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Freitag, 22. November 2013

Ist Sibylle Lewitscharoff die/der Cato der Buchbranche?



Cato der Jüngere (Quelle: wikipedia)

„Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni“, heißt es über Cato beim römischen Dichter Lukan in der Pharsalia, „die siegreiche Sache gefiel den Göttern, aber die besiegte dem Cato.“
Ich kenne das Zitat aus dem Asterix, aber trotzdem geselle ich mich zu Sibylle Lewitscharoff, wenn auch nur als Catulus, als Catolein sozusagen. In meinen Augen also auf die Seite jener Aufrechten, die für eine für sie gerechte Sache eintritt, aber in der Öffentlichkeit als die Buhfrau dasteht, weil ihre unbequemen Wahrheiten das versprochene Idyll stören. Cato trat für die Republik, die Demokratie, ein, das Volk liebte Caesar, und bis heute ist er, der (ermordete) Usurpator und Diktator, der Liebling der Geschichte(n).
Sibylle Lewitscharoffs Festvortrag zur Eröffnung der Buch Wien am 20.11. 2013 (s.u.) hat die Diskussion um die Zukunft des Buches in Zeiten digitaler Alternativen angefacht und die Emotionen in den Diskussionen hochschlagen lassen. Ihr umfassender Vortrag ist auf ein paar Schlagworte in den Medien reduziert worden, auf ihre Kritik am Amazon-Konzern. Doch das greift viel zu kurz, verzerrt den Eindruck, den ich gewonnen habe. Mein Eindruck war und ist, dass Sibylle Lewitscharoff in ihrem Vortrag das Lesen als Kulturtechnik in all ihren Nuancen und Anwendungen beschrieben hat. Und zwar aus einem Blickwinkel, der angesichts der medialen Veränderungen im besten Sinne und zu unser aller Nachteil nach und nach veraltet. Sie beleuchtete die Beziehung, die sich beim Lesen zwischen den Lesenden, dem Objekt Buch, dem Inhalt (der Geschichte) und den handelnden Charakteren entwickelte (der Geistfamilie). Das geschriebene Wort als Kosmos zwischen zwei Buchdeckeln, den man nach und nach erforschen und erfahren darf. To boldly go… Kurz: Sie erklärte das Lesen als Lern- und Erfahrungsprozess, als Bildungsschritt. Bildung als das, was bleibt, nachdem alles Gelernte vergessen ist. Eine Bildung, die naturgemäß auch als Statussymbol dient (was Hochmut und Neid gleichermaßen hervorruft).
Dem gegenüber steht das Lesen als Freizeitgestaltung, Genussmittel, als Konsumgut.
Meiner Meinung nach haben beide Aspekte des Lesens die Daseinsberechtigung, mehr noch, diese beiden Lesarten des Buches verhalten sich in meinen Augen komplementär zueinander, sie ergänzen sich. Und niemals dürfen sie zu einem Entweder-oder werden. Ich liebe Rousseau, Nietzsche; Schiller und all die anderen, aber würde ich nicht auch andere Bücher lesen, wie J.R.R. Tolkien, G.R.R. Martins oder Robert Harris, ich würde überschnappen. Und nicht zuletzt schreibe ich selbst auch Thriller.
In meinem eingangs entworfenen Bild stellt Sibylle Lewitscharoff den Republikaner Cato dar, und amazon den Machtmenschen und Populisten Caesar. Wir haben hier: Caesar, der die Liebe des Volkes auf seine Seite zieht, der so scheint, als sei er einer der ihren, dabei fühlt er sich weit über ihnen, nämlich als der Abkömmling einer Göttin. Dort haben wir: Cato, den Puristen und Sittenstrengen, der politisch auf Seiten der abgehobenen Adelspartei steht. Der eine hofft darauf, die Macht exklusiv in seine Finger zu bekommen, der andere strampelt sich ab, um die Republik zu retten. Der eine schaut dem Volk aufs Maul, der andere spricht eine Sprache, die keiner versteht, zu verkopft und abgehoben.
Das ebook ist ein tolles Ding, es löst für viele das Platzproblem in den Wohnungen, es passt in jede Handtasche, und noch viel mehr. Für auflagenstarke Bücher, die sich außerdem verkaufen, sind sie eine echte Alternative. Und hier reden wir von Unterhaltungsliteratur. Bei anderen Genres, die nicht so umsatzintensiv sind, wird es allein mit digitalen Auflagen für UrheberInnen, Verlage und die Angestellten der Buchbranche nicht mehr möglich sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Text, der zwischen die beiden Buchdeckel kommt, ist ein Gemeinschafts- und Qualitätsprodukt, und Leistung muss sich für den Anbieter rechnen. Hand aufs Herz, in der Konsumgesellschaft sind wir bereit, andauernd für jeden Schmarrn zu bezahlen (sogar fürs Wasserlassen auf der Autobahntoilette, ein Menschenrecht), aber beim geistigen Eigentum wird es ein Problem?!
Richtig, es ist in der Vergangenheit vielen Branchen so ergangen, dass sie elend ausgestorben sind, den Fuhrwerksbetrieben, den Schmieden, und vielen mehr. Die Konsumgesellschaft ist nur noch ein Spottbild der einstigen betrieblichen und gewerblichen Vielfalt. Warum sollten wir jetzt den freien AutorInnen, den BuchhändlerInnen und den Verlagen auch nur eine einzige Träne nachweinen, wenn wir auch weiterhin Amüsantes zum Lesen bekommen, und das sogar frei Haus, billiger oder sogar gratis? – Und genau hier trat der zweite Teil von Sibylle Lewitscharoffs Kritik in Kraft, nämlich der an den Intellektuellen, die in der Vergangenheit die rote Fahne in der Faust geschwenkt haben, jetzt vor den Kapitalisten am Bauch kriechen und genau das akzeptieren, wogegen sich die soziale Revolte Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und bis heute formiert hat.
Also wehren wir uns bitte gegen die Aufwiegelung durch Meinungsmacher und Marketingabteilungen, gegen die dummstolze Polemik, lassen wir doch beide Varianten nebeneinander existieren! Das ebook mehrheitlich für Unterhaltungsliteratur und das gedruckte Buch vor allem für die andren Genres. Wobei auch hier das eine im jeweils anderen angeboten werden sollte, um den LeserInnen die freie Wahl zu ermöglichen, welche Bücher sie sich ins Regal stellen wollen und welche eben nicht. Angesichts der beschränkten Haltbarkeit von digitalen Daten ist es sowieso eine Notwendigkeit, den geistigen Reichtum unserer Gesellschaft auch auf Papier oder Mikrofilm zu lagern. Es wäre nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn nach zehn Jahren alles hin und unlesbar wäre. – Vielleicht oberflächlich gar nix, weil wir nicht merken würden, wieder in einer dauerberieselten Gesellschaft vor der Aufklärung und der sozialen Revolution zu hocken. – Das Buch ist eine der beständigsten Varianten überhaupt, es hat seine Überlebensfähigkeit von den Handschriften und Inkunabeln bis zum industriell gefertigten Kodex bewiesen. Und last but not least, es lässt sich nicht abhören!
Ich höre hier direkt den Einwand, Unterhaltungsliteratur ist ebenso eine Qualitätsarbeit, eine Gemeinschaftsarbeit. Genau! Eben darum muss sie auch bezahlt werden, und kann nicht in einer Form feilgeboten werden, von der die Macher nicht mehr existieren können. Schon heute streichen die großen Verlagshäuser ein Drittel ihres Gesamtprogramms. Wo soll das enden? Sollen wir UrheberInnen und unsere Vertriebspartner uns gegenseitig auffressen, uns untereinander in einem saublöden „Verdrängungswettbewerb“ aufreiben, bei dem überhaupt kein kritisches Buch mehr verlegt werden kann, sondern nur noch nirgends aneckende Quotenbringer? Nein, danke!
Wir meißeln heute noch Inschriften in Steintafeln, wir schreiben noch Handschrift, wir speichern MP3s und spielen auf dem Plattenteller Vinyl ab, kein neues Medium hat jemals ein älteres restlos verdrängt, das wird das digitale System auch nicht mit dem analogen schaffen. Ich denke, es wird immer Menschen geben, die das eine dem anderen vorziehen, oder im besten Falle, beide Varianten nutzen und friedlich koexistieren lassen.
Alles Liebe! Oder: Ad multos annos!