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Samstag, 13. Mai 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 1)



      1. Angekommen im Land der unbegrenzten Widersprüche


Vor etwas mehr als einem Monat sind Juliane und ich in den USA angekommen, für mich dem Land der unbegrenzten Widersprüche. Zeit und Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen. Und auf besonderen Wunsch tue ich das hier und jetzt auf meinem Blog. Und das wird länger, darum zur besseren Lesbarkeit, Schwarz auf Weiß:

Mein erster Eindruck, ich bin in einem fremden Land auf einem anderen Kontinent gelandet, in dem wirklich alles viel größer, breiter, höher und weiter ist. Das ist nicht bloß Gerede, das ist tatsächlich so. Schon als ich im Rollstuhl über den Flughafen in Newark geschoben worden bin wie einer unserer zwei riesigen Rollkoffer, fühlte ich mich wie ein Klein-Gulliver im Land der Riesen. Ich strandete buchstäblich in der Neuen Welt, in der wirklich alles bis auf das Toilettengehen anders funktioniert. Und sogar das nur mit gewissen Abstrichen, denn dass ich im Fall der Fälle nach einem Restroom oder Bathroom suchen muss, das ist ja bekannt. Aber dass ich nach einem Badezimmerläppchen (bathroom tissue) zu fragen habe, wenn es mir nach Toilettenpapier verlangt, das war mir neu.
Ich war auch davon überzeugt, Autofahren zu können. Von der vorletzten bis zur letzten gesetzlichen Überprüfung meines, vor dem Abflug verkauften PKWs war ich damit 50.000km gefahren. Der fabrikneue Mietwagen made in USA hat mich rasch vom Gegenteil überzeugt und meinen diesbezüglichen Dünkel für immer gebrochen. Zündschlüssel gab es keinen. Der kleine metallische Freund wurde von der Industrie 4.0 wegrationalisiert. Ich drückte die Start-Taste, der Motor rührte sich nicht. Ich trat die Bremse, drückte abermals den Knopf, der Motor sprang an, und der Wagen bewegte sich… nicht. Mein Seufzen, Fluchen und Weinen weckte das Mitleid im Ford, und er bewegte sich doch. Ich probierte das Bremspedal, und Juliane und ich hingen in den Gurten. Und ich sah, dass es nicht gut war, wie gewohnt mit dem zweiten freien Fuß zu bremsen. Unter den wachsamen Augen etlicher, bestens amüsierter Polizisten und ihrer nicht weniger gut von meinen Fahrkünsten unterhaltenen Drogenhunden drehte ich ein paar Runden auf dem eingezäunten Parkplatz, bevor ich mich in den öffentlichen Straßenverkehr wagte.
Der Verkehr gestaltete sich auf den Highways und in den Straßen sehr viel ruhiger und disziplinierter als ich es von daheim gewohnt war. Ich bin auf der Suche nach der korrekten Abbiegung oder der richtigen Auf- bzw. Abfahrt in Situationen geraten, die auf vergleichbarem mitteleuropäischem Gelände wilde (Droh-) Gebärden und Hupkonzerte ausgelöst hätten. Indes mein angstschweißnasser und schuldbewusster Blick in den Innenspiegel offenbarte mir entspannte Damen und Herren, die entweder in der Nase bohrten, fröhlich den Song im Radio mitträllerten, oder den Ausblick und die Abendsonne genossen. Und kommt es doch einmal vor, dass im Verkehr gedrängelt und gehupt wird, was wirklich selten geschieht, dann sind es die aufgewühlten Fahrer mittleren Alters derselben ausländischen Fabrikate, die auch auf unseren mitteleuropäischen Straßen für muntere Kurzweil sorgen. Sie wissen schon, die mit der eingebauten Vorfahrt... Begegnungen wie diese helfen einem aber dabei, sich schnell heimisch zu fühlen und das anfängliche Fremdeln zu überwinden. Manche Dinge bleiben eben überall gleich.
So auch der Besuch bei IKEA. Der sah als corporate designter Unort gleich aus wie überall und nirgends. Es spielte keine Rolle, ob sich die heiligen Hallen des allmächtigen Möbelhauses in New Haven, Vösendorf bei Wien; in Frankfurt am Main oder Gigritzpatschen am Neckar befanden. Am gewohnten Ort fanden wir alles, nur uns nicht zurecht. Wir kauften Gardinen und Vorhangstangen, die Schrauben zum Befestigen waren natürlich nicht in der Verpackung enthalten. Nun gehen es hier die Menschen mit der Pflege von Haus und Garten ein wenig entspannter an – ein böser, sein Eigenheim liebender Europäer wöllte es vielleicht sogar schlampig nennen. Deshalb fanden wir glücklicherweise in den Fensterrahmen unserer Wohnung die 27 Holzschrauben von drei oder vier verschiedenen, nicht mehr funktionalen Gardinenstangensystemen. Diese schraubten wir von Hand heraus und befestigten unsere neuen damit vor den Fenstern. Durch ein paar gewaschene Vorhänge sah die Welt nämlich gleich freundlicher aus. Auch wenn das Wetter selbst eine Etüde in Grau gab.
Auf der Suche nach bunter Exotik, leistbaren Lebensmitteln und frischen Zutaten fuhren wir zu einem beliebten und ortsüblichen Supermarkt. Wir kauften bei ALDI. Die Kassiererin stammte aus München. Wir plauderten eine Weile. Auf Deutsch und unter den wachsamen Augen einiger Kunden, die sich plötzlich fremd im eigenen Land fühlten. Aber zum Glück nicht, jedenfalls nicht spürbar, bedroht. So fanden wir zwar keine, aber boten jede Menge fremdländischer Exotik. Und unser, beinahe unnötig zu sagen: riesiger Kühlschrank war befüllt.
Wohnen Sie am Meer, haben Sie gesagt. Davon, dass es hier, an der Küste Neuenglands, im Frühjahr die meiste Zeit regnet, kein Wort. Mir war bald klar, wie das Land von den britischen Siedlern seinen Namen bekam: Die Welt und das Land waren neu, aber das Wetter, das war miserabel wie daheim! Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass der Wäschetrockner nur halb beladen werden kann, sofern man seine Wäsche trocken haben möchte. Und nicht etwa stockfleckig. Ich habe schon einen Waschlappen eingebüßt, weil ich ihn zum Trocknen an den Haken über dem Waschbecken und nicht an die Wäscheleine gehängt habe.
Rebel without a cause...
Aber das ergibt ein falsches Bild. Die Menschen sind freundlich, hilfsbereit und warm. Sie sind jederzeit höflich. Und selbst, wenn ihre Höflichkeit nicht „ehrlich gemeint“ sein sollte – was jetzt vielleicht die Eine oder der Andere einwenden möchte –, so ist sie mir lieb, denn sie behandeln mich jederzeit mit Respekt. Als Schmiermittel der Gemeinschaft funktioniert die amerikanische Höflichkeit, beinahe jeder gesellschaftliche Kontakt klappt reibungslos. Z.B.: Als Person mit Behinderung hatte ich bisher noch niemals das Gefühl, zu langsam, im Weg oder eine Attraktion zu sein. Und sobald sich die Sonne zeigt, passen sich Klima und Landschaft den Menschen an. Die Jungen haben sofort das Bedürfnis, die Sonnenstrahlen auf so viel entblößter Haut wie möglich zu spüren. Allen voran die Studentinnen und Studenten von Yale. Zwischen den hochgeknöpften Colleges und Schools im gotischen Tudorstil laufen die Burschen und Mädchen für unsere Begriffe „nackt“ herum. In Shorts, Leggings und Flipflops. Ganz egal, welche Temperatur das Thermometer misst. Sie tragen die Sommerhitze im Herzen und hüpfen in den ersten Sonnenstunden aus dem Gewand. Wer hier an der Uni eine Kopftuchdiskussion vom Zaun bräche, der würde sich lächerlich machen.
Die Yale-Bulldogs, die weiblichen und männlichen Collegeabsolventen, sind sportlich. Egal wann auch immer ich unterwegs war, oder bloß aus dem Fenster geschaut habe, irgendwo waren immer Joggerinnen und Läufer unterwegs. Manchmal, wenn ich auf den Arm der Gattin und/oder meinen Stock gestützt einen steilen Hügel – davon gibt es eine Menge – hinauf schnaufte, entgleisten mir am Anfang gelegentlich die Gesichtszüge, und ich starrte die Hobbysportler an. Ein paar von ihnen verwechselten meine Motivation. Diese öffentliche Zurschaustellung körperlicher Schönheit und Fitness ging mir auf die Nerven. Warum eigentlich? Ich kam recht schnell darauf. Es war weder Lust, noch Genervtsein. Es war schlicht und ergreifend der Neid.

Fortsetzung folgt…