Teil 40: Happy Holidays…. At last!
Julianes und mein Aufenthalt in den USA neigt sich dem Ende
zu. Das neue Jahr ist schon einen Monat „alt“, und über allem schwebt
gewissermaßen bereits das Ablaufdatum „1.April 2019“/ „Best before: 04/01/2019“.
Das legendäre und seit je her unfall- und prestigeträchtige
Kitzbühel-Wochenende ist auch vorbei. Und all das drängt einmal mehr den
Gedanken vom „Leben als Abfahrtsrennen“ ins Bewusstsein. Während der
Schussfahrt auf dem Zielabschnitt, die Zielfahnen vor Augen, taucht sie
unweigerlich auf, die unausweichliche Frage nach dem „Danach“: Was wird mit mir
geschehen, nachdem ich da unten mehr oder möglicherweise auch weniger
erfolgreich abgeschwungen habe? Und so ein, von vielen mit viel Bedeutung
versehenes Datum wie der Jahreswechsel, der kommt dem roten Zielbogen von Kitz
in der persönlichen Wahrnehmung recht nah. Und alle antretenden Athleten wissen
im Starthaus, die goldene Trophäen-Geiß gewinnt nur einer. Runter müssen sie
alle. Runter kommen nicht alle. Im Augenblick, wenn die Bretter unter den Füßen
rattern, die Oberschenkel brennen und einem der Wind um die Ohren pfeift,
herrscht noch angenehme, geschäftige Stille im Oberstübchen. Im Alltag ist es nicht
immer ein jubelnder Zielraum, der einen in Empfang nimmt. Und trotzdem, glaube
ich, sitzen wir alle in einem Boot, sobald es um wahrnehmbare Abschlüsse geht.
Die meisten Zielfahrten finden in alleiniger Privatheit statt. Nicht unbedingt
in Einsamkeit, aber auch das ist möglich. Wie dem auch sei, ob mit uns allein
oder in der Freundesschar, letztlich müssen wir den Käse, nachdem er gegessen
ist, wie die Kärntner sagen, selbst verdauen. Der Weg ist das Ziel,
formulierten die Buddhisten. Tatsächlich erfüllt die Reise mit einem
Glücksgefühl, die bevorstehende Ankunft äußert sich dagegen schon mal mit einem
Kloß im Hals. Insbesondere, wenn sich das Land der Verheißung wie schon
geschehen als Hölle auf Erden gestaltet. Nicht alles lässt sich einfach hinunterschlucken.
Vieles bleibt schwer im Magen liegen. Zumindest bei Letzterem weiß ich wovon
ich rede, ich musste mich vor kurzem erst einem Eingriff eben da, Speiseröhre
und Magen, unterziehen. Alles gut gegangen, dennoch wie ein Lehrstück. Weil,
als mein operierender Arzt in mir „drinnen“ war, bemerkte er, dass doch alles
ganz anders war als vorab angenommen. Nicht schlimmer oder besser, schlicht
anders. Und mittlerweile kam ich zu dem Schluss, dass dies unter Umständen die
einzige schlüssige Antwort auf die Frage nach dem „Danach“ ist: Alles kommt
anders.
Nachdem sich also das Ablaufdatum unseres Aufenthaltes in
Connecticut erst einmal wie das biblische Menetekel an der Wand manifestiert
hatte, ging es mir vor diesen warnenden Worten an der Wand wie dem Karnickel
vor der Schlange. Ich war vor Schreck zunächst gelähmt. Was sollte ich noch
weiter in meiner Rolle als „Ösi in Connecticut“ auf das digitale Papier
bringen, wo ich doch eigentlich schon gar nicht mehr da war? Viele Mitmenschen
fragten uns, ob wir bereits unsere Siebensachen zu packen begonnen hätten, oder
wie es nun „mit uns weitergehen“ würde. Ja, gute Fragen. Und auch durchaus
wohlwollend gemeint. Aber die Wirkung, die diese Fragestellungen hervorriefen,
war naturgemäß eine andere. Das Kaninchen gilt den meisten als Schisser oder
als Feigling, Auge in Auge mit der Gefahr erstarrt es. Nur der US-amerikanische
Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817-1862) hatte in seinem
berühmtesten Werk „Walden“ seine Beobachtung aufgeschrieben, dass es sich bei
den so übel beleumundeten Tieren in Wahrheit um überaus tapfere Zeitgenossen
handelt. Sie wissen um ihre Verletzbarkeit als so genannte Beutetiere, trotzdem
wagen sie sich jede Dämmerung aufs Neue hinaus an den Waldesrand. Woran sich
die alte und inzwischen gemeinhin bekannte Feststellung anschließen lässt, dass,
wer keine Furcht kennt, kein Held ist, sondern ein Idiot. Die Heldin und der
Held stellen sich ihrer Angst und überwinden sie. Und ich denke, je
grundlegender und tiefer verwurzelt dieser Schrecken ist, umso größer der
Heldenmut. Und ich glaube weiter, dass es für nichts mehr Mut im Leben braucht
als für einen Neuanfang.
Mit dem 6. Jänner waren die zwölf Tage von Weihnachten
abgeschlossen. Die Holiday Season hatte damit ihr kalendarisches Ende gefunden.
Weihnachtsbaum und Weihnachtsschmuck verschwanden aus den Wohnzimmern und aus
der Öffentlichkeit. Es wäre nicht New Haven, wäre kein herrenloses und
abgeschmücktes Nadelholz über Nacht in unserem Vorgarten „entsorgt“ worden.
Gott ist gerecht, immerhin die Schrauben des Christbaumständers steckten noch
im Schaft. Ein geringer Trost. In Wahrheit wird nämlich dieser fatale Verlust
niemanden kümmern. Der nutzlos gewordene Ständer wird weggeworfen und durch
eine Neuerwerbung ersetzt werden. Das ist der Kreislauf des hiesigen Lebens:
Konsumieren und Abfall. Besagter Baum war übrigens nur wenige Stunden nach
Sonnenaufgang wieder von unserem Grundstück verschwunden. Er liegt bis heute im
Nachbargarten. Dabei stellt die ordentliche Entsorgung eines Weihnachtsbaums
keinerlei Problem dar. Nachdem Juliane und ich im letzten Jahr vergeblich nach
so etwas wie einer Christbaumsammelstelle gesucht hatten wie wir sie aus Wien
kannten, erfuhren wir, dass es hierzulande reicht, seinen Nadelbaum zum
Zeitpunkt der Müllabfuhr neben seine Tonnen an den Straßenrand zu stellen. Der
„Landfill“ wird abgeholt und, nomen est omen, irgendwo in der Landschaft
deponiert. Aus den Augen aus dem Sinn. Bis die ganze Pracht an Bahndämmen,
Uferböschungen und Waldrändern wieder zu Tage quillt. Aber nicht, dass sich
daraus irgendeine wie auch immer geartete Erkenntnis bemerkbar machen würde.
Die Feiertage waren zusätzlich von einem folgenschweren
Ereignis überschattet, dass als der längste „Government Shutdown“ in der
Geschichte der Vereinigten Staaten bekannt werden sollte. Dieser finstere
Eintrag in die Historienbücher warf ein bemerkenswertes Licht auf ein weiteres Verdrängtes
dieses Landes: Die US-amerikanische Mittelschicht kann es sich nicht leisten,
auf bloß einen Gehaltsscheck zu verzichten. Das Ausbleiben eines einzigen
Monatsgehalts wird zur Existenzbedrohung. Nicht für irgendwelche Randgruppen,
sondern für Staatsbedienstete. Nicht für die „üblichen Verdächtigen“, die da
wären: prekäre Existenzen wie Studienabbrecher, Langschläfer, „Künstler“ (nur
echt mit Gänsefüßchen) oder Orchideenfachakademikerinnen. Betroffen waren unter
vielen anderen Fachkräfte der Flugsicherheit und Exekutive. Von diesen Menschen
wurde wie selbstverständlich erwartet, dass sie ohne Bezahlung
weiterarbeiteten. Die meisten taten es, und unser aller Dank sei ihnen
versichert. Andere meldeten sich krank. Wieder andere kündigten. Allen voran IT-Experten.
Das Resultat sind ernste Sicherheitslücken innerhalb der staatlichen
Infrastruktur. Und frischgerodete Lichtungen in naturgeschützten mehrhundertjährigen
Wäldern. Viele Familien verkauften in der Folge des finanziellen Engpasses ihre
Autos. Unzählige konnten ihre Kreditrückzahlungen und fixen Kosten nicht mehr
aufbringen. Und viele Kinder mussten mit Erdnussbutterbroten gesättigt werden.
„Ernährt“ trifft es nicht. Und während also an allen Ecken und Enden das „unter
den Teppich gekehrte“ ans Licht drängt, warte ich immer noch auf das aufklärende
Moment, auf den notwendigen Kehraus. Alles, was ein Europäer über die US-amerikanische,
als „westlich“ globalisierte Gesellschaftsordnung wissen muss, erfahren sie und
er aus dem Weihnachtslied „Rudolph the Red-Nosed Reindeer“ (Robert L. May,
1939!): Andersartigkeit wird ausgegrenzt, bis sie ausgebeutet werden kann.
Hätte Rudolphs rotleuchtende Nase nicht Santa und seine anderen acht Rentiere
sicher durch den Nebel am Heiligen Abend geführt, er hätte sich wohl im
Supermarkt ein Sturmgewehr gekauft.
Nichtsdestotrotz gelang es mir dieses Jahr, mich mit
Weihnachtsliedern, Christbaumkugeln und Lichterketten in Feiertagsstimmung zu
versetzen. Tatsächlich war mir das sehr gut gelungen. Ich hörte alle im
Internet erhältlichen Playlists der klassischen amerikanischen Christmas Songs.
Die klassischen, weil ich mit den „modernen“ nichts anfangen kann. Mir sind die
zeitlosen Crooner wie Bing Crosby, Frank Sinatra und die Andrew Sisters immer
noch allemal lieber als jede mit einem gut sichtbaren Ablaufdatum versehene Hip
Hop-Combo. Und die Abrufstatistiken bestätigen, dass ich damit zur Mehrheit
gehöre. Ist es wirklich nur die Musik alleine, oder zeigt sich daran die
allgegenwärtige und dennoch oft verleugnete Sehnsucht nach Beständigkeit? Nach
einer Sicherheit, wie sie angeblich in den 1960iger-Jahren noch geherrscht hat?
Als ein (weißer) Alleinverdiener locker seine Familie, zwei Autos und ein
Studium finanzieren konnte. Und eine Krankheit oder ein Unfall nicht den
Bankrott bedeuteten. Stammt nicht von mir, sondern von Bill Maher. Meiner
Meinung nach nehmen die Sechzigerjahre in der Erinnerung und der
Selbstdefinition der USA mittlerweile eine Rolle ein, die im vollen Ausmaß der
Verklärung nur mit dem Viktorianischen Zeitalter im Vereinigten Königreich vergleichbar
ist. Oder mit der Ringstraßenzeit in Österreich – jener Endzeit der
Habsburgermonarchie, die in Anlehnung an die epochale Verklärung der
zeitgleichen Gründung des Deutschen Reiches in den österreichischen Medien auch
immer öfter wie in Deutschland Gründerzeit genannt wird. Kurz: Was
Viktorianische Zeit, Ringstraßen- und Gründerzeit für Europa sind, das sind die
Sechziger für die USA, eine Projektionsfläche aller Sehnsüchte und Wünsche nach
vergangenem Wohlstand und Sicherheit. „I am dreaming of a white
Christmas!“ Und: „There is no place like home for the Holidays!“ Ab diesem Zeitpunkt ging es in der
eigenen Wahrnehmung nämlich rasant bergab. Zielschuss. Dass dieses Wunschbild
nichts mit der Realität zu tun hat, weder in der Vergangenheit noch in der
Gegenwart, brauche ich hoffentlich nicht extra zu schreiben. Das volle Ausmaß
dieser Beschönigung drängt sich mit dem für mein Empfinden hierzulande allgegenwärtigen
Rassenbegriff auf. Beim Ausfüllen meiner Fragebögen beim Arzt unterdrücke ich
jedes Mal den plötzlichen Impuls bei „Rasse“ einfach mal „Pferd“ anzugeben. Aus
meiner Vollnarkose wurde ich mit einem Wutanfall geweckt, als mir ein Pfleger
erstaunt bescheinigte, dass ich ja „weiß“ bin. Schau an, da wäre ich nie
draufgekommen. Und aufgrund des Drogencocktails in meinem Blut habe ich meinem
Ärger auch frank und frei Luft gemacht. Bis mich die Gattin zur Ordnung gerufen
hat, die zum Glück schon neben meinem Bett gesessen hatte. Gerade als ich
ausholte und auf Joseph II. und sein Verbot von Leibeigenschaft und Sklaverei
von 1781 zu sprechen kommen wollte. Irgendwas ist in meinem Hirn wurde falsch
verlötet…
Am 21. Jänner begangen wir – thematisch passend – mit dem
Martin Luther King Day nach dem Dreikönigstag den wirklich letzten Feiertag der
so genannten Holiday Season. Jener langen Reihe aus Feiern mit durchwegs
religiösem Hintergrund. Martin Luther King Junior war bekanntlich auch
promovierter Theologe und Reverend. Wie übrigens auch die meisten führenden
Abolitionisten. Und da schaut einen auch gleich wieder ein Janushaupt aus allen
Richtungen an (9. Januar, Agonium zu Ehren des römischen Gottes Janus): Obwohl
sich von November bis Jänner ein vorgeblich christlicher, in Wahrheit
synkretistischer religiöser Festtag an den nächsten anschließt, muss im allgemeinen
und vor allem im offiziellen Wortverkehr tunlichst jeder religiöse Bezug
vermieden werden. Alle Jahre wieder wird im selben Zeitraum wie das christliche
Weihnachten das jüdische und ältere Hanukkah begangen. Auch ein Lichterfest. Klar,
denn wenn einem in der Finsternis um die Wintersonnenwende zum Jahreswechsel immer
noch kein Licht aufgeht, schmeißt man sich aus dem Fenster.
Diese Dichte an weltanschaulichen Events macht es mir
tatsächlich fast unmöglich jedes Fettnäpfchen zu vermeiden. Sogar als
orthodoxen Jünger der modernen Sprachregelungen. Denn dieses betuliche Vermeiden
macht ja den Elefanten im Raum, den leuchtenden Christbaum oder den entzündeten
achtarmigen Leuchter, erst so richtig erlebbar. Und ich muss gestehen, mir geht
das ständige Angsthaben vor moralischer Schelte inzwischen ordentlich auf den
Heiligen Geist. Ich feiere halt Weihnachten, darum wünsche ich „Frohe
Weihnachten!“ Mit demselben Selbstverständnis wünsche ich „Happy Hanukkah“ oder
„Alles Gute zum Opferfest!“ Dieses Empfinden ist für mich mehr als Toleranz, es
bedeutet für mich Gemeinsamkeit. Aber ich bin auch schon ein etwas angejahrter
Europäer und Österreicher, der sich inzwischen wie viele andere auch fragt: Was
zum Teufel ist zwischen „Oben ohne“-Sonnenbaden und dem Burka-Verbot an
Pflichtschulen geschehen? Okay, der Zug ist ohne mich abgefahren. Der Freiheit
der Achtziger- und Neunzigerjahre kann ich nur hinterher winken. Auch den in
den letzten beiden Jahrzehnten immer weiter schrumpfenden Karfreitagsfrieden.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich als Kind am Karfreitag vor verschlossenen
Türen von Geschäften, Kinos, Theatern und Museen stand. Heute ist Karfreitag
ein Wochentag wie jeder andere. Außer für Protestanten und ihre besondere
Unterart, die Karfreitagschristen. Angesichts der jüngsten Ereignisse und einem
Präzedenzfall (obgleich es im österreichischen Recht keine gibt) in meinem
Ursprungsland frage ich mich, ob ich als Amazon-Kunde ohne Prime-Abonnement
nicht alle Prime-Vorteile auch ohne bezahlter Mitgliedschaft für mich einklage.
Von wegen der Gleichbehandlung und so. Aber auch in diesem Falle entscheidet
wohl, Bares sticht Gesinnung. Und Kirchensteuer gilt nicht.
Mittlerweile, nach zwei Jahren USA, habe ich aber verstanden,
welch Geistes Kind das hierzulande geradezu hysterische Verschweigen jedweder
Konfession außer der First Church of Income hat. Nur vor der wahrhaftig allein
selig machenden und vor allem und jeden gleich stellenden Allmacht des Dollars
hat jede und jeder das Knie zu beugen. Und nahezu alle werfen sich zu Boden. Und
der Ursprung dieser Besessenheit findet sich tatsächlich im ersten bzw. zweiten
Feiertag der Holiday Season: Thanksgiving. Die Zählung unterscheidet sich je
nachdem, ob jemand Halloween mitrechnet oder nicht. Viele tun es nicht. Aber
nicht, weil der Festabend zu kommerziell wäre, sondern weil er ganz
offensichtlich des Teufels ist. Halloween verkörpert alles, was diese
Gesellschaft nach außen nicht sein möchte: Geil, gierig und begeistert. Aber
als obersten Repräsentanten des Status quo wählte man einen Kürbisplutzer ins
Weiße Haus. Und ja, da schließt sich der Kreis zu den Gründervätern.
Am Anfang erschuf Abraham Lincoln Ursprung und Herkunft
seiner Nation. Mit dem „ehrlichen Abe“ saß in überaus stürmischen Zeiten ein
Republikaner von gänzlich anderem Format im Weißen Haus. Mit seiner
Unterschrift erklärte er 1863 Thanksgiving zum nationalen Feiertag und die
Pilgrims und Puritaner von Plimoth Plantation zu den Gründungsvätern der USA.
Religiös fundamentalistische Einwanderer aus Großbritannien bzw. den
Niederlanden, die 1620 mit dem Schiff „Mayflower“ in Neuengland gelandet waren.
Zu einem Zeitpunkt, als Europäer schon zweihundert Jahre mit den ortsansässigen
Natives Handel getrieben hatten und in Jamestown, Virginia, bereits seit 1607
bzw. 1620 eine vollorganisierte Stadt und britische Kolonie existierte. Das
französische Quebec gab es schon seit 1535 bzw. 1608. Und fast möchte man
höhnisch ausrufen: „Typisch für die Geschichte der USA!“, die frommen Leutchen
hatten sich mal wieder gehörig verfranzt. (Genau wie Columbus, der sich ja auch
zeitlebens in der Karibik in Indien wähnte.) Die Puritaner wollten ins sonnige
Virginia. Gelandet sind sie im herbstlichen Cape Cod in Massachusetts, rund 620
Meilen bzw. rund 1000 Kilometer weiter nördlich. Im durch eine Seuche nahezu
entvölkerten Nirgendwo in der Mitte zwischen Quebec und Jamestown. Im Nirgendwo
nur für Europäer, für die Natives war das Wampanoag-Land. Tatsächlich zum
ersten Mal gefeiert wurde Thanksgiving offiziell erst 1870. Und den
aufmerksamen Lesern wird nicht entgangen sein, dass zwischen 1863 und 1870 der
Amerikanische Bürgerkrieg (1861-1865) und die Reconstruction (1863-1877)
stattfanden. 1863 befand sich also die wirkliche Wiege der englischsprachigen
USA, Jamestown in Virginia, in den Konföderierten Staaten von Amerika. Das
stellte die Vereinigten Staaten vor ein ernstes Legitimationsproblem. Lincoln
erklärte mit Thanksgiving nicht nur einen nationalen Feiertag an dem Truthahn
verputzt wird, er schrieb die US-amerikanische Geschichte neu. Er machte mit
einem Federstrich die Kolonie von Plymouth zur Wiege der USA und den Mayflower
Compact zum Vorläufer der Unabhängigkeitserklärung und der US-Verfassung. Weil
es sich dabei um eine Übereinkunft der Kolonisten handelte, die die
Unabhängigkeit von Virginia erklärte, allerdings auch die Treue zur englischen
Krone. Ein Schritt, der tatsächlich mehr geografisch als politisch notwendig
geworden war. Die Mythenbildung ging im neunzehnten Jahrhundert so weit, dass
sogar der Felsen am Strand ausfindig gemacht wurde, auf den der erste Pilger
seinen Fuß gesetzt hatte: Plymouth Rock. Eine nationale Pilgerstätte bis zum
heutigen Tag. Die ganze Legende wurde so oft wiederholt und mit Reliquien vor
Ort begreifbar gemacht, bis sie zur Realität wurde. Dabei ist die ganze
Geschichte wie so vieles andere „bloß“ ein Glaube. Just an dieser Stelle könnte
die eine oder der andere sich jetzt zurücklehnen, wissend lächeln und sich
denken, dass es sich nun einmal so verhält bei den Religiösen, Patrioten und
Nationalisten. Gäbe es da nicht auch den Fall Relotius.
Es sind jedenfalls genau solche Orte und Umstände, die mich
magisch anziehen. Ein Aufenthalt in den Vereinigten Staaten ohne die „Wiege der
USA“ und den Ort des „ersten“ Thanksgiving-Festes gesehen zu haben, war für mich
undenkbar. Und zum Glück ist Juliane immer wieder bereit, meine Grillen zu
unterstützen. Also buchten wir uns ein ZIP-Car und ein Hotel und machten uns
auf den Weg nach Plymouth, Massachusetts.
Zu Thanksgiving waren wir gerade in Europa, also trafen wir
mit zwei Wochen Verspätung am Ort des Geschehens ein. Fast hätte ich „am Ort
des Verbrechens“ geschrieben. Freud hätte seine Freude mit mir. Kein Spaß ist
es dagegen gewesen, mit einem weißen VW über den Highway zu fahren. Ich weiß
nicht, woran es genau gelegen hat, am Abgasskandal, an den aktuellen
politischen Ressentiments gegenüber Deutschen oder schlicht am Futterneid? Ein
deutscher Sedan, eine Limousine, ist nicht zuletzt auch Statussymbol. Alle
finden es blöd, aber jede und jeder will es in Wahrheit auch besitzen.
Unterwegs im weißen Jetta machte ich alle Erfahrungen auf dem Highway, über die
Amerikaner bisher zu mir klagten. In einem Ford oder Dodge war mir das alles
nicht widerfahren. Es gibt sie also auch in den USA, die Drängler und
Schneider, allerdings in weit geringerer Anzahl als auf europäischen
Autobahnen. Und eine US-amerikanische Automarke erregt ihr Interesse nicht. Nur
ein ausländisches Modell. In Signalfarbe. Trotzdem war die Anreise im Indian
Summer landschaftlich einmal mehr eine Augenweide und wir kamen gut auf dem
Hotelparkplatz an. Zeitgleich mit einer Familie mit zwei kleinen Kindern. Und
obwohl es erst später Nachmittag gewesen war, war es hier an der Atlantikküste
im November bereits stockfinster und eiskalt. Die Mutter brachte die Kleinen
also auf direktem Weg und möglichst geschwind ins Warme. Den Papi ließen sie
mit dem Gepäck alleine. Was sich als keine besonders gute Idee herausstellte.
Daddy holte sich einen Gepäckwagen aus der Lobby und belud ihn irgendwie, ohne
Plan oder Gewichtsverteilung, mit dem beträchtlichen Inhalt seines Kofferraums.
Diese gefährlich schwankende Skulptur schob er dann mit hohem Tempo auf die
halbautomatischen Glastüren des Hotels zu. Halbautomatisch, das heißt, die
Türen öffneten sich selbsttätig auf Knopfdruck. Dieser Vorgang beinhaltete
logischerweise eine gewisse Zeitverzögerung vom Betätigen des Türöffners bis
zum Durchschreiten des Eingangs. Langer Rede gar kein Sinn: Daddy krachte
insgesamt drei Mal mit voller Wucht in die Türflügel. Bei den beiden ersten
Aufprallen krachte und knirschte es lautstark in den Reisetaschen und Koffern,
beim dritten Einschlag stürzte der schiefe Turm von Daddy in sich zusammen. Ich
weiß das alles, weil Juliane und ich hinter der Gepäckmuräne festsaßen, bis der
genervte Familienvater mit Fußtritten und Taschenwürfen den Weg ins Warme frei
geräumt hatte. Natürlich nicht, ohne sich mit großer Geste für die
Unannehmlichkeiten seiner Ungeschicklichkeit zu entschuldigen. Und genau hier
lag der Hase im Pfeffer: Dieser Typus „überforderter Familienvater“ begegnete
Juliane und mir nicht zum ersten Mal. Und wir konnten und können uns des
Eindrucks nicht erwehren, dass es sich dabei um eine Masche handelt. Um eine
Genderrolle, wenn man so möchte. Die funktionierte so: Daddy ist ein typischer
US-amerikanischer weißer Mann mittleren Alters, also selbst noch ein Kindskopf,
der sich für Sport, laute Motoren, Grillen und Dollars interessiert. Er geht
den natürlichen Weg des Erwerbstätigen: Job, Freundin, Familie. Der weiblichen
Hälfte seines Arrangements kommt der „vernünftige“ oder „praktische“ Part zu.
Mommy managt den Nachwuchs und den Haushalt. Also stellt sich Daddy beim
Ausladen des Familienautos, beim Windelwechseln und bei der Kinderhege
möglichst patschert an. Außer bei Geldverdienen, Sport und Leibesübungen, die
sind ja seine Domäne. In unserem konkreten Fall sind garantiert etliche
eingepackte Sachen beim einfachen Versuch eine halbautomatische Hoteltür zu
durchqueren zu Bruch gegangen. Mutter wird beim nächsten Mal den Wagen wieder
selbst ausräumen, Vater ist ja zu ungeschickt. Ein tolles Modell, um Mitarbeit
im Haushalt zu verhindern und um konservative Rollenklischees aufrecht zu
erhalten. Hunderte Familienväter und Männer, die im Haushalt helfen, und die zu
alldem problemlos in der Lage sind, schaffen dem keine Abhilfe. Die sind ja
dann keine „richtigen Männer“, nehme ich an.
„Happy wife, happy life!“, ist trotzdem eine unbestechliche
Weisheit, die uns der große Philosoph Sylvester Stallone mit auf den Lebensweg
gab. Kaum in unserem Hotelzimmer eingezogen, bemerkte Juliane unter Gezeter und
Wehklagen, dass ihr Haarspray aus war. Als guter Ehemann wusste ich natürlich
sofort, was es zu tun galt: Hinein ins Auto und noch vor dem Abendessen in der
nächsten Drogerie eine Dose Haarsprühlack erwerben. Weil es wie gesagt bereits
stockfinster war, fühlte sich diese Expedition ins Haarpflegeproduktregal doch
recht mitternächtlich an. Zu allem Überdruss war die Einfahrt von „CVS“ von
Einsatzfahrzeugen, Sheriff und Ambulanz, blockiert. Wie im Film. „Walgreen´s“
gegenüber hatten wir im Dunkeln übersehen. Was genau bei CVS vorgefallen war,
erfuhren wir nicht. War vielleicht eh besser. Nur kurze Zeit später saßen wir
in einem Hafenlokal beim Abendessen, glücklich und zufrieden und mit einer frischen
Dose Haarspray in der Handtasche.
Dieses tiefe Gefühl der Zufriedenheit überdauerte die Nacht
nicht. Der Grund war eine defekte Notausgangleuchte. Dieselbe brummte pausenlos
in schlafraubender Lautstärke, die selbst Ohrenstöpsel durchdrang. Schlafentzug
ist etwas, dass sich auf das Gemüt meiner Gattin nicht gerade positiv auswirkt.
Auf meine auch nicht, ich bin bloß in meiner Aktivität aus bekannten Gründen etwas
eingeschränkter. Kaum hatte ich die Umstände in ihrer vollen Tragweite erfasst,
war Juliane auch schon aus dem Bett und an der Rezeption. Wiederum nur kurze
Zeit später zogen wir um. Auf dem Hotelgang und im Pyjama traf ich Daddy
wieder. Der trug Badehosen und seinen Jüngeren auf dem Arm. Wir wechselten
schläfrige Blicke. Während ich von einem ins nächste Bett schritt, sollte er
seine Leibesfrucht im Hotelpool ermüden, weil er die ältere Schwester am
Einschlafen hinderte. Boys will be boys…
Am nächsten Morgen, sonnig mit azurblauem Himmel und saukalt,
war es dann endlich soweit: Plimoth Plantation,
die detailgenaue Rekonstruktion der „Plymouth Colony“ auf dem archäologisch
bestätigten Originalort. Einer Hügelkuppe an der Mündung des Eel Rivers, an dem
vor und nach den Pilgern niemand mehr gebaut hatte. Aus guten Gründen. Heute war
das Museumsdorf das Ausflugsziel zahlreicher Schulklassen. Und ich fühlte mich
augenblicklich an meine Zeit auf diversen Niederösterreichischen
Landesaustellungen erinnert. Die Kinder waren allesamt sehr brav und
interessiert, dennoch klingelten geschwind die Ohren. Der Lärmpegel im
Eingangsbereich war enorm. Die Mädchen und Buben sollten sich klarerweise am
Jausenplatz und auf der Spielwiese austoben, damit sie während der Führungen
und Aktivitäten bei der Sache blieben. Und das System funktionierte auch hier
bestens.
Das Freiluftmuseum ist seit kurzem in zwei Abschnitte
unterteilt, das Wampanoag-Dorf und das Pilger-Dorf. Die Siedlung der Natives
liegt am Ufer des Eel Rivers und am Fuße des eigentlichen Siedlungsberges. Die
Vorfahren der heutigen Wampanoag siedelten ebenfalls auf der Kuppe, ihre
Nachfahren bebauen den Berg bis heute nicht mehr. Er ist tabu. Nicht der exakte
Begriff, aber er trifft es ziemlich genau. Bevor wir die Rekonstruktionen von
Winter- und Sommerwigwams erreichten, mussten wir im Wald an einer Hinweistafel
vorbei. Die war so mitten im Weg aufgestellt, dass sie niemand übersehen
konnte, kurz vor einer scharfen Abbiegung nach rechts hangabwärts. Auf dieser
Tafel waren genaue Instruktionen aufgelistet, wie die Besucher sich gegenüber
den Natives zu verhalten hatten. Die Anweisungen lasen sich für meine
europäischen Augen zunächst befremdlich. Punkt eins stellte klar, dass die hier
arbeitenden Natives anders als die Mitarbeiter im Pilgerdorf nicht kostümiert
waren, sondern ihre traditionelle Kleidung trugen. Männer sollten nicht mit „Hi
Chief!“ und Frauen nicht mit „Hello, Squaw!“ gegrüßt werden. Weiter fand ich
eine Reihe von Themen, die nicht angesprochen werden sollten. Dass diese
Regelungen wechselseitig waren, erfuhren wir erst später. Es gab Inhalte, die
beiderseitig nicht berührt werden sollten, um das fröhliche Erlebnis nicht mit
der historischen Realität zu trüben.
Und die Nachstellung der Lebensumstände der Wampanoag zum
Zeitpunkt des Eintreffens der Pilger war wirklich sehr anschaulich. In den
Wigwams für bis zu acht Kernfamilien brannten die Feuer, zwei Stammeskrieger
bauten auf traditionelle Weise einen Einbaum (was sie so adjustiert garantiert
nie gemacht haben, aber egal), und eine Frau kochte einen Gemüseeintopf. Als
sie die versammelten und staunenden Schulkinder fragte, welches Gemüse sie wohl
in ihrem Topf kochte, riefen alle wie aus einem Mund: „Chicken!“ Okay, Hühnchen
war also die einzige logische Antwort auf die Frage, was in einem Kochtopf
garte.
Durch den Wald ging es weiter hangaufwärts. An einer Biegung
des Waldweges begegneten wir einem niedlichen Streifenhörnchen, das etwas
rötlicher gefärbt schien als die in New Haven. Nach dieser kurzen Umarmung mit
der Natur fanden wir uns vor einem modernen Besuchergebäude mit mehreren Werkstätten.
In dem modernen Gebäude wurde auf traditionelle europäische Weise getöpfert,
gebacken und so weiter. Und ein Angehöriger der First American Nations stellte
authentischen Kopfputz für Krieger her. Aus Stachelschweinnadeln und mit
Naturfarben. Und so begab es sich, dass eine Packung Eier zu einem typischen
Missverständnis führte: Mit dem Wissen, dass die prächtigen Farben mit
Naturpigmenten selbst hergestellt wurden, wandte sich Juliane an den Mann und
fragte ihn, wofür er die Eier gebrauchte. Genau wie ich, dachte sie dabei an so
etwas wie Eitempera-Farbe. Der Handwerker lachte in sich hinein und antwortete,
dass die Eier „für seinen hungrigen Native-Bauch“ gedacht waren. Das war
Juliane und mir kurz peinlich. Nachdem sie dem Mann erklärt hatte, was sie
gemeint hatte, war dieser Moment auch gleich wieder vorbei. Die Frage nach dem
Bindemittel fand er gut nachvollziehbar. Er erklärte uns also seine
Arbeitsweise. Nachdem offensichtlich war, dass wir Europäer waren, erzählte er
uns auch von seinen Problemen. Hinter vorgehaltener Hand. Sagte er zu Besuchern
das „Falsche“, konnte er echte Probleme bekommen. Wobei „das Falsche“ in seinem
Fall „die Wahrheit“ war. Eltern und Gäste liefen zur Geschäftsführung, um sich
zu beschweren, sobald er von Zwangsübersiedlungen und Völkermord berichtete,
wie sie seiner Familie und seiner First Nation angetan wurden. Von weißen
Siedlern, die den „Stamm“ aus Vermont nach Kanada vertrieben hatten. Die
Nachfahren dieser Siedler wollten, wie unser neuer Freund sich ausdrückte, von
Geschichte als Tatsachenbericht nichts erfahren, sie wollten die
Hollywood-Version erzählt bekommen. Die abstruse Geschichte von Cowboy und
Indianer, wie sie sich sogar in einem US-amerikanischen Weihnachtslied findet.
Dass die First Nations der Ostküste wenig bis gar nichts mit den
Prärieindianern gemeinsam haben, hatte ich ja bereits an anderer Stelle
erwähnt. Trotzdem erscheinen John Wayne und Kollegen bis heute vielen
glaubwürdiger als jeder Historiker und jede Wissenschaftlerin. Und auf jeden Fall
vertrauenswürdiger als die Nachfahren der Vertriebenen. Denen wird selbst von
Gebildeten bedenkenlos und reflexartig ein „verdrehtes/ distorted“
Geschichtsbild unterstellt. Was hier allerdings wirklich verdreht war, war die
Tatsache, dass unserem Gesprächspartner, nachdem er mit einem französischen
Fernsehteam offen und ehrlich gesprochen hatte, von der Museumsleitung mit der Abschiebung
zurück nach Kanada gedroht wurde.
Eine bemerkenswerte Variante amerikanischer aber vor allem
europäischer Geschichte der frühen Neuzeit wussten auch die kostümierten
„Bewohner“ des Pilgerdorfes zu berichten. Als ein Maulheld mit Schlapphut über
den Kaiser polterte, bekam ich einen besorgten Seitenblick von meinem Eheweib,
aber ich hatte keine Lust, mich mit einem Schauspieler über seine Rolle zu
streiten. Nein, so baute man damals wirklich nicht in Europa. Das Dorf in
seiner Ärmlichkeit ist gerade darum überaus anschaulich. Am höchsten Punkt des
Siedlungsberges wurde die erste Kirche aka Gemeindehaus aka Festung errichtet. Ein
recht massiver rechteckiger Stadel, eine Scheune. Von dort reicht der Blick
weit auf den Atlantik hinaus. Hangabwärts in Richtung der See reiht sich eine
winzige, tatsächlich windschiefe Hütte entlang der Leiden Street an die
nächste. Offensichtlicher hätte die Unterschiedlichkeit der beiden Kulturen,
die hier aufeinandertrafen, gar nicht zutage treten können. Auf der einen Seite
des Hügels Gemeinschaftshäuser, Wigwams, für bis zu acht Familien. Auf dieser,
eine winzige Holzkonstruktion mit Anbaufläche und Gartenzaun ringsum für
jeweils eine Familie. Zum Sachem einer First Nation wurde gewählt, wer den
meisten Besitz verteilte. Zum Gouverneur dieser Kolonie wurde gewählt, wer den
meisten Besitz anhäufte. Aber den eindrücklichsten Anschauungsunterricht boten
ungewollt einmal mehr die Kinder:
In den Pferchen und auf den Weiden zwischen den Hütten wurden
Haustiere gehalten. Gut wie es schien. Ziegen und Schafe grasten wollig und
zufrieden hinter den Zäunen. Hühner liefen frei im Dorf herum. Darunter ein wunderbarer
Hahn. Ein großes und farbenfrohes Exemplar. Einige unbeaufsichtigte Buben
begannen den Hahn zu hetzen. Als sie Steine aufhoben, um nach ihm zu werfen,
wurde es Juliane zu bunt. Sie zog die Jungen für ihre sinnlose Grausamkeit
gegenüber einem harmlosen Haustier zur Rechenschaft. Die Erklärung, die sie
bekam, bereitete uns Gänsehaut: Man müsse den Hahn jagen, bevor er angreift. Das
war wortgleich dieselbe Rechtfertigung für alle Indianerkriege und das Pittsburgh
synagogue shooting, das nur wenige Wochen zuvor, Ende Oktober, stattgefunden
hatte: Alles Fremde und Andersartige jagen und töten, bevor es einen angreift.
Das war ganz offensichtlich eine Logik, die der weißen USA nach wie vor zu
eigen ist. Seit den Pilgervätern wird sie weitergegeben und praktiziert.
Als jene Pilgerväter, die Separatisten, wie ihre Zeitgenossen
sie nannten, hier eintrafen, gingen sie buchstäblich über Leichen. Eine
unbekannte, wohl von europäischen Fischern eingeschleppte Seuche hatte zwei
Drittel der indigenen Bevölkerung getötet. Die Menschen starben so zahlreich
und schnell, und die Überlebenden waren so geschwächt, dass die Toten nicht
mehr bestattet werden konnten. Die Leichname verwesten, wo die Menschen
gestorben waren. In ihren Langhäusern, in ihren Betten und in ihren Gärten. Der
Anblick war so grauenvoll, dass die Wampanoag beschlossen, diese Geisterstätten
niemals wieder zu bebauen. Auch diesen Hügel, der einst die große Siedlung
Patuxet gewesen war.
Was in den Siedlern vorgegangen war, als sie hier ankamen,
das kann ich mir weder vorstellen, noch kann ich es nachvollziehen. Von zwei
Umständen können wir ausgehen: Als die Mayflower Mitte Dezember 1620 an dieser
Küste anlandete, war das Wetter miserabel. Wie schlecht, erahnten Juliane und
ich am nächsten Tag unseres Besuches. Das Land jenseits des Strandes war kein
unberührtes Paradies auf Erden, sondern entvölkertes und verwildertes
Kulturland. Wie so etwas aussah, wussten die Auswanderer bestens, in Europa
wütete gerade der Dreißigjährige Krieg. Und wie auf den Schlachtfeldern und
Wüstungen dort, können wir uns auch hier ein schauriges Szenario aus
gebleichten Knochen, Leichen und Aasfressern vorstellen. Die Frischangetraute
von William Bradford, einem Anführer der Separatisten und späteren Gouverneur
der Kolonie, erblickte ihr neues Zuhause vom Schiff aus und beging
augenblicklich Selbstmord. Sie stürzte sich ins Meer. Ihren kleinen Sohn aus
erster Ehe hatte sie in Leiden zurücklassen müssen.
Was also ging in den Köpfen dieser Leute vor? Sie hatten ihr
Zuhause verlassen, um in einem von Gott versprochenen Paradies eine neue Heimat
zu finden. Sie waren auf der Suche nach Freiheit. Wobei sie einen recht
individuellen und exklusiven Freiheitsbegriff vertraten: Sie verlangten und
verteidigten die Freiheit nach ihrer Art zu leben. Das bedeutete nicht, dass
sie neben ihrer auch andere Lebensformen duldeten. Ihre Lebensweise, die sich
streng und unnachgiebig nach ihrer Auslegung der Gebote und Lehren des
alleinigen Gottes richtete, war rein. Jede andere war unrein und profan. Wenn
man sich die Biografie prominenter Figuren wie z.B. William Bradfords genauer
ansieht, erfährt man über ihn, dass er seit frühester Kindheit ein Ausgestoßener
gewesen ist. Ein von Schicksalsschlägen und Armut an den gesellschaftlichen
Rand Gedrängter, der endlich in den Puritanern eine Gemeinschaft fand. Diese
Minderheitengruppe war außerdem überzeugt, gegenüber der Mehrheit im Recht zu
sein und obendrein auch noch Recht zu haben. Dieses Sammelsurium bibelfester
und gestrandeter Existenzen wurde wahrscheinlich von der profanen Mehrheit als
exzentrischer Haufen aus Querulanten wahrgenommen. Also verschiffte man sie
zunächst nach Leiden in die Niederlande, sollten doch die dortigen Protestanten
sehen, wie sie mit den Separatisten klarkamen. Und sie machten ihre Sache
großartig. Die Einwanderer, die nicht nur schwierig sondern auch überaus
fleißig waren, brachten es in der Textil Branche zu Wohlstand. Aber herrje, der
schädliche und unreine Einfluss der niederländischen Republik machte sich bei
den Jungen bemerkbar. Die begannen sich zu assimilieren. Um das Englische und
Reine zu bewahren, gab es nur eine Lösung: Auf in die Neue Welt. Und nach
langem Hin und Her, setzten die Separatisten mit zunächst zwei Seelenverkäufern
über. Die Speedwell sank noch im Hafen von Plymouth in England. Die Mayflower
schaffte die Überfahrt. Ein weiteres Denkmal des kreativen Denkens jener Leute,
dass Abfahrts- und Ankunftshafen denselben Namen bekamen. Um das Kapital für
diese Reise aufzubringen, brauchten die Puritaner naturgemäß Geld. Und das
bekamen sie von Investoren. Die bestanden aber in gesundem Eigeninteresse
darauf, dass mit den Separatisten auch andere Kolonisten mitkamen. Nun denkt
ein Idealist wie ich, dass der Kontrakt mit den Kolonialwarenhändlern als
Problem und „Pakt mit dem Teufel“ wahrgenommen worden wäre. Aber nein! Das Übel
waren die profanen Mitreisenden. Man sollte annehmen, dass wenn mir einer ein
Paradies auf Erden verspricht, in dem es angenehm warm ist und in dem Milch und
Honig fließen, und ich stattdessen im Winter Neuenglands lande, und im Lande
der Verheißung die Opfer einer Epidemie unbestattet herumliegen, dass es mir
dann flugs ganz anders wird, und ich beginne, meine göttliche Mission zu
hinunterfragen. Nicht so diese Puritaner. Die sahen in der Ausrottung der
Einheimischen die Bestätigung ihrer Berufung. Gott selbst reinigte das Land von
seinen Bewohnern, um es für seine Auserwählten zu bereiten.
Wie groß der Schreck gewesen war, als dann so ein gottloser Wilder,
stolz und ohne gebotene Demut mitten in das neue Dorf marschierte und seine
neuen Nachbarn in fließendem Englisch ansprach, kann ich mir auch nur
vorstellen. Bekannte Tatsache ist, dass die Siedler ohne einheimische Hilfe den
ersten Winter nicht überlebt hätten. Nach einem Denkmal für Squanto, der den
Puritanern die Grundlagen ihrer neuen Heimat beibrachte, sucht man hier jedoch
vergeblich. Zum Dank dekorierten die Puritaner später ihre Kirche und dann auch
noch ihren Hauptplatz mit den abgetrennten Köpfen zweier Häuptlinge. Mit ihren
eigenen Kranken und Schwachen gingen sie allerdings auch nicht weniger
zimperlich um. Im ersten Winter drückten sie ihren Sterbenden Gewehre in die
Hand und banden sie als „Wachposten“ an die Bäume im Wald. Aus Angst vor den
Indianern. Wie der Schelm ist, so denkt er über andere. Faszinierendes Detail
am Ende: Robert Browne (1550iger-1633), der eigentliche spirituelle Führer der
Separatisten ("The Father of the Pilgrims") weigerte sich, in die
später kommerziell erfolgreiche Kolonie nachzukommen. Sein in seinen Briefen
belegter Grund war seine tiefe Abneigung gegen die Grausamkeiten, die an den
Ureinwohnern begangen wurden, ohne sie zuvor vom wahren Glauben in Kenntnis zu
setzen und ihnen somit eine Möglichkeit zur Umkehr und Einsicht zu eröffnen.
Über diese Ereignisse ist viel geschrieben worden, und es
gibt auch sehr gute Dokumentationen über das Thema. Ich werde also hier nicht
weiter darüber ins Detail gehen. Ich möchte jedoch zusammenfassend bemerken,
dass mich dieser Zusammenprall von Wissen und Legende unter azurblauem Himmel,
buntem Herbstlaub und bei Kinderlachen und Sonnenschein zutiefst verstört hat.
Meine erste Mahlzeit aus der Wampanoag-Küche im Museumsrestaurant
war auch ein kleinwenig irritierend. Das lag vor allem daran, dass die First
Nations ohne Salz kochten, und mein Hallstattkelten-Gaumen das gute alte
Kochsalz doch sehr vermisste.
All das soll auch nicht verschleiern, dass es sich bei Plimoth Plantation, um ein schönes
Ausflugsziel und ein liebevoll von einem Verein und Freiwilligen geführtes
Museumsdorf handelt. Inwieweit es unter den historischen und aktuellen
Umständen möglich ist, wird hier auch ein respektvolles und produktives
Miteinander mit den First Nations gepflegt. Wie gesagt, im Rahmen der
Möglichkeiten.
Der nächste Morgen zeigte sich genauso, wie wir uns die
Ankunft der Mayflower vorgestellt hatten: Der Himmel war aschgrau, der
Sturmwind peitsche und es goss wie aus Kübeln. Gerade darum galt es zum
Plymouth Rock an den Strand zu fahren. Hier unten direkt am Wasser fiel der
Regen waagrecht, und er mischte sich mit der aufgepeitschten Gischt des
Atlantiks. In wenigen Sekunden war die Haut nass, klebte, und die Lippen
schmeckten salzig. Der ganze Horizont gen Osten wogte, die Schiffe und Boote
tanzten wie Korken auf den Wellen. Über dem Plymouth Rock wurde im neunzehnten
Jahrhundert ein Pavillon mit steinernen Säulen errichtet. Hinter einer davon
versteckte sich Juliane, während ich den brandungsnassen Felsen mit seiner
Inschrift betrachtete. Der heute gesprungene Felsen wirkt an diesem Ort
irgendwie grotesk. Er ist der einzige große braune Stein auf einem graublauen
Kiesstrand. Seine Authentizität wurde darum bereits von Anfang an bezweifelt.
Einen Beweis für die Fälschungstheorie sah man in dem Sprung, der den Felsen
ziemlich genau in der Hälfte gespalten hatte. Und zwar als man ihn in eine
Halle oder einen Tempel der Wahrheit getragen hatte. Das war der Stoff aus dem
Legenden sind.
Am Heiligen Abend und nicht zu Thanksgiving briet ich meinen
ersten Truthahn. Ein riesiges Tier, das uns zwei Tage als Braten und noch zwei
weitere als Frikassee ernährte, obwohl es ein kleines Exemplar gewesen war. Und
ohne einem ausführlichen Tutorial von Hatty, meiner Krankenschwester, wäre mir
der Indian auch nicht gelungen. Alles in allem ist es nämlich gar nicht so
einfach, dem an sich als trocken verschrienen Geflügel auf amerikanische Art
eine schmackhafte Variante abzugewinnen. Mit meinem Ergebnis waren Juliane und
ich zufrieden. Und ich denke, auch unser Gast, den wir von Christtag bis
Neujahr bei uns hatten.
Einer unserer gemeinsamen Ausflüge führte uns ins Norman
Rockwell-Museum nach Stockbridge, MA. Obwohl „The Home of American
Illustration“, ein hübsches modernes Ausstellungsgebäude gesponsert unter
anderem von Steven Spielberg gleich neben des Künstlers einstiger Villa (aus
Stein!), hinter den Sieben Bergen und hinter der Staatsgrenze von Connecticut
und Massachusetts liegt, war es gut besucht. Die Anfahrt alleine war die Reise
wert gewesen. Eine gewundene Landstraße brachte uns an Farmhäusern vorbei,
durch dichte und hohe Wälder und über recht hohe Berge ans Ziel. Die malerische
Landschaft konnte als Kulisse für zweierlei Filmvarianten dienen, für eine
Romantikkomödie oder für einen Splatter-Horrorfilm. Beide Szenarien fanden sich
nebeneinander, das schmucke renovierte Anwesen im Kolonialstil und die
heruntergekommen Hütte im Wald des mutmaßlichen Kannibalen. Liebliche
Altwarengeschäfte und Inns sowie verrostete Pickups und Trailer Parks.
Insgesamt überwog jedoch das Ansprechende. Und weil mich die Gegend um
Stockbridge, auch ein eher schattiges und baumreiches Hochplateau, sehr an das
Waldviertel erinnerte, konnte ich den Wunsch, sich hier niederzulassen sehr gut
nachempfinden. Nicht nur den Künstler Norman Rockwell hatte es hierher gezogen,
viele folgten seinem Beispiel.
Die Arbeiten Norman Rockwells polarisieren. Technisch ist er
unbestreitbar ein Großer. Einige werfen ihm vor, dass seine in Amerika zu
Ikonen gewordenen Bilder exemplarisch für den Traum der und von den weißen USA
stehen. Das ist an seinen Motiven schlecht zu ignorieren. Umgekehrt handelte es
sich bei den meisten um Auftragswerke für populäre Zeitschriften und Plakate.
Unter seinen Gemälden finden sich aber auch solche Inhalte, die ich durchaus
feministisch nennen würde. Allen voran die inzwischen weltberühmte „Rosie the
Riveter“, einem Symbol weiblichen Widerstands und Durchhaltevermögens ursprünglich
aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber auch „kleinere“ Bildergeschichten wie ein Tag
aus dem Leben eines Mädchens, wo sie einem sekkanten Buben klarmacht, dass er
so nicht mit ihr umspringen kann. Besonders ins Auge fiel mir Rockwells
Darstellung der Ankunft einer schwarzen Familie in einer bisher rein weißen
Mittelstands-Siedlung. Das gegenseitige Sondieren der weißen und
afroamerikanischen Kinder ist bestens wiedergegeben. Mit einem Ausblick auf ein
positives Ende, einem gemeinsamen Spiel. Ich denke, dass solche Sujets in
Rockwells Schaffen weder übersehen, noch unterschätzt werden sollten. Sein
dreifaches Selbstporträt offenbart den großartigen Techniker, der er gewesen
ist.
Ganz ehrlich, ein Problem habe ich mit Norman Rockwells
Auftragswerk, der „Freedom of Speech“. Ein Gemälde eines Zyklus, der die
US-amerikanischen (Grund-) Freiheiten darstellt. Die Freiheit der Rede zeigt
einen weißen Arbeiter, der vor einer Versammlung weißer älterer Herren
offensichtlich gerade seine Meinung kundgetan hat. Daraufhin schauen ihn alle
zustimmend und begeistert an, dass ihm stolz der Kamm schwillt. Zeit für einen
Querulanten: Einer, der eh sagt, was alle ganz toll finden, der braucht keine
Redefreiheit. Meiner Meinung nach braucht sie derjenige, den alle gerne zum
Verstummen bringen würden, weil er die Irrtümer und schmerzlichen Punkte
anspricht, die alle in Wohlgefallen und/oder Sündenstolz lullen. Und meiner bzw.
unserer Beobachtung nach wird die Tendenz immer ausgeprägter, sich nur noch mit
den Inhalten zu beschäftigen, die das Bewusstsein und den Zustand, in dem sich
jede und jeder ohnedies bereits befinden, zu bestätigen. In der populären
Wiederholung des Ewiggleichen als Vexierbild der Wahrheit. Aktuelles Beispiel
wäre der inzwischen an einigen US-amerikanischen Unis unternommene Versuch, die
Unschuld von unbeteiligten und tatenlos bleibenden Zusehern von begangenen und
angetanen Unrecht auch akademisch zu beweisen. Was soll das Resultat dieser Art
von „Freiheit“ sein, eine Zukunft voller prüder und puritanischer Voyeure und Denunzianten?
Ich weiß es nicht.
Den Jahreswechsel begingen wir ruhig und entspannt, bei
Abendessen, Kartenspiel und Bleigießen mit Freunden. Sylvester Feuerwerk ist
nicht üblich. In New Haven keine Haustierkrisen, alles bleibt ruhig. Meckern
muss ich an dieser Stelle nur über das Bleiverbot. Die eigens aus Österreich importierten
Bleiersatzstücke aus Wachs eigneten sich mangels spezifischen Gewichtes für
keine verlässlichen Zukunftsprognosen. Beim Aufschlag der geschmolzenen Figuren
auf die Wasseroberfläche gerieten sie fast alle zu Flundern, Schnitzeln und
Fladen. Im Konvolut der jüngsten heimischen Gesetzesnovellen war diese gewiss immer
noch die geringste unter den schlechten Ideen.
Die Narreteien der Kleinstaaterei erfuhr ich aus den
Nachrichten, die Auswirkungen des großen und global relevanten Pallawatsch am
eigenen Leib. Denselben stellte ich einmal mehr Forschung und Lehre zur
Verfügung. Einer meiner Ärzte, ein bemerkenswerter Forscher über Sklerodermie,
der gewiss in Zukunft noch von sich reden machen wird, fragte mich, ob ich ihm
quasi als Anschauungsobjekt beim Unterricht an der Yale School of Medicine
helfen könnte. Selbstverständlich volontierte ich. Auf diese Weise kam ich dem
Unterrichten in Yale am nächsten. Eigentlich hatte ich mir gewünscht, etwas zu
Creative Writing loszuwerden, stattdessen nahm ich an einer Medizinvorlesung
teil. Alles kommt anders! Der Gedanke wieder vor und mit jungen Leuten zu
reden, gefiel mir sehr. Wir, mein Dermatologe und ich als Team (wobei er
natürlich der Lehrende und Teamleiter war), empfingen also von zirka 9 Uhr
morgens bis mittags bis zu zehn Gruppen Medizinstudierende im ersten Jahr. Sie
alle hatten noch nie einen Patienten oder eine Patientin gesehen, und diese
Lehrveranstaltung bot ihnen die Gelegenheit gleich mehreren zu begegnen. Das
spielte sich als so eine Art von Stationen-Theater ab: Hinter jedem Türchen, in
jedem Stübchen, eine andere Attraktion. Ich war buchstäblich die Dame mit Bart.
Statistisch betrachtet müsste ich mit meiner Diagnose eine afroamerikanische
Frau um die Fünfzig sein. Ich war allerdings ein vierzigjähriger weißer Mann
mit österreichischem Akzent. Meinen Mister Freeze-Witz haben auch die meisten
der jungen Leute verstanden. Die waren überhaupt unglaublich nett und
interessiert. Sich mit ihnen zu unterhalten hat großen Spaß gemacht. Ich sollte
ja zu den medizinischen Erklärungen meinen Erfahrungsbericht liefern und als
Anschauungsobjekt dienen. Ich hielt ihnen also brav meine Hände hin, ließ mich
drücken, zwicken und quetschen und beantwortete auch artig alle Fragen. Drollig
fand ich, wie die Studierenden schrittweise ihre Scheu verloren. Am Ende fragte
mich sogar ein ganz Lieber, ob er meine roten Flecken im Gesicht untersuchen
dürfe. Dazu war ich ja da. Und zum Dank bekam ich neben jeder Menge schönen
Erinnerungen auch einen Geschenkkorb mit Hautpflegeprodukten. Und tatsächlich
habe ich seither Shampoo gewechselt.
Was ich von Yale am meisten vermissen werde? Die Musik! Die
Konzerte werden mir fehlen. Wo sonst werde ich Gelegenheit bekommen, in einer
Kleinstadt das ganze Jahr hindurch so einfach und bequem so ein hochkaratiges Programm
besuchen zu können? Zuletzt das Brentano-Quartett über die Klage in der Musik.
Kammermusik zu Julianes Habilitationsthema. Und voller Vorfreude bin ich schon auf
Jordi Savall, der Ende Februar mit Musik zum Film „Tous les Matins du Monde“ („Die
siebente Saite“, einem meiner absoluten Lieblingsfilme) an der Yale School of
Music gastieren wird.
Die vergangenen Tage waren indes unheimlich. Die
Wetterkapriolen im Mittleren Westen der USA sind ja aus den Nachrichten
bekannt. In New Haven war und ist es nicht ganz so kalt, aber die so genannten
Squalls peitschten um das Haus, dass die ganze Holzkonstruktion schwankte, und
die Vorhänge im Wohnzimmer sich wie Segel blähten. Die minutenlangen Böen
können in kurzer Zeit zum Erfrierungstod führen. Entsprechend wurde die Uni
gestern geschlossen. Heute wurde es tagsüber schon um sieben Grad wärmer, so
dass wir bei einer Tageshöchsttemperatur von lauschigen minus 9 Grad Celsius
hielten. Tatsächlich angefühlt hat sich das im Freien wie -14. Dem Atlantik sei
gedankt.
Ich wünsche uns allen zum Abschluss ein gutes, erfolgreiches
und gesundes Neues Jahr! Ich bin gespannt, wie sich 2019 für uns alle noch
entwickeln wird. Fassen wir Mut für einen Neuanfang, wo und wie auch immer. Es
wird alles ganz anders!
Fortsetzung folgt…