Bisher erschienen:
Donnerstag, 5. Dezember 2019
Samstag, 2. November 2019
NARR in "Memo - Ideen, Mythen, Feste" am 1.11.2019
Gestern um 19.05 war ich auf Ö1 in der Sendung "Memo - Ideen, Mythen,
Feste" zu hören. (Im Podcast ab 19:25.) Das Gespräch über den
Schilddorfer&Weiss-Thriller: NARR bzw. über die Rolle der
verhinderten Bischofskirche "St. Leopold auf dem Donaufeld" in der
fiktiven Verschwörung hatten Markus Veinfurter und ich vorab
aufgezeichnet.
Ich habe mich sehr gefreut, als sich Markus
Veinfurter bei mir gemeldet und sich für unsere Version der Geschichte
interessiert hat. Vielen Dank für das Interview und die tolle Sendung!
Ich freue mich sehr, dass NARR erinnert wird. Die Idee, dass ein
junger, fescher und konservativer Politiker mit dem "richtigen Schmäh"
die demokratischen Grundfesten der Zweiten Republik bedrohen kann,
fanden damals, als das Buch erschien, vielleicht so manche abstrus und
zum Schmunzeln. Heute, zehn Jahre später, sieht die Sache ganz anders
aus.
Hier der Link zur Sendung:
Viel Spaß beim Anhören! Alles Liebe!
Dienstag, 8. Oktober 2019
Im Augenblick weiß und habe ich nichts wirklich Schlaues oder Bemerkenswertes zu posten, bis auf meine Radiotermine und Beiträge auf Ö3 in der Sendung "Einfach zum Nachdenken" (Sonntag bis Freitag, 21.58 bis 22.00).
Alle Termine und der Link zum Nachhören stehen rechts unter der Rubrik "Meine Einfach zum Nachdenken-Texte zum Nachören". Oder einfach den Links folgen.
Viel Spaß und Alles Liebe!
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Viel Spaß und Alles Liebe!
Mittwoch, 3. Juli 2019
Da waren es schon zwei Nominierungen...
Mittwoch, 26. Juni 2019
51. Fernsehpreis der Erwachsenenbildung, 25. Juni 2019
Gestern fand die Preisverleihung des 51. Fernsehpreises der Wiener
Erwachsenenbildung sowie des Axel-Corti-Preises im Urania Kino statt.
Heiß war es, aber schön. ;-)
Peter Payer, Julia Sengstschmid und ich waren in der Kategorie Fernsehfilm nominiert. Gewonnen haben Urs Egger, Klaus Lintschinger und Thomas Reider.
Herzliche Gratulation!
Ihr Film/ Projekt: https://adulteducation.at/…/med…/fernsehpreis/sendungen/170/
Der renommierte Axel-Corti-Preis wurde an Helene Maimann und Jörg Winter verliehen.
Herzliche Gratulation!
Fotos des gestrigen Abends habe ich noch nicht gefunden, ich denke aber, dass sie demnächst hier veröffentlicht werden:
https://www.medienpreise.at/presse/fernsehpreis/
Peter Payer, Julia Sengstschmid und ich waren in der Kategorie Fernsehfilm nominiert. Gewonnen haben Urs Egger, Klaus Lintschinger und Thomas Reider.
Herzliche Gratulation!
Ihr Film/ Projekt: https://adulteducation.at/…/med…/fernsehpreis/sendungen/170/
Der renommierte Axel-Corti-Preis wurde an Helene Maimann und Jörg Winter verliehen.
Herzliche Gratulation!
Fotos des gestrigen Abends habe ich noch nicht gefunden, ich denke aber, dass sie demnächst hier veröffentlicht werden:
https://www.medienpreise.at/presse/fernsehpreis/
Vielen Dank für die Nominierung! Und ganz herzlichen Dank für die gute
Zusammenarbeit und den schönen Film an Peter, Julia, das Team, die MONA
Film und den ORF!
Alles Liebe!
Alles Liebe!
Mittwoch, 12. Juni 2019
Bald ist es soweit: 51. Fernsehpreis der Erwachsenenbildung
Freitag, 26. April 2019
Ein Ösi in Connecticut (Teil 44)
Teil 44: Fazit
Den meisten, die wie ich im sogenannten
Westen (Wien liegt östlicher als Prag, Leipzig und Dresden) des
Nachkriegseuropas gegen Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion geboren worden
und aufgewachsen sind, wurden die Vereinigten Staaten als die Neue Welt der
Verheißung vermittelt. Als Schlaraffenland, wo der Tellerwäscher zum Millionär werden konnte. John Wayne hatte im
Strahlenkranz der Hollywoodstudioscheinwerfer eigenhändig den Wilden Westen
erobert und ganz alleine den Zweiten Weltkrieg gewonnen. An beiden Ozeanen. Spiel-
und Dokumentarfilme sowie TV-serien vermittelten Gläubigen zu allen Seiten des
Atlantiks die Frohbotschaft der First Church of Income. Und das Licht der
Freiheit, in dem sich die US-Amerikaner am liebsten selbst sahen und gesehen
werden wollten. Bis heute. Der Eiserne Vorhang stellte in dieser Stimmungslage
bekanntermaßen die Wetterscheide dar. Aber weder real existierender Sozialismus
noch Reaganomics schufen das Paradies auf Erden. Das USA-Bild meiner Kindheit
und Teenagerjahre, geprägt vom Kalten Krieg, Kapitalismus und
Unterhaltungsindustrie, wurde für mich in den vergangenen zwei Jahren nicht
bloß angeknackst, es ging völlig zu Bruch, nachdem es im Alltag alle
Glaubwürdigkeit eingebüßt und aus dem Rahmen gefallen war. Besonders das
historische und politische Motto der USA „E pluribus unum!“ hing in Fransen. Da
es in meinen Augen weder in der Vergangenheit, noch in der Gegenwart der
Vereinigten Staaten jemals so etwas wie Einschließlichkeit und Toleranz gegeben
hat. Zu tief waren seit jeher die politischen und sozialen Grabenbrüche. Zu
ausgeprägt erwies sich der Alltagsrassismus. Die heutigen USA unter Präsident Donald
Trump präsentierten sich mir mitnichten als Paradies, aber als Fegefeuer. Für viel
zu viele wurden sie zur Hölle auf Erden, wenige konnten unter besonders
günstigen Umständen ihre Seligkeit erlangen, die Mehrheit büßte hier ihre
Sünden ab.
Viele Klischees über die USA und
ihre Bewohner hielten der Überprüfung durch das Zusammenleben nicht stand.
Zuallererst, die so genannten „Amerikaner“, „Amis“ oder wie auch immer jemand
die vielfältigen Bürgerinnen und Bewohner der US-Staaten zusammenfassen möchte,
waren kein Stück dümmer oder ungebildeter als alle anderen
Durchschnittsbevölkerungen der restlichen Welt. Vieles, was mir während meines
Auslandsaufenthalts von österreichischen Medien als unlösbare innenpolitische
Debatten daheim dargestellt worden waren, bedeutete in den USA überhaupt kein
Problem: Berittene Polizei, Rechtsabbiegen bei Rot und elektronische
Abbiegeassistenten in Fahrzeugen. Um hier nur drei Paradebeispiele zu nennen. Wahr
ist hingegen, dass im Vergleich zu Europa sehr viel weniger Menschen Zugang zu Bildung,
Wohlstand und Medizin haben.
Die US-amerikanische Gesellschaft
präsentierte sich mir keineswegs als frei und sozial durchlässig. Im Gegenteil,
ich erlebte eine feudale oder oligarchische Gesellschaft, in der Geburt und „Rasse“
und keineswegs Begabung und Leistung die Klassen- bzw. Milieuzugehörigkeit
bestimmte. Und zwar unwiderruflich und auf Lebenszeit. „Entitlement“/
„Anspruch“ war daher in etlichen Gesprächen und Diskussionen über
gesellschaftliche Probleme ein Thema. Insbesondere, wenn das durch Elternhaus, Lehrerinnen
und Ausbilder anerzogene Selbstverständnis der Yale-Studierenden in ganz
normalen Alltagssituationen auf die Wirklichkeit traf, z.B. beim Überqueren
einer Straße als Fußgänger. Nein, Autofahrer bremsten nicht sofort, sobald eine
oder einer von ihnen den Fuß auf die Fahrbahn setzte. Doch wie einige selbst
zugaben, bis zu ihrem Studienabschluss hatte noch niemand jemals „Nein“ zu
ihnen gesagt.
Um eine faszinierende Facette
reicher ist die Diskussion um das „Entitlement“ durch die Verurteilung der
Hochstaplerin Anna Sorokin in New York. Die in die USA emigrierte Deutschrussin
wurde wegen Diebstahls schuldig gesprochen, das volle Strafmaß wird im Mai 2019
bekannt gegeben. Sorokin war es gelungen, sich mittels selbstbewusstem und
entsprechendem Auftreten in die so genannten wohlhabenden Kreise New York Citys
einzuschleusen. Die junge Frau aus einfachen Verhältnissen, Sorokin war die
Tochter eines Lastwagenfahrers, gab sich erfolgreich als „reiche Erbin“ aus,
ermöglichte sich ein Luxusleben auf Pump und bekam von Banken Unsummen an
Krediten für ihre Geschäftsideen genehmigt. Wie es aussieht, alles Lüge. Sie
hatte gelernt, mit den Wölfen zu heulen. Wen wundert es, dass sich der
Streamingdienst Netflix und der Sender HBO bereits für eine Verfilmung ihrer
Lebensgeschichte interessierten.
Diesen besonderen Anspruch,
dieses Geburtsrecht, behauptete allerdings die gesamte Nation für sich. Bis
heute und seit ihrer Gründung. So konnte der 45. US-Präsident Donald Trump in
seiner 2019 State of the Union Address am
5. Februar vor dem 116. United States
Congress, vor 46,8 Millionen Zusehern auf 12 der wichtigsten nationalen
TV-Sender und vor weiteren rund 15 Millionen online unwidersprochen erklären: „Together, we represent the most
extraordinary Nation in all of history.“ („Gemeinsam repräsentieren wir die außergewöhnlichste Nation der ganzen
Geschichte.“)
Weltgeschichtlich war diese
Aussage naturgemäß Quatsch. Objektiv betrachtet war sie sogar lächerlich.
Irgendwo im Jenseits hörte man die Pharaonen Ägyptens, die Konsuln und Cäsaren Roms,
die Moguln Indiens und die Söhne des Himmels Chinas zu der unfreiwilligen
Pointe lachen.
„Sie“, die US-Amerikaner, waren
allerdings so zahlreich, dass ihr Wort innerhalb der gegenwärtigen kapitalistischen
Weltordnung ungleich mehr ins Gewicht fiel als die Äußerungen aller anderen
Global Player. Und sogar bekennenden regierungskritischen und ausgewiesen
liberalen Intellektuellen konnte ich ein unbewusstes Lächeln ins Gesicht
zaubern, wenn ich darauf angesprochen hinwies, dass die österreichische Kleinstaaterei
zwar in gehäuften Einzelfällen unappetitlich wurde, aber gegen die
Schelmenstücke des US-Präsidenten unwichtig war. Da Donald Trump anders als Bundeskanzler
Sebastian Kurz und die FPÖ welthistorische und globale Tragweite und Bedeutung
besaß. Stolz hieß die Canaille! Auch wenn meine Gesprächspartner sich und
anderen niemals eingestehen würden, dass sie patriotische Gefühle hegten. Und
wer jetzt beim Lesen, dass österreichische Innenpolitik weltpolitisch
unbedeutend war, eine kleine Ärger Wallung verspürt hat, dito.
Aufgrund der gewaltigen
Ausdehnung ihrer Nation, eigentlich ein inzwischen als Nation begriffener
Staatenbund, fiel es leicht, die USA mit der Welt an sich zu verwechseln. Des
Frosches Horizont war bekanntlich immer und überall der Brunnenrand, und Uncle
Sam´s Brunnenkranz war gewaltig. Im Osten und Westen jeweils ein Ozean,
Atlantik und Pazifik. Die Menschen konnten zum Schifahren nach Colorado oder
Vermont, zum Schwimmen nach Florida oder Kalifornien, an den Strand einer
exotischen Inselwelt nach Hawaii, in die Karibik nach Puerto Rico, ins Ewige
Eis nach Alaska, in die Wüste nach Nevada, zum Viehtrieb nach Texas und in das
Reich ihrer Träume nach Disneyland oder Hollywood. Ein Flugzeug flog hier
etliche Stunden in eine Himmelsrichtung, durchquerte mehrere Klima- und
Zeitzonen und landete danach immer noch im Inland. Ein Mensch konnte sein Leben
lang niemals sein Geburtsland verlassen haben und trotzdem zigtausende Kilometer
bzw. Meilen gereist sein, um in unterschiedlichsten Gesellschaften gelebt zu haben.
In einem politischen System, das eine einheitliche Währung und exklusive,
nicht-metrische Maßeinheiten verwendete. Wie sollte ein Mensch unter einfachen
oder mittelständischen Lebensumständen da zu der Einsicht kommen, dass es so,
wie sie oder er es gewohnt ist, nicht auch auf dem ganzen Erdenrund zugeht?
Nicht überall dasselbe gegessen, gedacht und gemacht wird? Es sei denn, sie
oder er traten der US-Army bei und wurden im Ausland stationiert. Entgegen
landläufiger Vorurteile waren es Veteranen, die überdurchschnittlich oft einen
gemäßigten, weltoffenen und klimabewussten Blickwinkel vertraten. Aus alldem
ergab sich ein Krähwinkel globalen Ausmaßes. Ein Planet Krähwinkel sozusagen.
Viele im globalen Dorf quäkten
„Freiheit!“ und schlossen sich dem Selbstbild der USA an, weil sie aus den
eingangs beschriebenen Kanälen nichts anderes kannten. Ohne zu begreifen, dass
dieser Freiheitsbegriff auf den schlimmsten gemeinsamen Nenner gebracht nichts
anderes bedeutete als Abbau des Sozialstaates, Zensur, Rassentrennung und
Erboligarchie. Sie verwechselten quasi die Landkarte mit der Landschaft. Oder anders,
sie hielten das idealisierte Selbstporträt für ein authentisches Foto.
Einem Großteil der restlichen Welt,
mit und ohne Internetanschluss, waren die Ansichten der Vereinigten Staaten
nach wie vor zwar völlig egal. Leider jedoch bekam der gesamte Planet die
Auswirkungen ihrer Politik zu spüren.
Gerade noch so waren die USA die
größte Volkswirtschaft auf der Erde. Da die US-amerikanische Bevölkerung mit
rund 327 Millionen Einwohnern im Vergleich zu Europas Staaten riesig war, gab
es logischerweise auch von jeder sozialen Gruppe mehr. Alleine New York City
hatte genauso viele Einwohner wie die gesamte Republik Österreich oder das flächenzweitgrößte
deutsche Bundesland Niedersachsen. Die Gesamtheit war in sich natürlich noch
einmal mehrfach unterteilt, und wir alle wissen, dass die Schere zwischen Arm
und Reich weiter wird. Nirgends habe ich bisher so viele hochgebildete und
intelligente Frauen und Männer getroffen wie in den USA. Gleichzeitig habe ich
noch nirgends so große Teile der Bevölkerung gesehen, die keinerlei Zugang zu
Ausbildung, Krankenversorgung und Wohlstand hatten. Manche Stadtviertel und
Industrieruinen erinnerten mich an Teile des ehemaligen Ostblocks kurz nach dem
Fall des Eisernen Vorhangs, namentlich an jene Orte der ehemaligen CSSR, wo die
Roma und Sinti gelebt hatten.
Infrastruktur und öffentlicher Raum
verschiedener US-Bundesstaaten präsentierten sich uns vielerorts wie in so
genannten Entwicklungsländern oder in „gescheiterten Staaten“. In Gemeinden der
so genannten „Flyover states“ gab es
sechs oder noch viel mehr Pfarrkirchen, aber kein Museum für Naturgeschichte.
Und, OMG, das einzige Krankenhaus weit
und breit war fest in römisch-katholischer Hand. Der Skandal und Inhalt der
Empörung sollte meiner Meinung nach sein, dass außer religiösen und anderen
karitativen Organisationen und Logen sich niemand für diese Menschen
interessierte und sich um sie kümmerte. Und über diese fettleibigen,
zahnlückigen und bibelfesten Hinterwäldler durfte dann auch noch herzhaft
gelacht werden. Komisch, dass die dann Populisten wählten und einen Grant auf
die liberalen Eliten in den feinen Städten entwickelten.
Angesichts solcher Zustände fragte
ich mich oft, welche Länder Donald Trump eigentlich mit welcher Berechtigung im
Vergleich zu seinen eigenen als „shithole
country“ bezeichnete? Im eleganten Teil der Vereinigten Staaten, wo die
reichsten Menschen der Welt hervorragend lebten, bekam er von alldem natürlich
keinen Eindruck. Die Touristen in den Zentren der großen Städte New York City,
Boston, Washington DC oder Los Angeles auch nicht.
Das alles zusammen ergab eine
schiefe Optik. Jede Generalisierung war darum von vorneherein falsch. Auch,
oder gerade, weil sich aus vermehrten Ereignissen und Haltungen gewisse
Tendenzen und Muster ableiten ließen. Zum Ausgleich dieser Ungerechtigkeit wurden
Stereotypen über den jeweils anderen zu beiden Seiten des Atlantiks gehegt und
gepflegt. Die US-amerikanischen Vorurteile über Europäer sind keineswegs
freundlicher. Nur hierzulande weniger bekannt. Und bekam man sie z.B. in
Sitcoms zu Ohren, hielt sie jede und jeder wohlwollend für Satire und einen
Scherz.
Die Transatlantische Freundschaft hatte als Überseekabel für den
Datenaustausch zwischen dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland
und den Vereinigten Staaten von Amerika begonnen, entwickelt und quer durch den
kalten und finsteren Atlantik verlegt durch den deutschen Siemens-Konzern. Und
wenn man ganz ehrlich ist, zu nichts anderem mehr oder Wärmeren hatte sich diese
Verbundenheit seit 1874 weiterentwickelt. In den letzten Jahren war zudem eine
deutliche Abkühlung des Gesprächsklimas zu spüren gewesen.
Für den so genannten durchschnittlichen
US-Amerikaner war Europa der Kontinent der Weichlinge („sissy“), der schon sehr bald in einem moslemischen Kalifat enden
wird. Oder alternativ dazu (allerdings ungleich weniger verbreitet), im Vierten
Reich. Europäische Mädchen und Frauen waren für jeden Mann einfach zu haben.
Und europäische Bildung und akademische Lehre wurde insgesamt als „Scheiße“ („crap“) angesehen. Was für jedermann zu
gleichen Bedingungen zugänglich war, das musste Müll sein. Kurz gesagt: Die
Alte Welt war dem Untergang geweiht. Gegenwart und Zukunft gehörten den USA.
Und der Vergangenheit drückten sie im Nachhinein und nachhaltig ihren Stempel
auf.
Alle diese Stereotypen vereinten
sich in der für mich überhaupt nicht nachvollziehbaren Aufregung über die
französische Fußball-Nationalmannschaft, als dieses Team 2018 in Russland den
Weltmeistertitel gewann. Das Finale gegen Kroatien wurde von vielen, nicht nur
von white supremacists, als Menetekel betrachtet. Skurriler Weise auch von
einem kanadischen Einwanderer. Es war mir in mehreren Gesprächen nicht möglich
gewesen, mein jeweiliges Gegenüber von der Tatsache zu überzeugen, dass farbige
französische Nationalspieler durchaus Frankreich und nicht den Untergang des
Abendlandes repräsentierten. Und das erlebte ich in einer Nation, deren
Athleten in allen Sportarten jede mögliche ihrer Hautschattierungen zu Markte
trugen.
Für viele deutschsprachige
Menschen ist es bis dato unvorstellbar, dass noch weit mehr englischsprachigen
beim Gedanken an eine politische und wirtschaftliche deutsche Hegemonie der
Europäischen Union ein kalter Schauder den Rücken hinunterläuft. Für viele von
ihnen sind die deutschsprachigen Überlebenden des Zweiten Weltkriegs nicht mehr
und nicht weniger als die Nachkommen der Feinde von einst. Und für einige aus durchaus
nachvollziehbaren Gründen. Familienmitglieder fielen oder wurden während des
Holocaust ermordet. Der vielerorts geschätzte Schlussstrich und die historische
Amnesie wurden jenseits des Atlantiks nicht mitgemacht. Sieger vergaßen ihre
Triumphe nur höchst ungern. Ein deutscher Akzent war darum für eine große
Anzahl von US-Amerikanern entweder ein rotes Tuch, oder Anlass zur Erheiterung.
Natürlich niemals offen im beruflichen oder akademischen Umfeld. Dort nur
privat und hinter vorgehaltener Hand.
Direkt erfahrbar wurden diese
Vorbehalte für mich in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Warte- und Vorzimmer
meiner Ärztinnen und Therapeuten oder unterwegs als Tourist. Der Bundesstaat
Pennsylvania hatte seine deutschsprachige Vergangenheit beinahe völlig aus dem
Alltagsleben entfernt oder zu randständiger touristischer Folklore gemacht. Zum
Glück nur einige wenige Male wurden Juliane und ich offen ausgelacht,
nachgeäfft oder sogar angepöbelt. Vielen war so ein Benehmen merklich
unangenehm, da mehrheitlich großer Wert auf Höflichkeit und Respekt im Umgang
gelegt wird. Die Umstehenden versuchten sofort, den Vorfall ungeschehen zu machen.
Durch eisiges Ignorieren der Übeltäter und freundliches über das zuvor Gesagte
Hinweg-Plaudern.
Indes, in etlichen
US-amerikanischen Kino- und TV-Produktionen sprachen groteske Gestalten in der
Originalfassung sehr oft mit deutschem Akzent („The Big Lebowski“, 1998). Der Effekt ging allerdings in den meisten
deutschen Synchronisationen verloren, oder die verantwortlichen Studios ersetzten
den charaktergebenden Akzent durch einen österreichischen Dialekt („A Bug´s Life“/ „Das große Krabbeln“, 1998 und „Zootopia“/ „Zoomania“, 2016; beide:
Walt Disney Pictures). Bei anderen Figuren bzw. Antagonisten wie Mr. Freeze/
Victor Fries in dem DC-Comicfranchise Batman,
wurde der deutschsprachige Hintergrund und Akzent des Charakters nachträglich
gestrichen oder verschleiert. Arnold Schwarzenegger verkörperte 1997 den
Bösewicht noch entsprechend auf der großen Leinwand („Batman & Robin“). Das ganze Phänomen zeigte sich zuletzt
insgesamt rückläufig, wohl auch dem Umstand geschuldet, dass es sich im
deutschsprachigen Raum nach wie vor um den zweitgrößten Absatzmarkt für die
US-Unterhaltungsindustrie handelte.
Überhaupt haben das gesprochene und
auch das gegebene Wort in den USA meiner Erfahrung nach einen völlig anderen
Stellenwert als in Europa. Böse Zungen würden behaupten, keinerlei. Nichts
anderes habe ich tatsächlich in jedem Reiseführer und Ratgeber über die
Vereinigten Staaten gelesen, so dass ich glaube, dass es sich um eine
allgemeine Erfahrung handelte. Am Service-Telefon bedeutete das Versprechen,
demnächst zurückzurufen, ein bewährtes Abwimmeln unangenehmer Anrufer. Niemand
wird sich je melden. Eine Einladung zum Abendessen oder zu einem Besuch ohne
Terminvereinbarung war weder ein Versprechen, noch eine Absichtserklärung. Es
handelte sich um eine Höflichkeitsfloskel. Groß war z.B. das Entsetzen, als
eine junge Frau aus Osteuropa plötzlich wirklich bei jemandem mit ihren Koffern
vor der Türe stand, um in den USA zu bleiben. Niemand hatte sie tatsächlich
eingeladen oder ehrlich zum Einwandern ermutigt. Insgesamt festigte sich unser
Eindruck, dass es entgegen US-amerikanischer Gewohnheit war, ein Anliegen
abzulehnen, einer Bitte zu widersprechen und Unwillen oder gar Unvermögen offen
anzusprechen. Eine Bitte wurde angenommen oder eine Zusage gegeben, selbst
falls eine Umsetzung nicht möglich oder gewünscht war. Anders gesagt, alles
Vorgebrachte wurde von vornherein bejaht. Entweder um sein Gesicht zu wahren,
oder um gute Stimmung zu machen. Oder beides. Hakte jemand nach, konnte sich niemand
mehr erinnern. Und mehrmals war es uns passiert, dass eine Verabredung erst am
Treffpunkt und auf Nachfrage via Mobiltelefon abgesagt wurde, sogar bereits im
Konzertsaal an den reservierten Plätzen.
Julianes und meine baldige Abreise
provozierte großes Bedauern. Auch über den Umstand, mich nicht besser
kennengelernt zu haben. In zwei Jahren war auch wirklich kaum Zeit dazu
gewesen. Andere wieder äußerten tiefe Traurigkeit darüber, wie sehr sie uns
vermissen werden. Was mich mehr als verwunderte, da ich kaum oder gar keinen
Kontakt mit diesen Menschen hatte.
Polinnen und Polen haben
angeblich bis vor kurzem noch zu bedeutungslosem Geschwätz, leeren Versprechen
und Dampfplauderei „österreichisch geredet“ gesagt. Ich würde heute für eine
Änderung der Wendung in „amerikanisch geredet“ plädieren.
Auch die Politik funktionierte
mehr und mehr nach dem „sola figura“-Prinzip. Das Erscheinungsbild des Redners und
der Unterhaltungsgrad seiner Worte ersetzten den Inhalt. Sympathiewerte
bestimmten den Grad der Glaubwürdigkeit. Nach welchen Kriterien Sympathie,
Glauben und Zuneigung verteilt wurden, war und ist mir allerdings schleierhaft.
Flüchtlinge, Arme und Behinderte wurden als leistungsscheu und privilegiert
angefeindet, wogegen Personen, die tagein und tagaus Fotos von sich beim
Golfen, Schminken und Sonnenbaden am Pool posteten, zigtausende Follower in den
Sozialen Medien um sich scharten. Und Kunstformen, die laut und deutlich
Sexismus, Habgier und Gewalt verherrlichten, zum Mainstream verklärt wurden.
So gewann ich den Eindruck, dass
weniger bedeutsam war, was jemand sagte, sondern wer etwas sagte. Größere
Bedeutung als dem klar und vernehmlich ausgesprochenen Wort wurde Abstammung
und Geschlecht der Autoren zugemessen. In der öffentlichen Diskussion stand
eher im Vordergrund, ob z.B. ein weißer alter Mann oder eine junge farbige Frau
ein Thema aus- bzw. angesprochen hatte. Wie vieles war auch das nicht so einfach
wie es sich zunächst darstellte. Aber allzu leicht konnte auch dieses
Problemfeld von den üblichen Verdächtigen vereinfacht und instrumentalisiert
werden. Für die Republikaner waren die antisemitischen Aussagen der demokratischen
Politikerin und Abgeordneten im Repräsentantenhaus Ilhan Abdullahi Omar (MN) ein
willkommener Anlass. Besonders vor dem Hintergrund der eigenen Skandale, z.B.
um den Senator Tommy Norment (VA) und das rassistische „black facing“.
Die ganze Sache gestaltete sich
besonders schwierig, sobald es parteiintern unter Demokraten zu ganz ähnlichen Reibereien
kam, sobald es um mögliche Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2020 gegen
Donald Trump ging. Angesichts dieses „divide et impera“ kann der amtierende
US-Präsident leicht auf die Kandidatur von Joe Biden antworten, dass dieser
eine größere Gefahr für sich selbst als für ihn darstellt: „Welcome to the race Sleepy Joe. I only hope you have the intelligence, long in doubt, to wage a
successful primary campaign. It will be nasty - you will be dealing with people
who truly have some very sick & demented ideas. But if you make it, I will
see you at the Starting Gate!” [5:22 AM - 25 Apr 2019, @realDonaldTrump]
Auf die Frage, was ich selbst am
meisten von New Haven vermissen werde, musste ich wahrheitsgemäß antworten,
dass es die Musik sein wird. Die zahlreichen Freundschaften und tiefgründigen
Gespräche werden es nicht sein. Die wahrhaft geschlossenen Beziehungen konnte
ich an einer Hand abzählen. Nichtsdestotrotz konnte ich auch diese Erfahrung
machen. Ich habe durchaus auch Menschen getroffen, deren Ja ein Ja und deren
Nein ein Nein gewesen war. Aber Hatty, meine Krankenschwester, versicherte mir,
dass diese geringe Anzahl auch für ein ganzes Leben in Connecticut ein guter
Schnitt wäre und nicht nur für zwei Jahre. Bis auf ein paar wenige, führte ich
die längsten und offensten Gespräche mit Menschen, die dafür bezahlt wurden
(entweder von mir oder meiner Krankenversicherung). Also, mit Ärzten und
Therapeuten. Viele Menschen, denen ich in Yale und an anderen Unis begegnete,
beschränkten sich darauf, abzuchecken, welche Rolle ich in ihrer Karriere
einnehmen konnte, oder halt nicht. Und beim Versuch, nichts zu äußern, was
nicht von der Mehrheit akzeptiert und geteilt wurde, oder was sie dachten, das
ich nicht hören wollte bzw. sollte, sagten sie gar nichts von Belang. Oder
wirklich nichts.
Bevor ein Gedanke in Gesellschaft
geäußert wurde, der keine breite Akzeptanz versprach oder sonst von niemanden
geteilt wurde und darum zum Bumerang werden konnte, wurde er verschwiegen. Das
ließ so manche Europäerin die erwartete intellektuelle Neugier vermissen. Es
hinterließ bei sozialem Kontakt sehr oft dasselbe Gefühl wie ein Familienessen,
dessen Teilnehmer ein Leben lang nichts Persönliches von sich preisgegeben
hatten und somit keiner irgendwem etwas zu sagen hatte. Im Leben der Anderen
spielte keiner der Anwesenden eine Rolle. Die alten Anekdoten waren sattsam
bekannt, neue Gemeinsamkeiten kamen nicht dazu. Der Rest war betretenes
Schweigen. Sogar Konversationsratgeber – ich hatte einen erworben und gelesen,
um in Zukunft Fehler auf Partys, bei Besuchen und Empfängen zu vermeiden –,
rieten, sich nur dort aufzuhalten, wo
gelacht wurde und die Sonne schien. Das bedeutete, Sonderlinge und
Langweiler im Schatten ihrer trüben Wolke stehenzulassen. Es sei denn, es
handelte sich bei ihnen um Vorgesetzte und potentielle Unterstützer, dann
konnte das eisige Ausgrenzen rasch in speichelleckerischen Konformismus
umkippen. In Zeiten jeder möglichen politischen und religiösen Radikalisierung
und feuerbewaffneter Amokläufe beurteilte ich solches Verhalten als keine
zukunftsreiche Strategie.
Umgekehrt, die schönen und
angenehmen Erlebnisse sollte jede und jeder mit seinem engsten Freundeskreis
verbringen. Wo dieser angetroffen werden sollte, wo niemand irgendwo irgendetwas
von sich preisgab, ist mir bis dato ein Rätsel. Erschwerend hinzu kam, dass
sogar Frauen und Männer, die ihr Leben dem Lesen zwischen den Zeilen der
Literatur und dem Deuten der Nuancen der Philosophie gewidmet hatten, jedes
Buch ohne zu Zögern nach dem Einband beurteilten. Das heißt, alle Menschen nach
ihrem oberflächlichen Erscheinen bewerteten und etikettierten. Getreu dem
Grundsatz: Bist du Freund oder Feind?
Wen wunderte es also, dass meine
Therapeutin jeden Stundenschlag ihres Arbeitstags eine oder einen Yalie auf der
Couch liegen bzw. im Polstersessel sitzen hatte. Auch die allerjüngsten, ihre
Töchter und Söhne im Vorschulalter. Alle litten unter Erfolgsdruck, Konkurrenz
und am allerschlimmsten unter Einsamkeit. Von den im Abwasser aufgelösten
Antidepressiva schwebten die örtlichen Kanalratten gewiss auf Wolke sieben. Um
vom Cannabis high zu werden, reichte an manchen Tagen das tiefe einatmen vor
geöffneten Fenstern von Wohnungen aber vor allem von geparkten Autos.
Nach einer Verallgemeinerung über
die von Populisten angefeindete so genannte liberale Elite der USA gefragt,
würde ich antworten, dass sie just den Fehler begangen hat, vor dem bereits
Voltaire vor mehreren hundert Jahren eindringlich gewarnt hatte. Der
französische Philosoph der Aufklärung war überzeugt, dass es keinen Gott gab,
dass man dieses Wissen aber niemals seinem Diener mitteilen dürfe, weil einen dieser
sonst im Schlaf erwürgen würde. Anders gesagt, all die Eiferer, die in aller
Bequemlichkeit ihrer Herkunft über die soziale Revolution und Dekonstruktion
aller Werte faselten, übersahen, dass sie selbst in den Augen einer wachsenden
Mehrheit die Privilegierten waren, von denen sie den „einfachen Mann“ befreien
wollten. Welche Hochnäsigkeit. Und zugleich, welche Gefahr, trug diese offen
zur Schau gestellte Haltung doch maßgeblich dazu bei, die Schwellenangst
abzutragen, die jahrhundertelang ihren elitären Status geschützt und erhalten
hatte.
Was genau meine ich damit? Gab es
keinerlei Legitimation für Hierarchie und Regierung mehr außer Gewalt und Geld,
nach welchen Maßstäben sollte sich eine Gesellschaft in Zukunft organisieren?
Wonach sollten die Unterdrückten streben? Zugang zu Bildung und zu sozialem
Aufstieg hatten sie nicht. Wovon gingen also die Münder der Populärkultur über
(vor allem in der Hip hop music),
womit waren die Herzen voll? Mit Geld, Sexismus und Gewalt. Und wessen Schuld
war das? Meiner Meinung nach war es die Verantwortung jener, die bisher alle
anderen, auch die jahrhundertelang kulturell gewachsenen Inhalte entwertet
hatten. Gleichzeitig aber durch sie angenehm gelebt hatten. Jedwede Glaubwürdigkeit
ging somit verloren. Und mit ihr der Glaube an die Zukunft.
Dieser düstere Ausblick bildete
jedoch nicht mein Fazit. Das lautete bei aller Kritik zum Glück anders und weit
positiver. Und ich bin dabei nach wie vor meiner Herkunft und Erziehung verpflichtet:
Ich bin überzeugt, dass wenn es
zukünftigen Generationen gelingen könnte, alle Vorteile und Errungenschaften
von beiden Seiten des Atlantiks zu einer Gesellschaftsform zu vereinen –
Demokratie, Wohlstand, Sozialstaat, Medizin und Wissenschaft –, dann wäre diese
Gemeinschaft zwar immer noch nicht der Himmel auf Erden, aber ein glücklicherer
Ort für alle.
E pluribus unum!
Mittwoch, 17. April 2019
Ein Ösi in Connecticut (Teil 43)
Teil 43: Rückkehr
Zwei Jahre waren schneller
vergangen als erwartet. Wobei „erwartet“ je nach Stimmungslage oder
Weltanschauung des Lesers und der Leserin jeweils mit „erhofft“, „befürchtet“
und „gedacht“ ersetzt werden kann. Für mich, den Verfasser dieser Zeilen, war
es im Augenblick, und so ist es in der Rückschau immer noch, gleichbedeutend.
Ich durchlebte und erlebe nämlich ein bisher ungekanntes Wechselbad der Gefühle
angesichts dieser ganz und gar relativen Qualität von Lebenszeit und Endlichkeit.
In Windeseile wechselten sich Wehmut, Begeisterung und auch Enttäuschung in mir
ab. Vieles, was ich in großer Vorfreude von den USA und mir erwartet hatte, war
nicht eingetroffen. Weit mehr, und vor allem das, mit dem ich niemals gerechnet
hatte, war geschehen. Gerade als Julianes und mein Leben in Connecticut sich
„normal“ anzufühlen begann, war es auch schon wieder vorbei. Gerade als wir die
Untiefen und Abgründe des Krankenversicherungssystems ausgelotet hatten, und
alle Verschreibungen und refills meiner
Therapien und Medikamente endlich auf Kurs gebracht hatten, spielte das alles
keine Rolle mehr. In Wien und Europa galten wieder andere Regeln. Wir hatten uns
in New Haven endlich zu orientieren gelernt, allmählich das Gefühl erlangt,
diesen einen kleinen Ort auf der großen weiten Welt wirklich zu kennen, da
mussten wir ihn auch schon wieder verlassen. Und mit sehr großer
Wahrscheinlichkeit kehren wir nie wieder dorthin zurück. Für Juliane ist die
Wahrscheinlichkeit aufgrund ihres Berufs jedoch ungleich größer.
Aber auch die Leben, in die wir
angeblich zurückkehrten, waren nicht mehr dieselben. In zwei Jahren hatte sich
viel verändert, vor allem in uns. Und diese Entwicklung fand nicht nur mit uns,
sondern auch mit allen anderen statt. Im Prinzip verhielt es sich also mit
Menschen und Orten genauso wie mit einem Fluss, niemand konnte zweimal
demselben begegnen. Was eine tatsächliche „Rückkehr“ von vornherein unmöglich
machte. Was Juliane und mich in Europa erwartete, das war einmal mehr ein
Neuanfang.
Als wir im März 2017 unser kahles
und damals auch noch kaltes Apartment in New Haven bezogen hatten, fand ich
mich an meinem Schreibtisch sitzend einer nüchternen und mehr oder weniger
weißen Wand gegenüber. Eher weniger, da der Anstrich fleckig, stellenweise gelblich
gewesen war. Ich beschloss, diesen traurigen Anblick durch glückliche
Erinnerungen zu ersetzen. Von jedem Ausflug und jeder Besichtigung, die Juliane
und ich seither gemacht hatten, habe ich mir ein Plakat, eine Postkarte oder
einen Aufkleber mit nachhause genommen. Diese Andenken habe ich daheim an meine
Bürowand geklebt, bis sie im März 2019 fast vollkommen mit Erinnerungsstücken
bedeckt war. Vom Fenster auf der rechten, bis zur Türe an der linken Seite
meines Schreibtisches. Das half mir jetzt, als sich unser zweijähriger Aufenthalt
plötzlich wie ein Wimpernschlag anfühlte, zu begreifen, wie viele
Bereicherungen wir in dieser scheinbar kurzen Zeit hatten erleben dürfen.
Vierundzwanzig Monate hatte es gedauert, ein Stück nach dem anderen anzubringen,
und in weniger als zwanzig Minuten hatte ich alle wieder abgenommen. Dieses
Abschiedsritual fühlte sich gut an. Es half mir, jeden einzelnen Druck und alle
Blätter vor dem Verpacken noch einmal in die Hand zu nehmen. Dabei verstand ich
vielleicht zum ersten Mal, was es bedeutete, „etwas zu begreifen“. Die
Reflexion wurde manifest, der Gedanke wurde handfest, greifbar. Ich ließ alles
Vergangene revuepassieren und hinter mir. Und danach fand ich mich bereit, mich
auf Neues in der Zukunft einzulassen. Dasselbe war ja schon einmal, genau vor
zwei Jahren geglückt.
Was ich im Kleinen mit meiner
Wand unternahm, mussten wir im Großen mit dem ganzen Apartment machen: Unsere
persönlichen Habseligkeiten daraus entfernen und verpacken. Da weder Juliane
noch ich an Gegenständen und Besitz hängen, nutzten wir die Gelegenheit, um uns
von Unnötigem zu trennen. Alle überflüssigen Gegenstände und Kleidungstücke
waren buchstäblich Ballast, den wir uns besser sparten. Wie jede und jeder
Flugreisende weiß, gestehen Airlines ihren Fluggästen nur eine gewisse Menge an
Gepäck zu. Juliane und ich reizten diese Obergrenze ohnedies aus, wir rechneten
sogar damit, zusätzliches Gepäck und Übergewicht bezahlen zu müssen. Obwohl wir
vieles aufgaben, vor allem Elektro- und Trainingsgeräte, sahen wir uns am Ende
unserer Aktion drei riesigen Koffern, zwei kleinen Rollkoffern, zwei
Laptoptaschen und ein paar Tragetaschen gegenüber. Vor unserer Eingangstüre war
ein Wald aus Rollkofferstangen gewachsen. Einschüchternd in zweierlei Hinsicht:
Zum einen mussten wir, das heißt in Wahrheit Juliane, diese Unmengen an Gepäck
bewegen. Erst ins Hotel, später vom Hotel ins Airport Shuttle und zur
Gepäckaufgabe auf dem Flughafen in New York, und dann, nach einem
Transatlantikflug, von der Gepäckabholung in Wien in unsere Wohnung. Zum
anderen steckten in diesen trotzdem überschaubaren Behältern zwei Jahre unseres
gemeinsamen Lebens. Abzüglich der acht Kisten mit Büchern und Papieren, die inzwischen
bereits mit der Post über den Atlantik reisten. Der Anblick machte auch Angst. Unserer
beider Persönlichkeiten beraubt, war das Apartment wieder kahl, kalt und im
Grunde hässlich. Juliane hatte auch unsere improvisierten Fensterdichtungen
wieder entfernt, so dass der Frühlingswind die Vorhänge bewegte. Zum Glück
schien die Sonne, und der Himmel vor den Fenstern war blau, so dass die
Umstände unseres Auszugs nicht ebenso winterlich und grau gerieten wie im März
unseres Einzugs.
Was sollten wir mit all den
Dingen machen, die wir nicht mit nach Europa nahmen? Und die wir nicht an
Freunde und Bekannte verschenkten wie meinen George Foreman Grill, den
Christbaumschmuck, die angebrochenen Flaschen, Gewürze und Zutaten? Juliane und
ich waren ja längst nicht die einzigen, die sich nur für begrenzte Zeit in New Haven
aufhielten. In der Stadt herrschte ein reges Kommen und Gehen von Stipendiaten
und Studierenden jeden Alters und Geschlechts. Auf den Internetseiten der Yale
Universität gab es entsprechende Möglichkeiten, Alltagsgegenstände zu tauschen
und zu verkaufen. Juliane fotografierte alle ihre Heimsportgeräte und stellte
sie ins Netz. Die kunststoffummantelten Hanteln, die Thera-Bänder und auch das
Steppbrett waren erst in den USA angeschafft worden. Die komplette Ausrüstung
war neuwertig und eigentlich kaum benutzt. Trotzdem, kein Interesse. Wir waren
vorab gewarnt worden, wenn Yalies so etwas anschafften, dann ausschließlich
fabrikneu und originalverpackt. Alles andere landete auf dem Müll. So wurde mir
endgültig klar, warum die Mulde hinter unserem Haus jeden Semesterbeginn und
alle Semesterenden geleert werden musste. Klimaschutz und Umweltbewusstsein
blieben reine Lippenbekenntnisse und Mausklicks. Auch vor etwas anderem waren
wir gewarnt worden, das keinen halben Tag, nachdem Juliane ihre Angebotsliste
gepostet hatte, genau wie prophezeit geschah: Ein Typ aus einem Nachbarort
fragte an, ob Juliane ihre Sachen denn „immer noch“ loswerden wollte. Der Bieter
kannte offensichtlich seine Pappenheimer und den akademischen Kalender. Die
einen, Leute wie wir, lösten zum Monatsende März oder Juni einen Haushalt auf
und mussten aus den Apartments raus, die anderen, die Nachmieter, kauften zu
Monatsbeginn August oder September allen Hausrat im Laden und im Onlineshop. Er
bot uns fünf Dollar für alles. Das hielt ich für einen guten, wenn auch
geschmacklosen Scherz. Bevor ich unsere Sachen so einem Schlaumeier überließ, verschenkte
ich sie lieber an Leute, denen vielleicht das Geld dafür fehlte, die sie aber
brauchen konnten und zu schätzen wussten. Und denen sie der Typ meiner Meinung
nach auch mit horrender Gewinnspanne weiterkaufen wollte. Für diese Form der
„Sachspende“ gab es in New Haven eine bewährte Methode bei der Geber und Nehmer
sich nicht begegneten und sich daher auch nicht gegenseitig beschämen konnten.
Ja, das Leben in den USA konnte schon ordentlich kompliziert sein.
Was ich bisher für einen
übertriebenen Scherz in den Simpsons
hielt („Bart, das innere Ich“, Staffel 5, Episode 7/ IF05), war wie viele
andere „Gags“ aus der beliebten US-Serie keine Fiktion, sondern Alltag. Genau
wie Homer sein ungeliebtes, zuvor von Krusty geschenkt bekommenes Trampolin
arrangierte Juliane ihre Sportgeräte vor unserem Haus. Ansprechend und gut
sichtbar für den vorbeifahrenden Verkehr. Hügelabwärts und jenseits der
Winchester-Fabrik, heute der Yale Science Hill, lag bekanntlich das berühmt
berüchtigte Stadtviertel Dixwell. Eine lange Geschichte kurz gemacht: In
kürzester Zeit hatten alle Gymnastikgeräte, die Yogamatte und auch alles andere
Nützliche neue und hoffentlich zufriedene Besitzerinnen und Eigentümer.
Am Tag unseres Umzugs ins Hotel,
zwei Nächte vor unserer Abreise am 1. April zurück nach Europa, lag im
Gegensatz dazu der verlassene Christbaum immer noch in Nachbars Garten. Er war
eines Morgens Anfang Februar im Vorgarten unseres Wohnhauses völlig
unvermittelt aufgetaucht und war kurz darauf kommentar- und kompromisslos auf
das Nachbarsgrundstück geworfen worden. Seither hatte er dort ein paarmal seine
Position gewechselt, bis er schließlich endgültig zum Liegen kam. Und es schien
immer mehr, dass der obdachlos gewordene Weihnachtsbaum dorthin gekommen war,
um zu bleiben. Kein Aprilscherz, das immer dürrer und trockener werdende
Nadelgehölz lag der Länge nach ausgestreckt exakt auf der Grundstücksgrenze.
Weder eine der benachbarten Mietparteien, noch die jeweiligen
Grundstückseigentümer fühlten sich für die Entsorgung der verrottenden Konifere
verantwortlich. Es war aufgrund seiner Lage weder klar, wem der Baumkadaver
gehörte, noch auf wessen Rasenteil er verdorrte. Sogar die seit dem
Frühlingsbeginn und dem Ende der Kältewelle für Instandsetzungsarbeiten auf beiden
Liegenschaften herbeigerufenen hispanischen Gärtner und Handwerker stiegen über
den entzauberten Lichterbaum hinweg und rasenmähten und laubbliesen penibel um
ihn herum. Anstatt also aufrecht und geschmückt Licht und Hoffnung in die
Dunkelheit der winterlichen Erde zu bringen, lag der kleine verblichene Nadelbaum
als dürres Mahnmal zwischen zwei Rasenflächen. Als Wahrzeichen einer von
Rechtsanwälten, Jobholdern und dem Selbstverständnis einer Nachwuchselite
beseelten Umwelt.
Einmal ganz abgesehen von der
Ästhetik, im niederösterreichischen Waldviertel und ganz gewiss auch in jedem
anderen Gebiet mit Forstwirtschaft hätten die besorgten Anrainer in dem toten
Nadelbaum einen potentiellen Käferbaum erkannt, eine Brutstätte für
Borkenkäfer/Buchdrucker und andere Holzschädlinge. Ich bin mir sicher, dass die
Christbäume in der Umgebung des Great Smoky Mountains National Park keine drei
bis vier Monate irgendwo unkontrolliert und ungestört vor sich hin kompostierten.
Schon gar nicht aufgrund ungeklärter Besitzverhältnisse. Und dieser Weihnachtsbaum
war keineswegs der einzige. Auch unserer lag im Hinterhof neben den Garagen. In
ähnlich erbärmlichen Zustand, seit ihn irgendjemand aus unserer Mülltonne
genommen und dort nach hinten geschmissen hatte. Ich hoffe, dass die beiden
nicht wirklich zum Problem für die hohen Bäume der Nachbarschaft und des
Botanischen Gartens werden.
Diese Sorglosigkeit stach mir
umso mehr ins Auge, da die durchschnittlichen US-Amerikaner eine geradezu
panische Angst vor allen Arten von „pests“ (Ungeziefer) und „rodents“
(Nagetieren) hatten. Die Furcht vor dem Getier war scheinbar von den
puritanisch-englischen Siedlern ererbt und seither bevölkerungsweit kultiviert
worden. Die geradezu biblische Feindschaft zwischen den Töchtern und Söhnen
Albions und dem Geschlecht der Hasen wurde sprichwörtlich und zum Klischee. Man
denke auch bloß an die ausbrechende Panik aller Akteure, sobald in einer
US-Komödie oder Sitcom einmal irgendwo ein Squirrel auftaucht. Als wären die
putzigen Kerlchen irgendwelche Säbelzahnkatzen. Wie aus Plimoth Plantation berichtet, sahen die meisten US-Amerikaner in Haustieren
(außer in Hunden) bereits eine Bedrohung und in Wildtieren eine Lebensgefahr. Auf
dem Höhepunkt der Kältewelle im neuenglischen Winter hörte Juliane den Hinweis,
dass es bei Schneefall und eisiger Trockenheit für die Squirrels, Vögel und all
die anderen Kleintiere des Gartens hilfreich wäre, ihnen eine Schale Wasser auf
die Veranda zu stellen. Juliane füllte also eine Plastikschale mit warmen
Wasser und platzierte sie vor unserer Tür im Freien. Keine ein bis zwei Stunden
später, Juliane brachte den Müll hinunter, war das Wasser schon ausgeschüttet
und die Plastikschale entsorgt.
Solche, im Anbetracht der ringsum
herrschenden bröckelnden Umstände und unserer bisherigen Erfahrungen als
widernatürlich empfundene Anfälle von Ordentlichkeit häuften sich je näher der
Zeitpunkt unseres Auszugs und der Abreise rückte. Plötzlich mussten alle
Rauchmelder in unserem Apartment vom Vermieter überprüft, und ihre Batterien
oder sie selbst erneuert werden. Buchstäblich bei letzter Gelegenheit hatten
wir eine Erklärung zu unterschreiben, niemanden wegen der baulichen Mängel an
Haus und Infrastruktur zu verklagen. Nicht unsere Vermieter und auch nicht die
Stadt New Haven. Fast jeden Tag standen Doktorat-Studierende bei uns auf der
Matte, um als potentielle Nachmieter unsere Wohnung zu besichtigen. Im
Mietvertrag hatten wir uns zu alldem jederzeit bereit erklärt. Die letzte
Interessierte, sie wohnte bisher ein Stockwerk tiefer, musste dafür listig hinter
ihrer Wohnungstür gelauert haben, bis wir zum allerletzten Mal die Tür hinter
uns zugeschlagen hatten.
Bis es allerdings endlich so weit
war und wir auszogen, mussten wir noch jede Menge erledigen. Jede Unterbrechung
der Reisevorbereitungen kam also mehr als ungelegen. Besonders Juliane wurde
ordentlich gefordert. Der eigentliche Rausschmeißer ereignete sich allerdings
am Abend vor unserem Auszug aus dem Apartment. Ich wollte noch einmal in den Barbershop
an der Uni, um mir vor dem Abflug einen Haar- und Bartschnitt verpassen zu
lassen. Dieser Friseurladen war kein hipper Barbershop wie sie gerade überall
in Europa aus dem Boden sprießen, sondern ein ganz und gar traditioneller wie
aus einem Clint Eastwood-Film. Und tatsächlich hing über der Kassa auch ein
Porträt mit Autogramm von George H.W. Bush (1924-2018). Nicht meine politische
Richtung, aber authentischer Lokalkolorit. Yale war Bushs Alma Mater, und
dieser Barbershop war während seines Studiums sein Friseur gewesen. Und kleine Abschweife,
CNN zeigte seit kurzem im Abendprogramm Dokumentarreihen über berühmte
Republikaner wie „Tricky Dick“ Richard Nixon und die Bush-Familie. Wohl um
klarzumachen, dass der amtierende US-Präsident keiner von ihrem Format und auch
kein Republikaner war. Dass er kein Demokrat war, sollte inzwischen jeder Wählerin
und jedem Wähler klar geworden sein. Aber zurück zum Rausschmeißer und warum
Leben und Politik in den gegenwärtigen USA so kompliziert waren. Um zu dem
Barbershop und meinem Haarschnitt zu kommen, nahmen Juliane und ich einen Uber.
Die Wallstreet, die Seitenstraße in der der Laden lag, war eng und eine
Einbahn. Sie bestand nur aus zwei Spuren, einer Fahrbahn und einem Parkstreifen.
Als der hispanische Uberfahrer vor dem Friseur zwischen Blue State Café und Joseph
Slifka Center for Jewish Life at Yale anhielt, um uns aussteigen zu lassen,
blockierte er zwangsläufig den Verkehr. Juliane stieg aus, um mir vom
Beifahrersitz und aus dem Auto zu helfen. Wir waren das schon gewohnt, in diesem
Moment hupten immer ein paar Autofahrer. Sobald sie aber sahen, dass ich Hilfe
beim Aussteigen benötigte und am Stock ging, hörten sie normalerweise auf. Sogar
in New York City. Diesmal nicht. Einer der drei Afroamerikaner im Wagen hinter
uns, er saß auf der Rückbank des angejahrten PKWs, ließ das Seitenfenster
hinunter und brüllte uns an. Nein, nicht uns,
er beschimpfte Juliane auf das Vulgärste. Er forderte sie lauthals zu sexuellen
Handlungen mit ihm auf. Als ich mich zu ihm umdrehte, ihm direkt ins Gesicht
schaute und ihn fragte, warum er sich so benahm, schrie er weiter. Ich hatte
keine Lust auf ein Schreiduell. Aber kampflos wollte ich nicht untergehen. Ich
war dem Kerl in meinem gut sichtbaren Zustand körperlich unterlegen, das wussten
er und ich. Ich musste einen klaren Kopf bewahren. Und zu meinem ehrlichen
Entsetzen war ich scheinbar auch moralisch unterlegen, da sich niemand ringsum
fand, der für Juliane und mich Partei ergriff. Oder wenigstens Juliane irgendwie
zu Hilfe kam. Im Gegenteil, hinter dem Schaufenster des benachbarten
Kaffeehauses fanden ein paar vollbärtige Studenten, dem Aussehen nach aus dem
Nahen- oder Mittleren Osten, die Szene unglaublich komisch. Ausgerechnet! Als
hätten Donald Trump oder der Satan oder beide gemeinsam Regie geführt. Und die
anwesenden so genannten Weißen oder „Kaukasier“ taten so, als ginge sie das
alles nichts an. Einige Yalies dachten sich wohl: „Pack schlägt sich, Pack
verträgt sich!“, und sie steckten Opfer und Täter zusammen in eine Schublade,
in die unterste. Kein Stereotyp wurde in dem liebevollen Arrangement
ausgelassen. Wo die in diesem Teil der Stadt ansonsten stets allgegenwärtige
Yale-Security gerade war, keine Ahnung. In Wien standen vor jeder jüdischen
Institution rund um die Uhr zwei Polizisten. Der Wagen mit dem Schreihals kam
jetzt genau vor mir zum Stehen. Der Typ plärrte weiter. Juliane war ja von
ihren Ausfahrten mit dem Fahrrad schon einiges an so genannten Catcalls und Street Harassments vonseiten solcher und ganz ähnlicher Herren
gewohnt, aber der hier übertraf alles bisher erlebte. Für mich war sein Benehmen
der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. Ich fragte ihn nochmals: „Why are you behaving
like this?“ Er hielt sich scheinbar immer noch für einen ganz tollen
Burschen oder Helden, dass er völlig ungehindert eine Frau und einen Behinderten
auf offener Straße bedrohte. Beifahrer und Fahrer des Autos machten dagegen den
Eindruck zu verstehen, was ich ihn wirklich fragte. Ich wollte in Wahrheit von
ihm wissen, warum er mir bereitwillig jedes einzelne mögliche rassistische
Klischee der USA vor Augen führte? Hätten die beiden mit dem Krakeeler
mitgemacht, die Lage wäre so richtig ungut für Juliane und mich geworden. Aber
das Auto fuhr weg. Die Stimme des Typen verklang. Solche Ausnahmesituationen
gruben sich viel tiefer als jede andere Alltagserfahrung oder veröffentlichte
Kriminalstatistik in das Bewusstsein. Und wenig hilfreich war dabei der biologistische
und meiner Meinung nach ziemlich krankhafte Ansatz, jedes menschliche Verhalten
mit dem US-amerikanischen Konzept der „race“, der „Rasse“, erklären und
begründen zu wollen. Vielmehr befeuerte genau das den ohnedies in den USA
schwelenden Konflikt. Der amerikanische Traum „E pluribus unum“ wirkte ausgeträumt.
Für mich war der Tag jedenfalls gelaufen, für den Rest des Abends stand ich
neben mir und sah mir selber dabei zu. Weder konnte ich meinen Friseurbesuch
genießen – ich spürte und hörte deutlich meinen Herzschlag zwischen den Ohren –,
noch das anschließende Abschieds-Abendessen mit Julianes Gastgeber und seiner
Frau. Tatsächlich befand ich mich in einem Gemütszustand, für den ich mich bei vollem
Bewusstsein schämte. Es war mir sogar relativ egal, dass mir die Friseurin
aufgrund eines Missverständnisses zu viel Bart abgenommen und mir quasi das
Kinn amputiert hatte. Dem beim Abendessen geäußerten Bedauern, dass nur so
wenige Menschen mit stärkerer Hautpigmentierung das ausgewählte Restaurant
besuchten, konnte ich mich im Augenblick nicht guten Gewissens und ohne zu
Heucheln anschließen. Ich sagte nichts dazu. Ich entschuldigte mich aber für
meine spürbare geistige Abwesenheit und erzählte, was geschehen war.
Mein Menschenbild regenerierte
sich zum Glück relativ rasch, mein Abschiedsschmerz behielt einen nachhaltigen
Dämpfer, und unsere bevorstehende Rückkehr nach Europa gewann über Nacht sehr
an Attraktivität. Am nächsten Morgen und gerade noch rechtzeitig, erreichte
Juliane die Bitte unserer Vermieterin, die Hintertür der Wohnung beim Gehen offen
zu lassen. Die Mieterin im Erdgeschoss wollte das Apartment besichtigen,
nachdem wir gegangen waren. Kein Problem, sobald wir aus der Wohnung draußen
waren, ging uns das alles nichts mehr an. Unter großem Getöse, die Dinger waren
richtig schwer und sperrig, schleppte Juliane unsere Koffer über die krachende
und knarrende Holztreppe nach unten auf die front
porch, wo ich sie anschließend bewachte. Unser Aufbruch war nicht zu
überhören. Der junge Mann aus Usbekistan, der das letzte Jahr über uns gewohnt
hatte, half uns völlig überraschend und unaufgefordert mit den Unmengen an Gepäck.
Wir hatten uns schon vorher ein paar Mal unterhalten, und sein Mitbewohner und
er hatten auch schon unser Apartment besichtigt. Beide waren sichtlich
schockiert darüber gewesen, welchen Komfort man für seine Miete in den USA, das
heißt in New Haven, auch bekommen konnte. Und das im selben Haus. Und wir
sprechen hier nicht von Luxus, sondern von geraden Wänden, Vorhängen (von uns
gekauft und aufgehängt), funktionierenden Armaturen und Abflüssen sowie einer
Geschirrspülmaschine. Er begegnete uns zufällig zwischen all unseren Koffern
und Tragetaschen vor dem Haus und sprach uns an. Irgendjemand hatte gestern seine
Postpakete von der Veranda geklaut, und er hatte sich online ein Jackett für
sein Praktikum gekauft. Als ihm klar wurde, dass wir gerade auszogen, schleppte
er unsere Koffer und wuchtete sie sogar in den Kofferraum des gerufenen Ubers
ins Hotel. Wir bedankten uns bei ihm und wünschten ihm alles Gute für sein
bevorstehendes Berufspraktikum in London. Er studierte ein Fach und erlernte
einen Beruf, der ihn gemäß der herrschenden Vorurteile für die Rolle des
Samariters in der Not überhaupt nicht qualifizierte: Investmentbanker. Und
gerade als mir die freundliche schwarze Uberfahrerin den Sicherheitsgurt
angelegt hatte und losgefahren war, erhielt Juliane eine Kurznachricht von der
Vermieterin, ob sich unsere Nachbarin jetzt das Apartment ansehen kommen konnte,
eine Theologiestudentin aus Ohio.
Aus den beschriebenen Gründen
hielt sich meine Lust, das Hotelzimmer zu verlassen in Grenzen. Ich hatte mich
schon vor dem Zwischenfall am Barbershop auf der Straße nicht wirklich sicher
gefühlt. Im öffentlichen Raum fühlte ich mich als behinderter Mann immer
irgendwie als potentielles Opfer ausgemacht. In kurzer Zeit quatschte mich fast
immer jemand wegen Kleingeld oder sonst irgendwas an, und die seit zwei Jahren
täglich in Julianes Mailbox eintreffenden Polizeiberichte von Ronnell Higgins,
dem Chief of Police at Yale University, trugen auch nicht zu meiner Beruhigung
bei. Die Überfälle und Übergriffe häuften sich. Und Chief Higgins, einem
respektgebietenden breitschultrigen Afroamerikaner, kann wirklich niemand
vorwerfen, im Dienste von Hetze und Panikmache zu stehen. Im Gegenteil, sein
Auftrag und Anliegen war es stets, der Universitätsstadt Beruhigung und
Sicherheit zu vermitteln. Diesen Job erledigte jetzt für mich das Zimmer im New
Haven Hotel. Hier schloss sich für Juliane und mich auch endlich der Kreis. Wir
hatten die erste Nacht in New Haven in dem Haus verbracht und auch unsere
letzte. Während Juliane die abschließenden Wege erledigte, unsere
Handyrechnungen mussten bezahlt und noch einige Dinge aus der Apotheke abgeholt
werden, zog ich mich an den Schreibtisch zurück und schrieb meine Erinnerungen
an Tennessee und North Carolina nieder. Eigentlich hatte ich noch einmal an den
Lighthouse Point an die Bucht gewollt, aber weder das Wetter, strömender Regen,
noch meine Stimmung sprachen dafür. Ich verließ das Hotelzimmer nur, um ein
letztes Mal in der Box 63 in der Elm Street ein Jambalaya zu verputzen. Juliane
und ich trafen eine ihrer Kolleginnen zum Abendessen, die lustiger Weise auch
aus Wien stammte und mit deren Familie wir bereits Sylvester gefeiert hatten.
Das wurde ein freundlicher Abend und versöhnte mich zum Abschluss.
Bereits zu Mittag buchten wir aus
dem New Haven Hotel aus. Unser GoShuttle nach JFK war pünktlich, und wir waren
seine einzigen Fahrgäste. Den Fahrer kannten wir bereits, er stammte
ursprünglich aus Syrien und litt seit kurzem erst an einem Nierenleiden. Er
hatte so einiges zu erzählen und wollte auch einiges von uns wissen. Es wurde
eine angenehme und unterhaltsame Fahrt. Auch der Verkehr auf dem Highway nach
New York City präsentierte sich ruhig und entspannt. Ganz anders als erwartet.
Die Kehrseite der Medaille, aber jetzt nicht unbedingt ein Nachteil, wir hatten
noch sechs Stunden bis zu unserem Flug nach London. In aller Ruhe konnten wir
unsere Gepäckmengen einchecken und die Sicherheitskontrollen absolvieren. Endlich
wurde unsere lange gehegte Frage beantwortet, wer bitte diese Leute waren, die
mit Unmengen an Koffern und Trolleys verreisten und warum. Heute waren es
Juliane und ich, die solche Massen mit sich herumzerrten. Die restliche
Wartezeit verkürzten wir uns am Gate. Da von hier die transatlantischen Flüge
abgingen, war dieses besser mit Gastronomie und Shops ausgestattet. Fad wurde
uns nicht, es gab auch viel zu beobachten.
Auf unserem Inlandsflug nach
Knoxville, TN hatte ich unbeabsichtigt mitangehört, dass Fluggäste, die den
Special Service benötigten, vom Flugpersonal „Jackpot“ genannt wurden. Damals
war ich einer von zwei „Haupttreffern“ gewesen. Vor den Sicherheitskontrollen in
JFK war ein alter Mann in seinem Krankenfahrstuhl kollabiert. Uniformierte
standen ringsum, und ein Verwandter fächelte dem in sich zusammengesunken Mann
Luft zu. Ein dicker Speichelfaden troff aus seinem Mundwinkel, und ich
bezweifelte in meinem tiefsten Inneren, dass er seine Reise fortsetzen würde
können. Er erschien mir endgültig angekommen. Im nächsten Moment strömten
Menschen in freudiger Erwartung an ihre bevorstehende Flugreise vorbei. Am Gate
gegenüber, von wo beinahe zeitgleich mit unserem der Flug nach Kairo startete,
sammelte sich an diesem Nachmittag ein Topf von gezählten zwanzig Jackpots. Die
Special Service-Mitarbeiter des Flughafens stellten jeweils drei Rollstühle in
sechs Reihen für das Boarding zusammen. Zwei weitere warteten schon an der Tür
zur Fluggastbrücke. Beinahe im Minutentakt gesellten sich neue hinzu. In der
überwiegenden Mehrheit der Krankenfahrstühle saßen Frauen. Zu diesen
zahlreichen Flugästen mit besonderen Bedürfnissen traten am Beginn des
Boardings auch vier Mütter mit behinderten Kindern dazu. Natürlich wurde der
Transkontinentalflug von einem riesigen Flugzeug durchgeführt, trotzdem
berührte mich dieser Anblick sehr, und eigentlich wusste ich nicht wirklich,
was ich mit diesen Eindrücken anfangen sollte.
Waren die USA für mich zum Land
der unendlichen Widersprüche geworden, so bildete der JFK Airport einen
abschließenden Kulminationspunkt. Auf meiner einen Seite muslimische Frauen mit
Kopftuch und im Tschador, im Durchgang in der Mitte elegante Stewardessen in
hochhackigen Schuhen, und auf meiner anderen Seite das rothaarige Pin-up-Girl
mit dem Union Jack an der Nase unseres Airbus von Virgin Atlantic. Bei ihr war nur eines klar, nämlich dass sie nicht
Theresa May darstellte. Dann ging alles recht schnell, ich wurde über die
Fluggastbrücke gerollt, die Flugbegleiter übernahmen unser Handgepäck und
führten uns an unsere Plätze. Beim kurz laut werdenden Tumult, wer um alles in
der Welt zwei Gepäckfächer mit seinem Zeug vollgepackt hatte, schlugen Juliane
und ich die Augen nieder oder guckten beim Fenster hinaus. Zum Glück sah man
wegen der Gesichtsmasken aus dem Krankenhaus unsere schuldigen und ertappten Mienen
nicht.
Wir waren froh in London
umzusteigen, solange das Vereinigte Königreich dank der jüngsten Fristverlängerung
noch Teil der EU war. Trotz aller Brexit-Verwirrung zeigte sich Heathrow
diesmal für seine Verhältnisse gnädig. Keinesfalls reibungslos, aber
kooperativ. Nur eine Security-Mitarbeiterin kippte den Inhalt meiner Pillendose
in die Plastikschale an der Sicherheitskontrolle, als wären meine Tabletten
einfache Aspirin. Laut entsprechenden Erhebungen sind die grauen Dinger so
ziemlich der dreckigste Ort auf Erden. Und ein paar Männer in der Warteschlange
fanden es sinnvoller herum zu maulen, dass wir zu viel Zeit und Platz
beanspruchten, anstatt Juliane beim Einsammeln und Freiräumen des Rollbands zu
helfen. Der Special Service klappte diesmal, wir rollten pünktlich über die
Fahrgastbrücke in das Flugzeug nach Wien. Gerade hatten wir aufatmend und ohne
Blick zurück im Zorn die Studierenden von Yale hinter uns gelassen, hier
krachten wir in eine Reisegruppe Wiener Privatschüler. Dieselbe zur Schau
getragene innere Haltung bei etwas unterschiedlichem Background und in einem
völlig anderen Dialekt.
Obwohl der zweite Flug im
Vergleich zum ersten nur Kurzstrecke war, gestaltete er sich qualvoll. Das lag
weder am Personal noch am Flugzeug oder an den Mitreisenden. Nach einem
Transatlantikflug tut einem einfach alles weh. Am Flughafen Wien angekommen,
redete jeder Mitarbeiter wie selbstverständlich mit mir Englisch. Mit Juliane
sowieso. Auch in den USA hielten sie alle für eine Polin oder Russin. Das war
der erste merkbare Kulturunterschied. Fähigkeit und Bereitschaft, eine
Fremdsprache mit Gästen zu sprechen, waren schon in London ungleich größer
gewesen als in den USA. Wobei es in England natürlich aufgrund der
Landessprache noch nicht so aufgefallen war. In Wien fiel mir das unmittelbar
ins Ohr, da ich hier eigentlich erwartet hatte, in meiner Muttersprache angesprochen
zu werden. Aber genau wie ich es vor zwei Jahren beabsichtigt hatte, hatte ich
mein Aussehen völlig an die USA angepasst. Jetzt fiel ich in Tennessee oder New
York nicht mehr auf, dafür wurde ich in meiner Heimatstadt als Fremder begrüßt.
Es wird wohl etwas Zeit in Anspruch nehmen, mich meinem neuen alten Umfeld
wieder anzupassen.
Dass mit dem öffentlichen Raum in
Neuengland Grundsätzliches nicht in Ordnung war, zeigte sich an meiner
Verblüffung und Begeisterung darüber, wie gepflegt die Wiener Flughafenautobahn
und die Landschaft ringsum waren. Sogar die Raffinerie in Schwechat war im
Vergleich zu den Industrieruinen in Bridgeport eine Augenweide. Nur der Verkehr
erschien mir hektischer als gewohnt, und die beteiligten Autos winzig. Und der
zehnte Wiener Gemeindebezirk Favoriten, hierzulande übel beleumundet und sogar
verschrien, präsentierte sich meinen Augen sauber und aufgeräumt. Die
Gehsteige, Fassaden und Grünanlagen, nirgends Zeichen oder Spuren von Abfallhalden
und strukturellem Verfall. Das angesichts dieser Umstände aufkommende Gefühl
des Glücks und der Befriedigung kann, denke ich, nur nachvollziehen, wer
wirklich länger mit allen Höhen und Tiefen in den USA gelebt hat. Es mag wie
ein altväterlicher Kalauer klingen, aber wir haben in Europa keine Ahnung, wie
schön wir es nach wie vor auf unserem gemeinsamen Kontinent haben. Diese
Erkenntnis traf mich wie ein Faustschlag. Der Unterschied war gewaltig. Man
musste ihn bloß sehen. Das wäre jedoch auf beiden Seiten des Atlantiks
unerwünscht. Weshalb es mich nicht im Geringsten wunderte, dass
US-amerikanische Produktions- und Distributionsfirmen für Dreharbeiten in
Übersee ganze Straßenzüge europäischer Städte mit schwarzen Müllsäcken und
Graffitis verwüsten lassen, damit z.B. Hamburg (rosa Müllsäcke, gelbe bzw.
weiße Wertstoffsäcke) auf Leinwand und Bildschirm genauso scheiße aussah wie
New York City („A Most Wanted Man“,
2014, Lionsgate).
Größer als bei meinem ersten
Besuch im Allgemeinen Krankenhaus der Meduni Wien hätte der Kulturschock aber
nicht ausfallen können. Im Vergleich zum nicht für die breite Masse bestimmten Yale
New Haven Hospital brummten die riesigen Gebäude geschäftig wie Bienenkörbe.
Hier wurde sogleich beim Eintreten spürbar und augenfällig, wie viele Menschen
mehr Zugang zu medizinischer Versorgung hatten, und auch welche positive
Auswirkung das für die Bevölkerung brachte. Nichtsdestotrotz, in der
Frühlingssonne vor dem AKH habe ich an einem einzelnen lauen Morgen mehr Raucher
gesehen als an allen 730 Tagen in den USA zusammen. Im Restaurant des Yale New
Haven Hospitals gab es Cheeseburger und Pommes frites zu kaufen, im AKH
Zigaretten und Alkohol. Jeder Bevölkerung ihr ureigenes Gift.
Fortsetzung folgt…
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