4. Zwei Feiertage im Land der
unbegrenzten Widersprüche
Das Auto sollte fotografiert werden... |
Das Semester in Yale ist zu Ende
gegangen. Die Straßen wirken wie ausgestorben. Es gibt jede Menge freie
Parkplätze. Zimmer, Apartments und Häuser sind im Überfluss zu vermieten. Ganze
Haushalte stehen zum Verkauf, von der Tasse bis zum Einbauschrank. Alles, was
nicht in den Kofferraum oder in den Flieger passt, kommt in den Gartenverkauf.
Und ein ganzer LKW-Anhänger voller neuwertiger Fahrräder wurde eingesammelt und
vom Unigelände abtransportiert. (Juliane und ich hoffen, nicht auf den Müll,
sondern zu einer Fahrradwerkstatt, die aufgearbeitete Secondhand-Räder
verkauft. Juliane braucht nämlich eines für den Nahverkehr.) Das wird sich alles
wieder ändern, sobald die Sommerferien vorbei sind.
Wir hatten uns gerade gefragt, ob
wir unsere eigenwillige Klimaanlage aus dem Wandschrank jemals vor dem Fenster montieren
wollen. Das angejahrte Modell schien uns eine Staubschleuder und ein
Energiefresser zu sein. Darauf hat uns New Haven prompt geantwortet und uns
klimatisch gezeigt, wo der Bartel den Most holt. Auch wenn Amerikaner keinen
Most trinken, weil er ihnen nicht süß genug ist. Wir haben geschwitzt wie die
Affen. Und plötzlich wirkte die vergilbte Klimaanlage mit ihren Staubgespinsten
vor den Lamellen gar nicht mehr so abstoßend und bedenklich wie noch vor ein
paar Tagen. Commencement rückte
näher, der Tag der Studentenverabschiedungen, der Graduierungen und Konzerte. Und
ich dachte ernsthaft darüber nach, wie ich mich am besten vor Hitze und Sonne schützen
könnte. (Direkte Bestrahlung geht für mich gar nicht, darum immer mit
Sonnencreme und Hut.) Juliane und ich wollten auf das Dämmerungskonzert im Old
Campus. Es kam natürlich alles ganz anders. Über Nacht wurde es eiskalt und es
goss den ganzen nächsten Tag in Strömen. Platzregen statt Platzkonzert. Die
Feierstunde fiel ins Wasser. Juliane und ich blieben zuhause. Durch unsere
Fenster sahen wir tagsüber Familienmitglieder, Freunde und Studenten gebückt
und vor Kälte schnatternd durch den Regen laufen. Wir sahen hübsche
Sommerkleider und Schuhe, die für höhere Temperaturen und sonnigere Stunden
gedacht gewesen waren. Omas und Opas tapsten tapfer an Lacken und Pfützen
vorbei. Die schönsten Sommersachen lagen versteckt unter Schichten aus
Pullovern, Westen und Jacken. Alle, egal ob jung oder alt, trugen stolz aber
sichtlich enttäuscht die durchsichtigen Regenpelerinen bedruckt mit dem
Yale-Logo. Kaum war Commencement Day vorbei,
war es auch schlagartig wieder sonnig und warm. Aber keine falschen Hoffnungen,
der nächste Guss folgte auf dem Fuß. Sommerbeginn in Neuengland, das hieß für
uns atmosphärisches Kneippen. Wechselbäder in heiß und kalt. Meine wuscheligen Freunde,
die Squirrels, die mächtigen heimischen
grauen Eichhörner und Eichkater – sie Eichhörnchen zu nennen, wird ihnen nicht
gerecht – waren auch schon sichtlich angefressen. Aber eben leider nicht satt.
Entweder verließen sie ihre Nester wegen der Kälte gar nicht mehr, bekamen auf
der Nahrungssuche nasse Pfoten, oder huschten bei sengender Sonne von einem
Schatten in den nächsten. Das Wetter war so unbeständig und launig geworden wie
unser allseits geliebter Präsident. Solche Wetterkapriolen, sagte man uns, hat
es in New Haven noch nie zuvor gegeben. Man stelle sich vor, was los wäre, gäbe
es den Klimawandel wirklich… Apropos Donald: An den wenigen Tagen, die so etwas
wie sommerliche Gefühle aufkommen ließen (und zur Nahrungssuche taugten), haben
Juliane und ich zwei Streifenhörnchen gesehen. Die schauten wirklich genauso
putzig wie in den Disney-Filmen aus. Ahörnchen und Bhörnchen bzw. Chip 'n
Dale.
Zwei Eichhorne bei der Arbeit... |
Vor und nach unserer Ankunft in
den USA haben mir zwei Dinge Sorgen bereitet. Zum einen meine Sprachkompetenz.
In New Haven bin ich der Ausländer, der Tschusch,
wenn man sich so ausdrücken möchte. Das ist eine lehrreiche Erfahrung. Aber Juliane
hat mich beruhigt. Sie meinte, ich kann in jeder Sprache Wienerisch. Und als
mir auch die Krankenschwestern und Freunde bestätigt haben, dass ich mich
durchaus verständlich machen kann, war ich beruhigt. Es ist mir nämlich
wichtig, dass ich nicht nur sage, was ich kann, sondern auch an den Mann und an
die Frau bekomme, was ich meine. Und das zweite: O Gott! Ich habe nichts
anzuziehen! Dieser Entsetzensschrei im Angesicht des Kleiderschranks ist vielen
unter uns nachvollziehbar. Insbesondere jenen, die wie ich in einem Jahr
vierundzwanzig Kilogramm verloren haben. In meinen Cargo Shorts, die nach
fünfzehn Jahren noch neu und kaum getragen waren, hätte ich einen Passagier mitnehmen
können. Als ich irrtümlicher Weise mit beiden Knien in einem Hosenbein stand,
wusste ich, dass Juliane Recht hatte, und ich neue brauchte. Also zum Einkaufen
fahren! In der Car Culture braucht es dazu ein Auto. Das liehen wir uns beim
Car Sharing. Kein Problem. Der SUV von Ford war sehr bequem, geschaltet hat er
wie ein Traktor. Egal! Wir wollten an einem Tag ins Outlet fahren, an dem dort
keine Menschenmaßen unterwegs sein würden. Eine Gelehrte und ein Freiberufler
denken dabei natürlich sofort an Montag. Es hätte sich empfohlen, vorab den
Kalender zu konsultieren. An diesem besonderen Montag war Memorial Day! Das ist nicht nur ein beliebtes Feiertags-Wochenende.
Nein! Es ist der größte Sale/Ausverkauf
im Jahresrund (bis zu 50% auf alle Outletpreise)! Unser hervorragender,
ausgebuffter Plan ging völlig in die Hosen. An keinem anderen Tag shoppen mehr
Menschen…
Und der Ausflug hat auch super
angefangen. Unser gebuchter Wagen hatte in der Nacht zuvor einen Zwischenfall.
Er war nicht mehr „safe to drive“, wie
mir der freundliche junge Mann am Telefon erklärt hat. Aus dem höflichen Amerikanischen
übersetzt: Irgendwer hat Nachtens den Ford
Escape zu Schrott gefahren. Hoffentlich ohne Personenschaden. Also ein
anderes Auto, dieselbe Type, verschiedener Parkplatz. Der Escape auf dem alternativen Parkplatz befand sich Luftlinie in
derselben Laufdistanz wie der, den wir ausgesucht hatten. Was man auf der Karte
allerdings nicht sah, das war die Topographie. Heißt: Zwischen mir und meinem
Mietwagen ragte ein Hügel, ein Berg, ein Gebirgsgrat auf. Diese Steigung ist
berühmt berüchtigt. Während ich mich dort vorne rauf und hinten wieder runter
kämpfte und jedes Eichhorn und jedes Vögelchen bestaunte, nur um wieder Luft zu
kriegen oder einen Krampf loszuwerden, grüßten mich wiederum die
übergewichtigen Damen und Herren als Leidensgenossen, die ihr Arzt zu
wiederholten Rauf- und Runterlaufen der Steigung verdonnert hat. Wir kennen und
schätzen uns jetzt alle.
Am Ziel, dem Clinton Crossing Premium Outlet, hat Juliane festgestellt, dass wir
beide zum Einkaufen angezogen waren, wie der durchschnittliche Amerikaner ins
Klavierkonzert geht. Im Outlet kauften Menschen aus dem Mittelstand fesche und
leistbare Kleidung, aber die Hosen und Schlabberpullis die sie dabei trugen, die
hätten meiner Meinung nach besser in einen Waldkindergarten oder auf den
Hometrainer gepasst. Aber was soll´s! Jeder und jede nach seiner Fasson! Das Clinton Crossing Premium Outlet war
innerhalb weniger Stunden rappelvoll. Umfallen ging nicht, entweder man landete
auf einem Mitmenschen oder auf einem vollgepackten Wühltisch. Auf den ersten
Blick war architektonisch kaum ein Unterschied zwischen Clinton Crossing und dem Designer
Outlet Parndorf zu erkennen. (Unfassbar, aber wahr, Clinton Crossing war überschaubarer denn anders als beim
überregionalen Parndorf, lag das nächste Outlet nur ein paar Highway-Meilen
weiter.) Auf dem Weg zu den Restrooms waren aber zum Glück für Ignoranten wie
mich Ansichten der berühmtesten Outlets aufgehängt, so dass ich meinen
Kennerblick schulen und die regionalen Anpassungen wertschätzen lernte. Es
waren zwar überall dieselben Markenläden, aber jedes Outlet zitierte für die
jeweilige Region typische Baustile. Nicht jede Ansammlung von Bäumen ist ein
Wald! Und wer denkt, dass Shopping keinen sportlichen Anspruch hätte, der oder
die irrt. Das Erlaufen und Besichtigen aller Läden und das Vergleichen ihrer
Angebote war kein Bummel, es war ein Wandertag, eine Expedition. Zum Glück
konnte jederzeit mit frischen Hotdogs, Burgern, reichlich Softdrinks und
Zuckerwatte jeder unerwünschte Gewichtsverlust sofort verhindert werden.
Hierbei klappte das Lockvogelprinzip hervorragend. Niemand stellte sich am
Burgerstand an, weil es regnete. Kaum saß ich dort und mampfte meinen
Cheeseburger, bildete sich eine Schlange. In den USA lebt es sich am besten in
der Gruppe. Am Ende des Tages bilanzierten wir trotz unserer
Startschwierigkeiten und einiger Organisationsmängel positiv. Unser Irrtum
erwies sich als wirtschaftlicher Glücksgriff. Bei Levis habe ich zum Beispiel eine Jacke und zwei Cargo Shorts zu
einem Preis gekauft, um den es in Österreich eine 501 Jeans gibt.
Unerwartete Probleme ergaben sich
beim Erwerb halterlose Strümpfe. Kurz gesagt, das ganz normale Ansinnen ist
gescheitert, in einem Wäscheladen Damenstrümpfe zu kaufen. Die befragte
Verkäuferin, gepierct, locker und neu in ihren Zwanzigern, reagierte auf die
Frage nach Nylonstrümpfen, als ob wir irgendwelches Sexspielzeug haben hätten
wollen. Zuerst hat sie nicht verstanden, was stay ups sind. Wir waren in einem Unterwäscheladen. Der Begriff Stockings löste Erstaunen bei ihr aus.
(Komisch, US-amerikanische Pornoseiten wissen bei der Suchanfrage immer sofort,
was ich haben will.) Endlich wurde dem Mädel klar, dass wir „Strumpfhosen“ nur
halt ohne „Hosen“ haben wollten. Bei so viel Bigotterie wurde mir ganz komisch.
Zum Glück schaltete sich die ältere Verkäuferin in unser Gespräch ein, die
wirkte weniger hipp, etwas altbacken und sehr erfahren in ihren Sechzigern. Die
konnte uns unaufgeregt und freundlich ein paar Läden aufzählen, wo es Stay ups zu kaufen gab. Ich glaube, eine
bessere Zurschaustellung dessen, wohin sich die amerikanische Gesellschaft seit
den Sechzigern entwickelt hat, hätte es nicht geben können.
Auf unserem Ausflug haben wir
wieder einiges gelernt. Über das Land und seine Menschen. Trotzdem möchte ich
das so nicht so bald wiederholen, ich war danach sowas von fertig…
Fortsetzung folgt…
Hat nichts mit dem Post zu tun, aber ist ein schöner Park... |