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Samstag, 27. Mai 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 3)



3. Sinnesfreuden im Land der unbegrenzten Widersprüche


Das US-amerikanische Holzhaus ist eine feine Sache. Es sieht hübsch aus, es bewohnt sich gemütlich, und ich fühle mich in unserem niemals alleine. Immer ist etwas los, immer gibt es etwas zu hören. Von draußen wie von drinnen. Im Hinterhof scheppern die Aludosen und Glasflaschen in die Müllcontainer. Kleine Kinder spielen barfuß in den Gärten (gefühlt auch bei elf Grad und Nieselregen). Die Vögel singen in den Bäumen. Eichhörnchen huschen zwischen den Ästen und über das Gras. Die Blätter im Wind flüstern leise „Impeachment“. Der Regen trommelt auf das Dach und plätschert durch die Dachrinnen. Die Heizung knackt, die Installationen tönen, der Wasserhahn tropft und manchmal gurgelt der Abfluss. Der Luftdruck lässt die Rohre singen. Als anfangs der Badewannensiphon gejammert hat, habe ich einen Schreck bekommen. Inzwischen schaue ich nicht einmal mehr hin, wenn es irgendwo knarrt und ächzt. Ein altes Haus gibt Laut, es schwingt und bewegt sich. Besonders wenn es aus Holz gebaut ist. Als Mitbewohner in dem gut hundertjährigen Mehrparteienhaus ist man nicht nur bei jeder Aktivität live dabei, sondern mitten drin. Es ist immer der obere Nachbar, von dem die Live-Übertragung kommt. Wir haben diese Hypothese in Gesprächen mit Freunden überprüft. Geräusche und Lärm dringen scheinbar immer von oben nach unten. Der Krach folgt einem noch nicht aufgeschriebenen Naturgesetz. Inzwischen bewege ich mich achtsamer. Es gleicht sich alles aus im Leben, Juliane macht im Wohnzimmer Step Aerobic. Von ober uns höre ich jeden Schritt. Nicht nur von den zwei jungen Leuten, Yalies mit SUV in der Garage und Golfbag auf dem Flur, auch von ihrer Katze. Einem Kater, denke ich. Weil er nicht springt und auf Samtpfoten landet wie es die Weibchen, geschmeidige Alleinerzieherinnen und Ernährerinnen machen, sondern sich bohnensackartig zu Boden fallen lässt, wie ich es von meinem getigerten Stubenmacho zuhause gewohnt bin. Mitreißend, wenn der dreiste Mietz spätnachts durch das obere Apartment galoppiert. Allerliebst, wenn er frühmorgens seine Spielzeugkugel über die Dielen treibt. Doch des Katers unschuldige Kurzweil ist nichts gegen das Liebesspiel seiner Besitzer. Wenn sich die beiden liebhaben, haben wir alle was davon. Während des Unsäglichen schneidet ihre Stimme durch das ganze Haus wie ein Lötkolben durch Butter. Und, ich weiß nicht, welche Inszenierung des zweisamen Aktes die da oben auf den Brettern unterm Dach aufführen, ich will es auch gar nicht wissen, es schwingt die ganze Holzkonstruktion vom Dachfirst bis zum Keller. Mir ist beim spätabendlichen Schreiben der Kaffee aus der Tasse auf den Schreibtisch geschwappt.
Unser anfängliches Problem, an leistbares Essen und frische Zutaten zu kommen, haben wir gelöst. Dank der Krankenschwestern im Yale New Haven Hospital. Die Nurses waren und sind unsre allerbesten Tippgeber, wenn es um Alltagsbewältigung geht. Wir lassen uns inzwischen den Einkauf liefern. Da wir kein Auto besitzen (aber eine Garage mit der Wohnung mieten, was ich irgendwie komisch finde), erschlägt die Lösung gleich zwei Vögel mit einem Stein. In der Car Culture kommen wir ohne Auto nirgends hin, weder zum Supermarkt, noch in ein Outlet. Die gesamte Stadt und ihr Umland sind auf PKWs ausgerichtet. Aber ein zuverlässiges Auto anzuschaffen, wäre für uns weder wirtschaftlich noch ökologisch. Also bringt uns der Pea Pod-LKW auf seiner Tour durch die Nachbarschaft die Lebensmittel und was wir sonst noch alles brauchen. Die Lieferanten halten vor dem Haus, laden auf die Veranda aus und schaffen alles nach oben. Ich bin ihnen dabei leider keine Hilfe. Aber wie bereits notiert, Amerikaner sind unglaublich freundlich und hilfsbereit. Noch niemals kam es mit den Fahrern zu der berühmten peinlichen Pause vor dem Verabschieden, weil sie auf Trinkgeld gewartet hätten. 
Ich dachte zunächst, dieser Service erleichtert mir auch das Umweltgewissen. Weil ich nicht selbst herumkutschiere und auf einer LKW-Fahrt mehrere Familien beliefert werden. Aber da hatte ich die Rechnung ohne die Amerikaner und ihren originellen Sinn fürs Verpacken gemacht. Der gesamte Einkauf wird nämlich nicht in eine große Schachtel oder ein paar wenige Säcke gepackt. O nein! Stattdessen werden einer, manchmal zwei, maximal drei Artikel in ein Plastiksackerl oder einen Plastebeutel gesteckt. Das Resultat hat Juliane Plaste-Gau getauft. Das beschreibt den riesigen Haufen Plastikfolie ganz genau. Immerhin brauchen wir so keine Müllsäcke für die Abfalleimer mehr zu kaufen. So benutzen wir die Plastiktaschen wenigstens zweimal.
Was wir bei aller Liebe und Mühe noch immer nicht begriffen haben, warum wir jedes Stück Fleisch, das wir bestellen, faschiert bekommen. Auf dem Foto war es ein wunderschönes Steak, geliefert wurde eine Tasse Rinderhackfleisch. Auch der Bison kam in der Assiette, und landete als Fleischbällchen im Rohr. Das Schreckgespenst Chlorhuhn ist mir dafür noch nie begegnet. Die Hühner sind zwar riesige Viecher, aber nicht spürbar gechlort. Das Leitungswasser schmeckt wie ein missglückter Sprung vom Beckenbrand, aber nicht das Fleisch. Es empfiehlt sich, einen Wasserfilter für das Trinkwasser anzuschaffen, und die Spaghetti mit abgekochtem Wasser aus dem Teekessel zu garen. Ansonsten schmeckt das Nudelgericht schnell ziemlich mineralisch. Das Gemüse, frisch oder tiefgefroren, hat keinerlei Beigeschmack. Das Grünzeug ist sauteuer, aber es schmeckt. Seltsam ist, dass es neben anderen Gläsern auch „rohen Honig“ zu kaufen gibt. In den USA muss alles Essbare pasteurisiert sein. Dass Bienenhonig frei von allen Inhaltstoffen und kaputt ist, sobald er erhitzt wird, spielt keine Rolle. Und obwohl uns der große Al Bundy lehrt, „dass es falsch ist, Franzose zu sein“, sind alle exquisiten Rezepte entweder uralt, französisch, oder am besten beides. Alles andere, was im Zusammenhang mit TTIP über das Essen in den USA propagiert wurde, kann ich nur Märchen nennen. Ich habe es sogar geschafft, in einem von Süditalienern geführten Laden ein ganzes Stück Tafelspitz für ein Abendessen zu bekommen. Nachdem Juliane dem Fleischer genau erklären konnte, welches Teil vom Rind es ist und was ich vorhabe, damit zu machen.
In God we trust. Das gilt seit den Tagen der Pilgerväter in den USA. Auch beim Kochen. Oder besser gesagt, beim Braten. Das Brat- und Backrohr meines Herdes ist riesig. Wäre die Küche öffentlich zugänglich, ich würde ein Vorhängeschloss vor die Klappe machen, damit niemand in dem Ding übernachtet. Die Herde sind so groß, haben mir die Krankenschwestern erklärt, weil auf und in ihnen das berühmte Thanksgiving-Essen gekocht wird. Um eine mehrköpfige Familie sattzubekommen, brauchen die Köche Platz (es sind immer mehrere). Raum für einen gewaltigen Vogel und Kochstellen für die Töpfe mit den Beilagen. Das sich daraus ergebende Einbaugerät ist doppelt bis dreimal so breit und tief wie ein vergleichbarer Europäer. Und jedes kleine Hühnchen vom heimischen Hof bekäme Minderwertigkeitskomplexe neben dem amerikanischen Huhn. (Den durchschnittlichen Truthahn hielten sie für ein Monster.) Ich dachte, so ein Huhn ist in einer halben Stunde gebraten. Hätte das arme Tier noch gekonnt, es hätte mich herzlich ausgelacht. Nachdem man den Braten nämlich mit Gewürzen bestrichen hat, kommt er in den Bräter, einen geschlossenen Metallbehälter. Der kommt ins Rohr, und da bleibt er die nächsten zwei bis vier Stunden. Braten ist eine Sache des Gottvertrauens. Sobald es duftet, ist das Essen fertig.
Jetzt habe ich so viel vom Essen erzählt. Abschließend noch eine kurze Bemerkung zum Wein: Bei jeder Veranstaltung wird ein Buffet gereicht, Geld spielt in Yale beim Catering keine Rolle. Juliane sagt, das Angebot ist in den letzten Jahren viel besser geworden. Es gibt echten Käse aus Milch anstelle des gummiartigen Analogkäses. Der zumeist kalifornische Rebensaft, der zu den Häppchen ausgeschenkt wird, ist hochpreisig und angepriesen, aber für einen österreichischen Gaumen ungenießbar. Schmeckt für jemanden, der trockene Weine gewöhnt ist, wie abgelaufener Traubensaft mit extra Zucker.
Und darum geht es mir jetzt wie Falco (America, 1985):
„Was in mir sitzt ist weiß gespritzt
Das ist mir völlig klar
Obgleich ich Whiskey tschechern tu
Seitdem in USA ich war…“

Fortsetzung folgt...