben,
verleihen wir ihnen auch künstliche Würde? Und falls ja, müssen wir diese dann
nicht schützen? In ihrem und unserem eigenen Interesse? Erschaffen wir Bewusstsein,
nur um es straffrei ausbeuten und missbrauchen zu dürfen?
Klingt alles rein theoretisch und
verkopft. Aber ich habe in den USA fast täglich mit Robotern zu tun. Inzwischen
begehen die Sicherheitsroboter in einigen Shoppingmalls sogar Selbstmord, sie
ertränken sich in Brunnen. Auf dem Flughafen Newark hat mir eine künstliche
Stewardess zugewinkt und mich begrüßt. Als ich am Automaten mein Gepäck
aufgegeben habe, habe ich mich gefragt, ob ich demnächst auch das Flugzeug
selbst fliegen werde. Die selbstfahrende Einschienenbahn zwischen den Terminals
hat mir darauf gleich eine Antwort gegeben. Eine, die von der aktuellen
Unfallstatistik auch noch bestätigt wird. Die modernen Autos sind nicht das
Problem, es sind die Fahrer bzw. ihre Selbsteinschätzung. Die Mitarbeiter eines
Call Centers werden dagegen ja wohl selten vom Cäsarenwahn befallen, trotzdem
erledigen ihren Job bereits mehrheitlich Maschinen. Die Klischees vom
freundlichen Inder oder der missgestimmten Afroamerikanerin am anderen Ende der
Leitung ist bald Geschichte. Manchmal mehrmals am Tag klingelt das Handy. Die
Zahl der Menschen, die meine US-amerikanische Telefonnummer haben, ist
überschaubar. Interessant sind Anrufe für mich darum eigentlich nur, wenn sie
aus Europa, Connecticut oder New Haven direkt kommen. Wichtige Stellen senden
ihre Kontaktdaten mit, damit ich sehe, sobald z.B. das Krankenhaus, die
Apotheke oder eine Behörde anrufen.
Als ich auf diese Details noch
nicht geachtet hatte, also auf Area Code und Absender, habe ich jeden Anruf
höflich entgegen genommen. Mehr oder weniger. Ich verspüre bis dato eine
gewisse Unsicherheit, wenn ich auf Englisch telefonieren muss. Manche Leute
nuscheln so garstig, und ich komme mir blöd vor, wenn ich sie nicht gleich
verstehe. Wie dem auch sei, ich hob immer brav ab. Und sofort hörte ich schnell
sprechende Stimmen, die mir interessante Dinge mitgeteilt haben. Über meine
Kreditkartenabrechnung, meinen letzten Aufenthalt im Ferienressort einer
bestimmten Hotelgruppe, oder über meinen irrsinnigen Gewinn bei einem
supertollen Glückspiel. Alle diese freundlichen Anrufer hatten eines gemeinsam,
sie antworteten nicht auf meine Begrüßung, nicht auf Zwischenfragen, auch gegen
Unterbrechungen waren sie immun. Und da fiel es mir wie Schuppen aus den
Haaren, die Mädels und Typen waren und sind nicht echt! Das waren Roboter! Ich
hatte mich zum Affen gemacht.
Wer jetzt denkt, dass es
hilfreich wäre, aufzulegen, sobald man eine Automatenstimme erkennt, der irrt
sich verhängnisvoll. Den Fehler habe ich schon gemacht. Krankenhausbesuche,
Arzttermine und Apothekenlieferungen müssen telefonisch bestätigt werden. Jedes
einzelne Mal. Und die Anrufe für die Confirmations
machen keine Mitarbeiter oder Sprechstundenhilfen, sondern Maschinen. Ich, der
Mensch, interagiere mittels Tastatur. Vertippe ich mich, redet das Ding am anderen
Ende der Leitung im besten Fall Spanisch mit mir, im schlimmsten buche ich eine
Vasektomie. Okay, so schlimm ist es nicht. Auflegen hilft, die rufen nochmals
an. Besonders tricky sind die
Automaten, die einen an echte Ärztinnen oder Mitarbeiter weiter verbinden. Da
empfiehlt es sich dringend, flapsige Kommentare und Verwünschungen im Zaum zu
halten. Dem Roboter war es bisher (noch) egal, wenn ich ihn an meinem Unmut
teilhaben ließ, die Damen und Herren sind dagegen beleidigt. Niemand möchte,
dass kein Arzttermin stattfindet, oder die sündteuren und notwendigen Tabletten
plötzlich doch nicht bewilligt werden. Und Medikamente sind alle teuer. Vor
allem die Salben und Tabletten, die helfen.
Ich habe also dreierlei gelernt:
Roboter ist nicht gleich Roboter. Die einen erledigen Marketingschmarren, die
anderen tätigen wichtige Arbeit. Manchmal verbindet so ein Ding an eine Person weiter,
aus dem technischen Hilfsmittel wird (oft ohne Vorwarnung) ein Mitmensch. Und
drittens, Roboter haben nie schlechte Laune, die klingen immer gleich
professionell. Leider sind sie darum auch gegen Nachfragen und Zwischentöne
völlig unempfänglich.
Besonders auf die Nerven gegangen
sind mir jene Roboter, die mich verwechselt haben, die mich mit einem fremden
Namen angeredet haben. Für diese Dinger war ich ein gewisser Deandre. Deandre, mit deiner Kreditkartenabrechnung
ist alles Ordnung. Na immerhin! Deandre,
wie hat dir dein letzter Urlaub in unserem Ressort gefallen? Heast, ich
bin´s nicht, und ich war nicht da! Deandre,
wir haben ein günstiges Rabattangebot für dich! O Mann! Da wurde mir klar,
dass Telefonnummern in den USA einfach weitervergeben wurden. Der Vorbesitzer
meines Handys war ein gewisser Deandre. Und der war sehr umtriebig. Nach und
nach trudelten SMS an ihn ein. Die gingen über Freunde, Einkaufen und Barbecue.
Brav habe ich mitgeteilt, dass dies jetzt die falsche Nummer war, um mit
Deandre zu kommunizieren. Aus Erfahrung vorsichtig geworden (siehe oben), habe
ich zu selektieren begonnen, bei welchen Anrufen ich überhaupt noch abhob. Auf
jeden Fall tat und tue ich es bei medizinischen Einrichtungen. So habe ich
erfahren, dass Deandre seinen Inhalator bei seinem letzten Arztbesuch vergessen
hat. Mist, aber ich konnte weder Deandre noch der Ordination helfen. Ein paar
Tage später hat mich das Gesundheitsamt von Connecticut kontaktiert, wo Deandre
abgeblieben ist? Warum er nicht zu vereinbarten Terminen erschienen ist? Und
noch etwas später, meldete sich auch seine Bank. Ich wurde langsam richtig
sauer auf Deandre. Der Kerl hatte seine Handynummer ausgetauscht und war
untergetaucht. Und ich bekam jetzt die Nachrichten und Anrufe all derer, denen
er in Zukunft lieber aus dem Weg gehen wollte. Vielen Dank! Zum Vatertag
gratulierte mir dann jemand mit Verspätung. Da wurde ich stutzig. Den Inhalator
beim Arzt vergessen, Termine bei der Krankenversorgung nicht eingehalten, bei
der Bank nicht aufgetaucht, den Kindern die neue Nummer nicht gegeben?! Da
durchfuhr mich die Erkenntnis siedend heiß: Deandre war tot! Und eine ganze
Menge Leute, auch solche die ihm nahegestanden waren, hatten es erst durch mich
erfahren. Und im nächsten Augenblick war ich froh, in meinen Antworten immer
höflich geblieben zu sein. Ich war froh, meinen Ärger nicht weiter gegeben zu
haben. Das war und ist der feine Unterschied, der uns (noch) zu Menschen macht.
Fortsetzung folgt…
And all the world is green... |