Cato der Jüngere (Quelle: wikipedia) |
„Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni“,
heißt es über Cato beim
römischen Dichter Lukan in der Pharsalia,
„die siegreiche Sache gefiel den Göttern,
aber die besiegte dem Cato.“
Ich kenne das Zitat aus dem Asterix, aber trotzdem geselle ich mich zu Sibylle Lewitscharoff,
wenn auch nur als Catulus, als Catolein sozusagen. In meinen Augen also
auf die Seite jener Aufrechten, die für eine für sie gerechte Sache eintritt,
aber in der Öffentlichkeit als die Buhfrau dasteht, weil ihre unbequemen
Wahrheiten das versprochene Idyll stören. Cato trat für die Republik, die
Demokratie, ein, das Volk liebte Caesar, und bis heute ist er, der (ermordete) Usurpator
und Diktator, der Liebling der Geschichte(n).
Sibylle Lewitscharoffs Festvortrag zur Eröffnung der Buch
Wien am 20.11. 2013 (s.u.) hat die Diskussion um die Zukunft des Buches in
Zeiten digitaler Alternativen angefacht und die Emotionen in den Diskussionen hochschlagen
lassen. Ihr umfassender Vortrag ist auf ein paar Schlagworte in den Medien reduziert
worden, auf ihre Kritik am Amazon-Konzern.
Doch das greift viel zu kurz, verzerrt den Eindruck, den ich gewonnen habe. Mein
Eindruck war und ist, dass Sibylle Lewitscharoff in ihrem Vortrag das Lesen als
Kulturtechnik in all ihren Nuancen und Anwendungen beschrieben hat. Und zwar aus
einem Blickwinkel, der angesichts der medialen Veränderungen im besten Sinne und
zu unser aller Nachteil nach und nach veraltet. Sie beleuchtete die Beziehung,
die sich beim Lesen zwischen den Lesenden, dem Objekt Buch, dem Inhalt (der
Geschichte) und den handelnden Charakteren entwickelte (der Geistfamilie). Das geschriebene Wort als
Kosmos zwischen zwei Buchdeckeln, den man nach und nach erforschen und erfahren
darf. To boldly go… Kurz: Sie
erklärte das Lesen als Lern- und Erfahrungsprozess, als Bildungsschritt.
Bildung als das, was bleibt, nachdem alles Gelernte vergessen ist. Eine
Bildung, die naturgemäß auch als Statussymbol dient (was Hochmut und Neid gleichermaßen
hervorruft).
Dem gegenüber steht das Lesen als Freizeitgestaltung,
Genussmittel, als Konsumgut.
Meiner Meinung nach haben beide Aspekte des Lesens die
Daseinsberechtigung, mehr noch, diese beiden Lesarten des Buches verhalten sich
in meinen Augen komplementär zueinander, sie ergänzen sich. Und niemals
dürfen sie zu einem Entweder-oder werden. Ich liebe Rousseau, Nietzsche;
Schiller und all die anderen, aber würde ich nicht auch andere Bücher lesen,
wie J.R.R. Tolkien, G.R.R. Martins oder Robert Harris, ich würde überschnappen.
Und nicht zuletzt schreibe ich selbst auch Thriller.
In meinem eingangs entworfenen Bild stellt Sibylle
Lewitscharoff den Republikaner Cato dar, und amazon den Machtmenschen und
Populisten Caesar. Wir haben hier: Caesar, der die Liebe des Volkes auf seine
Seite zieht, der so scheint, als sei er einer der ihren, dabei fühlt er sich weit
über ihnen, nämlich als der Abkömmling einer Göttin. Dort haben wir: Cato, den
Puristen und Sittenstrengen, der politisch auf Seiten der abgehobenen
Adelspartei steht. Der eine hofft darauf, die Macht exklusiv in seine Finger zu
bekommen, der andere strampelt sich ab, um die Republik zu retten. Der eine
schaut dem Volk aufs Maul, der andere spricht eine Sprache, die keiner versteht,
zu verkopft und abgehoben.
Das ebook ist ein tolles Ding, es löst für viele das
Platzproblem in den Wohnungen, es passt in jede Handtasche, und noch viel mehr.
Für auflagenstarke Bücher, die sich außerdem verkaufen, sind sie eine echte
Alternative. Und hier reden wir von Unterhaltungsliteratur. Bei anderen Genres,
die nicht so umsatzintensiv sind, wird es allein mit digitalen Auflagen für
UrheberInnen, Verlage und die Angestellten der Buchbranche nicht mehr möglich
sein, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Text, der zwischen die beiden
Buchdeckel kommt, ist ein Gemeinschafts- und Qualitätsprodukt, und Leistung
muss sich für den Anbieter rechnen. Hand aufs Herz, in der Konsumgesellschaft sind wir bereit, andauernd für jeden Schmarrn zu bezahlen (sogar fürs
Wasserlassen auf der Autobahntoilette, ein Menschenrecht), aber beim geistigen
Eigentum wird es ein Problem?!
Richtig, es ist in der Vergangenheit vielen Branchen so ergangen,
dass sie elend ausgestorben sind, den Fuhrwerksbetrieben, den Schmieden, und
vielen mehr. Die Konsumgesellschaft ist nur noch ein Spottbild der einstigen betrieblichen
und gewerblichen Vielfalt. Warum sollten wir jetzt den freien AutorInnen, den
BuchhändlerInnen und den Verlagen auch nur eine einzige Träne nachweinen, wenn
wir auch weiterhin Amüsantes zum Lesen bekommen, und das sogar frei Haus, billiger
oder sogar gratis? – Und genau hier trat der zweite Teil von Sibylle Lewitscharoffs
Kritik in Kraft, nämlich der an den Intellektuellen, die in der Vergangenheit
die rote Fahne in der Faust geschwenkt haben, jetzt vor den Kapitalisten am
Bauch kriechen und genau das akzeptieren, wogegen sich die soziale Revolte
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und bis heute formiert hat.
Also wehren wir uns bitte gegen die Aufwiegelung durch
Meinungsmacher und Marketingabteilungen, gegen die dummstolze Polemik, lassen
wir doch beide Varianten nebeneinander existieren! Das ebook mehrheitlich für Unterhaltungsliteratur
und das gedruckte Buch vor allem für die andren Genres. Wobei auch hier das
eine im jeweils anderen angeboten werden sollte, um den LeserInnen die freie
Wahl zu ermöglichen, welche Bücher sie sich ins Regal stellen wollen und welche
eben nicht. Angesichts der beschränkten Haltbarkeit von digitalen Daten ist es sowieso
eine Notwendigkeit, den geistigen Reichtum unserer Gesellschaft auch auf Papier
oder Mikrofilm zu lagern. Es wäre nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn
nach zehn Jahren alles hin und unlesbar wäre. – Vielleicht oberflächlich gar
nix, weil wir nicht merken würden, wieder in einer dauerberieselten Gesellschaft
vor der Aufklärung und der sozialen Revolution zu hocken. – Das Buch ist eine
der beständigsten Varianten überhaupt, es hat seine Überlebensfähigkeit von den
Handschriften und Inkunabeln bis zum industriell gefertigten Kodex bewiesen.
Und last but not least, es lässt sich nicht abhören!
Ich höre hier direkt den Einwand, Unterhaltungsliteratur ist
ebenso eine Qualitätsarbeit, eine Gemeinschaftsarbeit. Genau! Eben darum muss sie
auch bezahlt werden, und kann nicht in einer Form feilgeboten werden, von der
die Macher nicht mehr existieren können. Schon heute streichen die großen
Verlagshäuser ein Drittel ihres Gesamtprogramms. Wo soll das enden? Sollen wir
UrheberInnen und unsere Vertriebspartner uns gegenseitig auffressen, uns
untereinander in einem saublöden „Verdrängungswettbewerb“ aufreiben, bei dem
überhaupt kein kritisches Buch mehr verlegt werden kann, sondern nur noch nirgends
aneckende Quotenbringer? Nein, danke!
Wir meißeln heute noch Inschriften in Steintafeln, wir
schreiben noch Handschrift, wir speichern MP3s und spielen auf dem
Plattenteller Vinyl ab, kein neues Medium hat jemals ein älteres restlos
verdrängt, das wird das digitale System auch nicht mit dem analogen schaffen.
Ich denke, es wird immer Menschen geben, die das eine dem anderen vorziehen,
oder im besten Falle, beide Varianten nutzen und friedlich koexistieren lassen.
Alles Liebe! Oder: Ad
multos annos!