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Donnerstag, 1. Juni 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 4)



4. Zwei Feiertage im Land der unbegrenzten Widersprüche

Das Auto sollte fotografiert werden...
Das Semester in Yale ist zu Ende gegangen. Die Straßen wirken wie ausgestorben. Es gibt jede Menge freie Parkplätze. Zimmer, Apartments und Häuser sind im Überfluss zu vermieten. Ganze Haushalte stehen zum Verkauf, von der Tasse bis zum Einbauschrank. Alles, was nicht in den Kofferraum oder in den Flieger passt, kommt in den Gartenverkauf. Und ein ganzer LKW-Anhänger voller neuwertiger Fahrräder wurde eingesammelt und vom Unigelände abtransportiert. (Juliane und ich hoffen, nicht auf den Müll, sondern zu einer Fahrradwerkstatt, die aufgearbeitete Secondhand-Räder verkauft. Juliane braucht nämlich eines für den Nahverkehr.) Das wird sich alles wieder ändern, sobald die Sommerferien vorbei sind.

Wir hatten uns gerade gefragt, ob wir unsere eigenwillige Klimaanlage aus dem Wandschrank jemals vor dem Fenster montieren wollen. Das angejahrte Modell schien uns eine Staubschleuder und ein Energiefresser zu sein. Darauf hat uns New Haven prompt geantwortet und uns klimatisch gezeigt, wo der Bartel den Most holt. Auch wenn Amerikaner keinen Most trinken, weil er ihnen nicht süß genug ist. Wir haben geschwitzt wie die Affen. Und plötzlich wirkte die vergilbte Klimaanlage mit ihren Staubgespinsten vor den Lamellen gar nicht mehr so abstoßend und bedenklich wie noch vor ein paar Tagen. Commencement rückte näher, der Tag der Studentenverabschiedungen, der Graduierungen und Konzerte. Und ich dachte ernsthaft darüber nach, wie ich mich am besten vor Hitze und Sonne schützen könnte. (Direkte Bestrahlung geht für mich gar nicht, darum immer mit Sonnencreme und Hut.) Juliane und ich wollten auf das Dämmerungskonzert im Old Campus. Es kam natürlich alles ganz anders. Über Nacht wurde es eiskalt und es goss den ganzen nächsten Tag in Strömen. Platzregen statt Platzkonzert. Die Feierstunde fiel ins Wasser. Juliane und ich blieben zuhause. Durch unsere Fenster sahen wir tagsüber Familienmitglieder, Freunde und Studenten gebückt und vor Kälte schnatternd durch den Regen laufen. Wir sahen hübsche Sommerkleider und Schuhe, die für höhere Temperaturen und sonnigere Stunden gedacht gewesen waren. Omas und Opas tapsten tapfer an Lacken und Pfützen vorbei. Die schönsten Sommersachen lagen versteckt unter Schichten aus Pullovern, Westen und Jacken. Alle, egal ob jung oder alt, trugen stolz aber sichtlich enttäuscht die durchsichtigen Regenpelerinen bedruckt mit dem Yale-Logo. Kaum war Commencement Day vorbei, war es auch schlagartig wieder sonnig und warm. Aber keine falschen Hoffnungen, der nächste Guss folgte auf dem Fuß. Sommerbeginn in Neuengland, das hieß für uns atmosphärisches Kneippen. Wechselbäder in heiß und kalt. Meine wuscheligen Freunde, die Squirrels, die mächtigen heimischen grauen Eichhörner und Eichkater – sie Eichhörnchen zu nennen, wird ihnen nicht gerecht – waren auch schon sichtlich angefressen. Aber eben leider nicht satt. Entweder verließen sie ihre Nester wegen der Kälte gar nicht mehr, bekamen auf der Nahrungssuche nasse Pfoten, oder huschten bei sengender Sonne von einem Schatten in den nächsten. Das Wetter war so unbeständig und launig geworden wie unser allseits geliebter Präsident. Solche Wetterkapriolen, sagte man uns, hat es in New Haven noch nie zuvor gegeben. Man stelle sich vor, was los wäre, gäbe es den Klimawandel wirklich… Apropos Donald: An den wenigen Tagen, die so etwas wie sommerliche Gefühle aufkommen ließen (und zur Nahrungssuche taugten), haben Juliane und ich zwei Streifenhörnchen gesehen. Die schauten wirklich genauso putzig wie in den Disney-Filmen aus. Ahörnchen und Bhörnchen bzw. Chip 'n Dale.
Zwei Eichhorne bei der Arbeit...

Vor und nach unserer Ankunft in den USA haben mir zwei Dinge Sorgen bereitet. Zum einen meine Sprachkompetenz. In New Haven bin ich der Ausländer, der Tschusch, wenn man sich so ausdrücken möchte. Das ist eine lehrreiche Erfahrung. Aber Juliane hat mich beruhigt. Sie meinte, ich kann in jeder Sprache Wienerisch. Und als mir auch die Krankenschwestern und Freunde bestätigt haben, dass ich mich durchaus verständlich machen kann, war ich beruhigt. Es ist mir nämlich wichtig, dass ich nicht nur sage, was ich kann, sondern auch an den Mann und an die Frau bekomme, was ich meine. Und das zweite: O Gott! Ich habe nichts anzuziehen! Dieser Entsetzensschrei im Angesicht des Kleiderschranks ist vielen unter uns nachvollziehbar. Insbesondere jenen, die wie ich in einem Jahr vierundzwanzig Kilogramm verloren haben. In meinen Cargo Shorts, die nach fünfzehn Jahren noch neu und kaum getragen waren, hätte ich einen Passagier mitnehmen können. Als ich irrtümlicher Weise mit beiden Knien in einem Hosenbein stand, wusste ich, dass Juliane Recht hatte, und ich neue brauchte. Also zum Einkaufen fahren! In der Car Culture braucht es dazu ein Auto. Das liehen wir uns beim Car Sharing. Kein Problem. Der SUV von Ford war sehr bequem, geschaltet hat er wie ein Traktor. Egal! Wir wollten an einem Tag ins Outlet fahren, an dem dort keine Menschenmaßen unterwegs sein würden. Eine Gelehrte und ein Freiberufler denken dabei natürlich sofort an Montag. Es hätte sich empfohlen, vorab den Kalender zu konsultieren. An diesem besonderen Montag war Memorial Day! Das ist nicht nur ein beliebtes Feiertags-Wochenende. Nein! Es ist der größte Sale/Ausverkauf im Jahresrund (bis zu 50% auf alle Outletpreise)! Unser hervorragender, ausgebuffter Plan ging völlig in die Hosen. An keinem anderen Tag shoppen mehr Menschen…

Und der Ausflug hat auch super angefangen. Unser gebuchter Wagen hatte in der Nacht zuvor einen Zwischenfall. Er war nicht mehr „safe to drive“, wie mir der freundliche junge Mann am Telefon erklärt hat. Aus dem höflichen Amerikanischen übersetzt: Irgendwer hat Nachtens den Ford Escape zu Schrott gefahren. Hoffentlich ohne Personenschaden. Also ein anderes Auto, dieselbe Type, verschiedener Parkplatz. Der Escape auf dem alternativen Parkplatz befand sich Luftlinie in derselben Laufdistanz wie der, den wir ausgesucht hatten. Was man auf der Karte allerdings nicht sah, das war die Topographie. Heißt: Zwischen mir und meinem Mietwagen ragte ein Hügel, ein Berg, ein Gebirgsgrat auf. Diese Steigung ist berühmt berüchtigt. Während ich mich dort vorne rauf und hinten wieder runter kämpfte und jedes Eichhorn und jedes Vögelchen bestaunte, nur um wieder Luft zu kriegen oder einen Krampf loszuwerden, grüßten mich wiederum die übergewichtigen Damen und Herren als Leidensgenossen, die ihr Arzt zu wiederholten Rauf- und Runterlaufen der Steigung verdonnert hat. Wir kennen und schätzen uns jetzt alle.

Am Ziel, dem Clinton Crossing Premium Outlet, hat Juliane festgestellt, dass wir beide zum Einkaufen angezogen waren, wie der durchschnittliche Amerikaner ins Klavierkonzert geht. Im Outlet kauften Menschen aus dem Mittelstand fesche und leistbare Kleidung, aber die Hosen und Schlabberpullis die sie dabei trugen, die hätten meiner Meinung nach besser in einen Waldkindergarten oder auf den Hometrainer gepasst. Aber was soll´s! Jeder und jede nach seiner Fasson! Das Clinton Crossing Premium Outlet war innerhalb weniger Stunden rappelvoll. Umfallen ging nicht, entweder man landete auf einem Mitmenschen oder auf einem vollgepackten Wühltisch. Auf den ersten Blick war architektonisch kaum ein Unterschied zwischen Clinton Crossing und dem Designer Outlet Parndorf zu erkennen. (Unfassbar, aber wahr, Clinton Crossing war überschaubarer denn anders als beim überregionalen Parndorf, lag das nächste Outlet nur ein paar Highway-Meilen weiter.) Auf dem Weg zu den Restrooms waren aber zum Glück für Ignoranten wie mich Ansichten der berühmtesten Outlets aufgehängt, so dass ich meinen Kennerblick schulen und die regionalen Anpassungen wertschätzen lernte. Es waren zwar überall dieselben Markenläden, aber jedes Outlet zitierte für die jeweilige Region typische Baustile. Nicht jede Ansammlung von Bäumen ist ein Wald! Und wer denkt, dass Shopping keinen sportlichen Anspruch hätte, der oder die irrt. Das Erlaufen und Besichtigen aller Läden und das Vergleichen ihrer Angebote war kein Bummel, es war ein Wandertag, eine Expedition. Zum Glück konnte jederzeit mit frischen Hotdogs, Burgern, reichlich Softdrinks und Zuckerwatte jeder unerwünschte Gewichtsverlust sofort verhindert werden. Hierbei klappte das Lockvogelprinzip hervorragend. Niemand stellte sich am Burgerstand an, weil es regnete. Kaum saß ich dort und mampfte meinen Cheeseburger, bildete sich eine Schlange. In den USA lebt es sich am besten in der Gruppe. Am Ende des Tages bilanzierten wir trotz unserer Startschwierigkeiten und einiger Organisationsmängel positiv. Unser Irrtum erwies sich als wirtschaftlicher Glücksgriff. Bei Levis habe ich zum Beispiel eine Jacke und zwei Cargo Shorts zu einem Preis gekauft, um den es in Österreich eine 501 Jeans gibt.

Unerwartete Probleme ergaben sich beim Erwerb halterlose Strümpfe. Kurz gesagt, das ganz normale Ansinnen ist gescheitert, in einem Wäscheladen Damenstrümpfe zu kaufen. Die befragte Verkäuferin, gepierct, locker und neu in ihren Zwanzigern, reagierte auf die Frage nach Nylonstrümpfen, als ob wir irgendwelches Sexspielzeug haben hätten wollen. Zuerst hat sie nicht verstanden, was stay ups sind. Wir waren in einem Unterwäscheladen. Der Begriff Stockings löste Erstaunen bei ihr aus. (Komisch, US-amerikanische Pornoseiten wissen bei der Suchanfrage immer sofort, was ich haben will.) Endlich wurde dem Mädel klar, dass wir „Strumpfhosen“ nur halt ohne „Hosen“ haben wollten. Bei so viel Bigotterie wurde mir ganz komisch. Zum Glück schaltete sich die ältere Verkäuferin in unser Gespräch ein, die wirkte weniger hipp, etwas altbacken und sehr erfahren in ihren Sechzigern. Die konnte uns unaufgeregt und freundlich ein paar Läden aufzählen, wo es Stay ups zu kaufen gab. Ich glaube, eine bessere Zurschaustellung dessen, wohin sich die amerikanische Gesellschaft seit den Sechzigern entwickelt hat, hätte es nicht geben können.

Auf unserem Ausflug haben wir wieder einiges gelernt. Über das Land und seine Menschen. Trotzdem möchte ich das so nicht so bald wiederholen, ich war danach sowas von fertig…

Fortsetzung folgt…

Hat nichts mit dem Post zu tun, aber ist ein schöner Park...