3. Sinnesfreuden im Land der unbegrenzten Widersprüche
Das US-amerikanische Holzhaus ist eine feine Sache. Es sieht
hübsch aus, es bewohnt sich gemütlich, und ich fühle mich in unserem niemals
alleine. Immer ist etwas los, immer gibt es etwas zu hören. Von draußen wie von
drinnen. Im Hinterhof scheppern die Aludosen und Glasflaschen in die
Müllcontainer. Kleine Kinder spielen barfuß in den Gärten (gefühlt auch bei elf
Grad und Nieselregen). Die Vögel singen in den Bäumen. Eichhörnchen huschen zwischen
den Ästen und über das Gras. Die Blätter im Wind flüstern leise „Impeachment“.
Der Regen trommelt auf das Dach und plätschert durch die Dachrinnen. Die Heizung
knackt, die Installationen tönen, der Wasserhahn tropft und manchmal gurgelt
der Abfluss. Der Luftdruck lässt die Rohre singen. Als anfangs der
Badewannensiphon gejammert hat, habe ich einen Schreck bekommen. Inzwischen
schaue ich nicht einmal mehr hin, wenn es irgendwo knarrt und ächzt. Ein altes
Haus gibt Laut, es schwingt und bewegt sich. Besonders wenn es aus Holz gebaut
ist. Als Mitbewohner in dem gut hundertjährigen Mehrparteienhaus ist man nicht
nur bei jeder Aktivität live dabei, sondern mitten drin. Es ist immer der obere
Nachbar, von dem die Live-Übertragung kommt. Wir haben diese Hypothese in
Gesprächen mit Freunden überprüft. Geräusche und Lärm dringen scheinbar immer von
oben nach unten. Der Krach folgt einem noch nicht aufgeschriebenen Naturgesetz.
Inzwischen bewege ich mich achtsamer. Es gleicht sich alles aus im Leben,
Juliane macht im Wohnzimmer Step Aerobic. Von ober uns höre ich jeden Schritt.
Nicht nur von den zwei jungen Leuten, Yalies mit SUV in der Garage und Golfbag
auf dem Flur, auch von ihrer Katze. Einem Kater, denke ich. Weil er nicht springt
und auf Samtpfoten landet wie es die Weibchen, geschmeidige Alleinerzieherinnen
und Ernährerinnen machen, sondern sich bohnensackartig zu Boden fallen lässt,
wie ich es von meinem getigerten Stubenmacho zuhause gewohnt bin. Mitreißend,
wenn der dreiste Mietz spätnachts durch das obere Apartment galoppiert.
Allerliebst, wenn er frühmorgens seine Spielzeugkugel über die Dielen treibt. Doch
des Katers unschuldige Kurzweil ist nichts gegen das Liebesspiel seiner
Besitzer. Wenn sich die beiden liebhaben, haben wir alle was davon. Während des
Unsäglichen schneidet ihre Stimme durch das ganze Haus wie ein Lötkolben durch Butter.
Und, ich weiß nicht, welche Inszenierung des zweisamen Aktes die da oben auf
den Brettern unterm Dach aufführen, ich will es auch gar nicht wissen, es
schwingt die ganze Holzkonstruktion vom Dachfirst bis zum Keller. Mir ist beim
spätabendlichen Schreiben der Kaffee aus der Tasse auf den Schreibtisch
geschwappt.
Unser anfängliches Problem, an leistbares Essen und frische
Zutaten zu kommen, haben wir gelöst. Dank der Krankenschwestern im Yale New Haven Hospital. Die Nurses
waren und sind unsre allerbesten Tippgeber, wenn es um Alltagsbewältigung geht.
Wir lassen uns inzwischen den Einkauf liefern. Da wir kein Auto besitzen (aber
eine Garage mit der Wohnung mieten, was ich irgendwie komisch finde), erschlägt
die Lösung gleich zwei Vögel mit einem Stein. In der Car Culture kommen wir ohne Auto nirgends hin, weder zum
Supermarkt, noch in ein Outlet. Die gesamte Stadt und ihr Umland sind auf PKWs
ausgerichtet. Aber ein zuverlässiges Auto anzuschaffen, wäre für uns weder wirtschaftlich
noch ökologisch. Also bringt uns der Pea
Pod-LKW auf seiner Tour durch die Nachbarschaft die Lebensmittel und was wir
sonst noch alles brauchen. Die Lieferanten halten vor dem Haus, laden auf die
Veranda aus und schaffen alles nach oben. Ich bin ihnen dabei leider keine
Hilfe. Aber wie bereits notiert, Amerikaner sind unglaublich freundlich und
hilfsbereit. Noch niemals kam es mit den Fahrern zu der berühmten peinlichen
Pause vor dem Verabschieden, weil sie auf Trinkgeld gewartet hätten.
Ich dachte
zunächst, dieser Service erleichtert mir auch das Umweltgewissen. Weil ich
nicht selbst herumkutschiere und auf einer LKW-Fahrt mehrere Familien beliefert
werden. Aber da hatte ich die Rechnung ohne die Amerikaner und ihren originellen
Sinn fürs Verpacken gemacht. Der gesamte Einkauf wird nämlich nicht in eine
große Schachtel oder ein paar wenige Säcke gepackt. O nein! Stattdessen werden
einer, manchmal zwei, maximal drei Artikel in ein Plastiksackerl oder einen Plastebeutel
gesteckt. Das Resultat hat Juliane Plaste-Gau
getauft. Das beschreibt den riesigen Haufen Plastikfolie ganz genau. Immerhin
brauchen wir so keine Müllsäcke für die Abfalleimer mehr zu kaufen. So benutzen
wir die Plastiktaschen wenigstens zweimal.
Was wir bei aller Liebe und Mühe noch immer nicht begriffen
haben, warum wir jedes Stück Fleisch, das wir bestellen, faschiert bekommen.
Auf dem Foto war es ein wunderschönes Steak, geliefert wurde eine Tasse Rinderhackfleisch.
Auch der Bison kam in der Assiette, und landete als Fleischbällchen im Rohr. Das
Schreckgespenst Chlorhuhn ist mir dafür noch nie begegnet. Die Hühner sind zwar
riesige Viecher, aber nicht spürbar gechlort. Das Leitungswasser schmeckt wie
ein missglückter Sprung vom Beckenbrand, aber nicht das Fleisch. Es empfiehlt
sich, einen Wasserfilter für das Trinkwasser anzuschaffen, und die Spaghetti
mit abgekochtem Wasser aus dem Teekessel zu garen. Ansonsten schmeckt das
Nudelgericht schnell ziemlich mineralisch. Das Gemüse, frisch oder
tiefgefroren, hat keinerlei Beigeschmack. Das Grünzeug ist sauteuer, aber es
schmeckt. Seltsam ist, dass es neben anderen Gläsern auch „rohen Honig“ zu
kaufen gibt. In den USA muss alles Essbare pasteurisiert sein. Dass Bienenhonig
frei von allen Inhaltstoffen und kaputt ist, sobald er erhitzt wird, spielt
keine Rolle. Und obwohl uns der große Al Bundy lehrt, „dass es falsch ist, Franzose zu sein“, sind alle exquisiten Rezepte
entweder uralt, französisch, oder am besten beides. Alles andere, was im Zusammenhang
mit TTIP über das Essen in den USA propagiert wurde, kann ich nur Märchen nennen.
Ich habe es sogar geschafft, in einem von Süditalienern geführten Laden ein
ganzes Stück Tafelspitz für ein Abendessen zu bekommen. Nachdem Juliane dem
Fleischer genau erklären konnte, welches Teil vom Rind es ist und was ich
vorhabe, damit zu machen.
In God we trust. Das
gilt seit den Tagen der Pilgerväter in den USA. Auch beim Kochen. Oder besser
gesagt, beim Braten. Das Brat- und Backrohr meines Herdes ist riesig. Wäre die
Küche öffentlich zugänglich, ich würde ein Vorhängeschloss vor die Klappe
machen, damit niemand in dem Ding übernachtet. Die Herde sind so groß, haben
mir die Krankenschwestern erklärt, weil auf und in ihnen das berühmte Thanksgiving-Essen gekocht wird. Um eine
mehrköpfige Familie sattzubekommen, brauchen die Köche Platz (es sind immer
mehrere). Raum für einen gewaltigen Vogel und Kochstellen für die Töpfe mit den
Beilagen. Das sich daraus ergebende Einbaugerät ist doppelt bis dreimal so
breit und tief wie ein vergleichbarer Europäer. Und jedes kleine Hühnchen vom
heimischen Hof bekäme Minderwertigkeitskomplexe neben dem amerikanischen Huhn. (Den
durchschnittlichen Truthahn hielten sie für ein Monster.) Ich dachte, so ein
Huhn ist in einer halben Stunde gebraten. Hätte das arme Tier noch gekonnt, es
hätte mich herzlich ausgelacht. Nachdem man den Braten nämlich mit Gewürzen
bestrichen hat, kommt er in den Bräter, einen geschlossenen Metallbehälter. Der
kommt ins Rohr, und da bleibt er die nächsten zwei bis vier Stunden. Braten ist
eine Sache des Gottvertrauens. Sobald es duftet, ist das Essen fertig.
Jetzt habe ich so viel vom Essen erzählt. Abschließend noch
eine kurze Bemerkung zum Wein: Bei jeder Veranstaltung wird ein Buffet gereicht,
Geld spielt in Yale beim Catering keine Rolle. Juliane sagt, das Angebot ist in
den letzten Jahren viel besser geworden. Es gibt echten Käse aus Milch anstelle
des gummiartigen Analogkäses. Der zumeist kalifornische Rebensaft, der zu den
Häppchen ausgeschenkt wird, ist hochpreisig und angepriesen, aber für einen
österreichischen Gaumen ungenießbar. Schmeckt für jemanden, der trockene Weine
gewöhnt ist, wie abgelaufener Traubensaft mit extra Zucker.
Und darum geht es mir jetzt wie Falco (America, 1985):
„Was in mir sitzt ist weiß gespritzt
Das ist mir völlig klar
Obgleich ich Whiskey tschechern tu
Seitdem in USA ich war…“
Das ist mir völlig klar
Obgleich ich Whiskey tschechern tu
Seitdem in USA ich war…“
Fortsetzung folgt...