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Freitag, 15. September 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 14)



Teil 14: Beim Vogerldoktor


Keine Killerbiene, eine nette...
Über Nacht hat sich in unserem Umfeld alles verändert. New Haven ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, die Wohncolleges von Yale haben sich gefüllt, die Studenten sind zurück. Wo noch vor ein paar Tagen friedliches Vor-sich-hin-Dämmern auf leeren Gehsteigen geherrscht hat, wuselt heute geschäftiges Treiben. Weicht man einer diskutierenden Gruppe Studentinnen aus, rennt einen der nächste Jogger um. Triefnass, obenrum nackt und untenrum im knappen Höschen, versteht sich. Der herrliche Sonnenschein kann nicht darüber hinwegtäuschen, der Herbst ist da. Die ersten Blätter verfärben sich. Ich freue mich auf den Indian Summer. Dass der Herbst endlich gekommen ist, beweisen zwei Umstände. Erstens, dass das Semester begonnen hat, und zweitens dass in den Grünhäusern des Botanischen Gartens abends das Licht wieder brennt. Unsere wuscheligen Freunde, die silbergrauen Squirrels, waren kurz verschwunden, jetzt sind sie wieder da und stopfen sich mit den reifen Eicheln ringsum die Backen voll. Ich nehme an, sie sind bis jetzt hitzegelähmt in kühlen Baumhöhlen abgehangen, oder haben anderswo reife Früchte geerntet, um winterfit bzw. winterfett zu werden. Um die Blüten summen und brummen die Bienen. Habe ich mich bisher immer vor den großen und fetten schwarzen gegruselt, weiß ich jetzt, dass es die kleinen orangenen sind, vor denen ich mich in Acht nehmen muss. Schwärmend und in großer Zahl sind sie nämlich die berühmten afrikanisierten amerikanischen Honigbienen. Die dicken schwarzen Bienen sind total relaxed und gutmütig. Unsere anderen tierischen Nachbarn sind dafür miesgelaunt wie eh und je. Die Murmeltiere geben inzwischen wirklich jede Nacht lauthals kund, dass sie an Gemeinschaftsleben kein wie auch immer geartetes Interesse haben.
Beim Blick aus den hinteren Fenstern unserer Wohnung gebe ich den Woodchucks Recht. Die Parksituation auf unserem Hinterhof hat sich bis jetzt nicht geregelt. Eigentlich könnte es mir völlig egal sein. Wir haben auf unsere Garage zugunsten des netten jungen Mannes aus Tennessee im Apartment ober uns verzichtet. Aber steht sein Auto in „unserer“ Garage? Natürlich nicht. Da steht mein Freund, der schwarze Lexus. Unternimmt unser Nachmieter deswegen irgendetwas? Nein! Er parkt brav daneben. Neben seiner Garage. Unter freiem Himmel. Und wird es ihm gedankt werden? Nun ganz gewiss nicht. Und um das Tollhaus komplett zu machen, ist er nicht der Einzige, der um seinen Stellplatz quasi betrogen wird. Der Grund? Unsere Nachbarn gehen die Sache mit dem Parken ganz locker an. Wie alles andere auch, was sie nicht unmittelbar selbst einschränkt. Jeder Mieter in den beiden Nachbarhäusern hat das Recht auf zwei Parkplätze, und jede und jeder hat ein Auto. Wir leben in den USA. Und weil sie alle so cool sind, darf sich ein jeder Hinstellen, wo sie oder er mag. Und funktioniert das? Natürlich nicht die Bohne. In die wohligsten und molligsten Einschlafmomente plärren liebliche nächtliche Hupkonzerte und Stimmengezänk. Ist ja auch blöd, wenn einem der Toyota des Nachbarn das Hardtop, also die Abdeckung, vom eigenen Pickup zuparkt. Und da regen sie sich in mir die Waldviertler Gene. Ich verspüre das ungemütliche Bedürfnis, mein Wegerecht und den Grundbesitz zu verteidigen, die Flinte mit Salz und Sauborsten zu laden und mich auf die Lauer zu legen. Wenn die geschätzten Nachbarn es nicht hinkriegen, ihre Parkplätze zu organisieren, okay. Aber bleibt gefälligst auf eurem eigenen Land! Das schrecklichste Verbrechen im Waldviertel war (und ist) das Verrücken von Grenzsteinen. Wer sich das traut, dessen arme Seele ist dazu verdammt, auf ewig jammernd und klagend mit dem Grenzstein um den Hals über die Felder zu wandern. Steht in jedem Sagenbuch. Und ich finde das RICHTIG! Weil mich der Saustall auf dem Hinterhof in den Wahnsinn treibt. Ich will einen Zaun, oder noch besser eine ordentliche Mauer rundherum. Und aus!
Dass das irgendwie meschugge ist, ist mir natürlich auch klar geworden. Mit ein bisschen zarter Hinführung durch meine Angetraute. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mehr und mehr US-amerikanische Angewohnheiten übernehme und verinnerliche. Man hat es mir ja im Studium warnend prophezeit: Es gibt die zweite Sozialisation! Ich trinke inzwischen literweise Root Beer. Was in meiner lieben Frau den Verdacht weckt, ich könnte eine Überdosis davon bekommen, oder nachts zu leuchten beginnen. Und ich genieße Cream Soda, und bechere Von Trapp-Bier, according to Viennese tradition naturgemäß. Und das Gebräu aus dem Haus der Von Trapp Family schmeckt tatsächlich wie das Ottakringer Original. Vieles an der Ostküste ist Wienerischer als es das Zuhause überhaupt noch ist. Und wie jeder gute Ostküstenamerikaner mache ich jetzt auch eine Gesprächstherapie. Und nichts in New Haven ist Wienerischer als das kleine schmucke Haus im Kolonialstil mit Veranda und Garten, in dem die Psychoanalyse ihre Residenz hat. In diesen ehrwürdigen Hallen lebt der Spirit aus der Berggasse weiter. Ich glaubte mich im Freud-Museum. Und hier erinnert man sich noch an den einst berühmten Austrian Edge, an den altösterreichischen Schneid, mit dem man sich besser nicht anlegt. #Hinterhof
Park Street in New Haven, CT
Anfangs eher skeptisch, muss ich zugeben, dass es gut tut, mit jemanden zu sprechen, mit dem ich nicht emotional oder verwandtschaftlich verbunden bin. Es ist die Distanz, die mich dem Kern der Sache näher bringt. Ich rede mit meiner Therapeutin Englisch, um auch wirklich zu sagen, was ich meine. Würde ich Deutsch reden, käme ich garantiert ins Plaudern. Und ich will weder mich noch sie unterhalten. Hatte ich zunächst keine Vorstellung, was ich in 50 Minuten alles erzählen sollte, verging mir die Zeit dann doch wie im Flug. Ich weiß, dass in Europa der Besuch einer solchen Institution noch immer mit einem gewissen Seitenblick betrachtet wird. Völlig unnötiger Weise. Für mich wurde dieser Schritt notwendig. Innerhalb der letzten Jahre hat sich mein Körper vollständig verändert. Ich war zwar niemals leichtfüßig wie eine Elfe oder flink und geschmeidig wie ein Otter, aber jetzt bin ich behindert. Das ist schon einmal ein ziemlicher Brocken. Ich wurde in der Vergangenheit mit Prognosen konfrontiert, die ziemlich barsch waren. Zum Beispiel hatte ich einen Fleck auf der Lunge, von dem meine Ärzte sich nicht sicher gewesen sind, ob es die Sklerodermie, ein Karzinom oder Tuberkulose war. Die Situation, sich zu wünschen, dass es bitte Tuberkulose sein sollte, war ziemlich anspruchsvoll. Ich bin derjenige, den man wirklich coloured nennen sollte, ich bin weiß, schwarz, braun, purpurn und pink gescheckt. Schmerzfrei bin ich eigentlich nie. Der Umstand, dass ein ehemaliger Freund, Partner und Kollege, eine Schmutzkübelkampagne gegen mich geführt hat, und viele Leute Dinge über mich reden und zu wissen glauben, ohne mich jemals um meine Sicht und den Wahrheitsgehalt zu fragen, hat mir auch nicht wirklich geholfen. Ich habe davon aber erst fast zwei Jahre nach meiner Diagnose erfahren. Mir blieb bis dahin bloß, mich zu wundern, warum so eigenartige Dinge um mich herum stattfanden. Ich war, so kann man sagen, wie der Calafati auf dem Praterringelspiel. Last but not least bin ich kein besonders glücklicher Jugendlicher gewesen, weshalb ich etwas verhaltensoriginell war und gelegentlich noch bin. Kurzum: Ich kann jeder und jedem, dem ganz ähnliche Sachen widerfahren, nur raten: Traut euch, redet mit einem Vogerldoktor!
Alle Tassen im Schrank stehen hat schon das neue College im Tudorstil. Inzwischen ist es bezogen, die Türme und Fenster nachts beleuchtet. Und mit den Studenten und Fellows sind auch die chinesischen Großeltern nach New Haven gekommen. Und Juliane und ich hegen den Verdacht, dass sie nicht bloß gekommen sind, ihre Kinder zu besuchen, sondern auch darauf zu achten, dass die Erziehung ihrer Enkel chinesisch bleibt. Ich bin mir dabei nicht so sicher, welches von beiden möglichen Resultaten mich mehr irritiert: Das verwestlichte kleine Wunder, dass nicht einmal mehr hinterher schaut, wenn ihr oder ihm im Bus etwas zu Boden fällt, oder die jungen Mädchen, die im Wettstreit zu stehen scheinen, welche von ihnen ihren Kopf tiefer zwischen den gesenkten Schultern tragen kann. Beides gruselt mich. Und ich gestehe, dass ich jetzt erstmals an meine Grenzen stoße. Weshalb ich auch froh bin, jemanden zum Reden zu haben, mit der ich weder verheiratet, noch befreundet bin.
Ye Olde Yale... Wo alles begann.
Ich bin mit Juliane auf eine Abendveranstaltung gegangen. Mein Plan war es gewesen, einen Kontakt herzustellen. Ich habe es total verkackt. Anders kann man es nicht ausdrücken. Thema des Abends war das Aufrechterhalten und Führen eines kreativen Lebens. Anders gesagt: Wie verdient man als Freischaffender genug Geld, um nicht zu verhungern. Für mich ja kein uninteressantes Thema. Das Podiumsgespräch begann mit einer Vorstellung der Teilnehmerinnen durch die Moderatorin und Herausgeberin. Sie hat wortreich und begeistert über ein Thema schwadroniert, dass ihr sehr am Herzen gelegen ist: Sie sprach über sich selbst. Das hat mich ungut an geteilte Veranstaltungen in meiner aktiven Zeit erinnert. Das alleine war schon mal kein guter Start. Es folgte eine zehnminütige Einführung darüber, wie speziell und privilegiert sie alle als Yale-Studentinnen und Absolventen wären. Dass sie die wenigen wären, die hier sein dürften, während 80% der Bevölkerung sie darum beneiden und hassen würden. Nun, dachte ich, zu Recht. Etwas später erhob sich ein US-asiatisches Küken, das nach eigenen Worten kurz vor dem Abschluss stand, aber in meinen Augen schon oft das Zwölfeläuten gehört hatte, dass sie es als Yale-Studentin nicht gewohnt wäre, jemals ein „Nein“ zu hören. Sie wollte von den Vortragenden wissen, wie sie sich darauf vorbereiten könnte, es – das „Nein“ – in „der richtigen Welt“ zu hören. Sorry, das wurde mir zu viel. Und die kleine Stimme in meinem Kopf – die mit der Flinte und den Sauborstenpatronen –, sagte: „Nein, du kannst hier nicht parken! Das ist verdammt nochmal meine Garage!“ Weder Juliane noch ich gehören zu den Privilegierten. Juliane ist in Yale, weil sie hart dafür gearbeitet hat. Wir beide haben während unseres Studiums gearbeitet und eigenes Geld verdient. Ich habe niemals eine staatliche Unterstützung erhalten, weder als Student, noch als Autor. Und weil ich niemanden hatte, der sich diesbezüglich für mich eingesetzt hat, waren auch wirklich genug Scheißjobs dabei. Ich denke an Hilfsarbeiter auf einer Ausgrabung, Museumsaufsicht und Garderobendienst bei Abendveranstaltungen. Die reale Welt war mir schon in jungem Alter bestens bekannt. Darum bin ich auch nicht locker genug für eine Welt ohne Waschküchenplan oder Parkordnung. Nun ja, und mit dieser Stimmung im Bauch zwanglos Smalltalk zu beginnen, das konnte ja nur schiefgehen. Wie dem auch sei. Schwamm drüber! Beim nächsten Mal klappt es bestimmt wieder besser.

Fortsetzung folgt…

Fall is here. Der Herbst ist da.