Teil 14: Beim Vogerldoktor
Keine Killerbiene, eine nette... |
Über Nacht hat sich in unserem
Umfeld alles verändert. New Haven ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, die
Wohncolleges von Yale haben sich
gefüllt, die Studenten sind zurück. Wo noch vor ein paar Tagen friedliches Vor-sich-hin-Dämmern
auf leeren Gehsteigen geherrscht hat, wuselt heute geschäftiges Treiben. Weicht
man einer diskutierenden Gruppe Studentinnen aus, rennt einen der nächste Jogger
um. Triefnass, obenrum nackt und untenrum im knappen Höschen, versteht sich. Der
herrliche Sonnenschein kann nicht darüber hinwegtäuschen, der Herbst ist da. Die
ersten Blätter verfärben sich. Ich freue mich auf den Indian Summer. Dass der
Herbst endlich gekommen ist, beweisen zwei Umstände. Erstens, dass das Semester
begonnen hat, und zweitens dass in den Grünhäusern des Botanischen Gartens
abends das Licht wieder brennt. Unsere wuscheligen Freunde, die silbergrauen Squirrels, waren kurz verschwunden, jetzt
sind sie wieder da und stopfen sich mit den reifen Eicheln ringsum die Backen
voll. Ich nehme an, sie sind bis jetzt hitzegelähmt in kühlen Baumhöhlen
abgehangen, oder haben anderswo reife Früchte geerntet, um winterfit bzw.
winterfett zu werden. Um die Blüten summen und brummen die Bienen. Habe ich
mich bisher immer vor den großen und fetten schwarzen gegruselt, weiß ich
jetzt, dass es die kleinen orangenen sind, vor denen ich mich in Acht nehmen
muss. Schwärmend und in großer Zahl sind sie nämlich die berühmten afrikanisierten
amerikanischen Honigbienen. Die dicken schwarzen Bienen sind total relaxed und
gutmütig. Unsere anderen tierischen Nachbarn sind dafür miesgelaunt wie eh und
je. Die Murmeltiere geben inzwischen wirklich jede Nacht lauthals kund, dass
sie an Gemeinschaftsleben kein wie auch immer geartetes Interesse haben.
Beim Blick aus den hinteren
Fenstern unserer Wohnung gebe ich den Woodchucks
Recht. Die Parksituation auf unserem Hinterhof hat sich bis jetzt nicht
geregelt. Eigentlich könnte es mir völlig egal sein. Wir haben auf unsere
Garage zugunsten des netten jungen Mannes aus Tennessee im Apartment ober uns
verzichtet. Aber steht sein Auto in „unserer“ Garage? Natürlich nicht. Da steht
mein Freund, der schwarze Lexus. Unternimmt
unser Nachmieter deswegen irgendetwas? Nein! Er parkt brav daneben. Neben
seiner Garage. Unter freiem Himmel. Und wird es ihm gedankt werden? Nun ganz
gewiss nicht. Und um das Tollhaus komplett zu machen, ist er nicht der Einzige,
der um seinen Stellplatz quasi betrogen wird. Der Grund? Unsere Nachbarn gehen
die Sache mit dem Parken ganz locker an. Wie alles andere auch, was sie nicht unmittelbar
selbst einschränkt. Jeder Mieter in den beiden Nachbarhäusern hat das Recht auf
zwei Parkplätze, und jede und jeder hat ein Auto. Wir leben in den USA. Und
weil sie alle so cool sind, darf sich ein jeder Hinstellen, wo sie oder er mag.
Und funktioniert das? Natürlich nicht die Bohne. In die wohligsten und
molligsten Einschlafmomente plärren liebliche nächtliche Hupkonzerte und Stimmengezänk.
Ist ja auch blöd, wenn einem der Toyota
des Nachbarn das Hardtop, also die Abdeckung, vom eigenen Pickup zuparkt. Und da
regen sie sich in mir die Waldviertler Gene. Ich verspüre das ungemütliche
Bedürfnis, mein Wegerecht und den Grundbesitz zu verteidigen, die Flinte mit
Salz und Sauborsten zu laden und mich auf die Lauer zu legen. Wenn die
geschätzten Nachbarn es nicht hinkriegen, ihre Parkplätze zu organisieren,
okay. Aber bleibt gefälligst auf eurem eigenen Land! Das schrecklichste
Verbrechen im Waldviertel war (und ist) das Verrücken von Grenzsteinen. Wer
sich das traut, dessen arme Seele ist dazu verdammt, auf ewig jammernd und
klagend mit dem Grenzstein um den Hals über die Felder zu wandern. Steht in
jedem Sagenbuch. Und ich finde das RICHTIG! Weil mich der Saustall auf dem
Hinterhof in den Wahnsinn treibt. Ich will einen Zaun, oder noch besser eine
ordentliche Mauer rundherum. Und aus!
Dass das irgendwie meschugge ist,
ist mir natürlich auch klar geworden. Mit ein bisschen zarter Hinführung durch
meine Angetraute. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mehr und mehr
US-amerikanische Angewohnheiten übernehme und verinnerliche. Man hat es mir ja
im Studium warnend prophezeit: Es gibt die zweite Sozialisation! Ich trinke
inzwischen literweise Root Beer. Was in meiner lieben Frau den Verdacht weckt,
ich könnte eine Überdosis davon bekommen, oder nachts zu leuchten beginnen. Und
ich genieße Cream Soda, und bechere Von
Trapp-Bier, according to Viennese tradition naturgemäß. Und das Gebräu aus dem Haus der Von Trapp Family schmeckt tatsächlich
wie das Ottakringer Original. Vieles an der Ostküste ist
Wienerischer als es das Zuhause überhaupt noch ist. Und wie jeder gute
Ostküstenamerikaner mache ich jetzt auch eine Gesprächstherapie. Und nichts in
New Haven ist Wienerischer als das kleine schmucke Haus im Kolonialstil mit
Veranda und Garten, in dem die Psychoanalyse ihre Residenz hat. In diesen ehrwürdigen
Hallen lebt der Spirit aus der Berggasse weiter. Ich glaubte mich im Freud-Museum.
Und hier erinnert man sich noch an den einst berühmten Austrian Edge, an den altösterreichischen Schneid, mit dem man sich
besser nicht anlegt. #Hinterhof
Park Street in New Haven, CT |
Anfangs eher skeptisch, muss ich
zugeben, dass es gut tut, mit jemanden zu sprechen, mit dem ich nicht emotional
oder verwandtschaftlich verbunden bin. Es ist die Distanz, die mich dem Kern
der Sache näher bringt. Ich rede mit meiner Therapeutin Englisch, um auch
wirklich zu sagen, was ich meine. Würde ich Deutsch reden, käme ich garantiert
ins Plaudern. Und ich will weder mich noch sie unterhalten. Hatte ich zunächst
keine Vorstellung, was ich in 50 Minuten alles erzählen sollte, verging mir die
Zeit dann doch wie im Flug. Ich weiß, dass in Europa der Besuch einer solchen
Institution noch immer mit einem gewissen Seitenblick betrachtet wird. Völlig
unnötiger Weise. Für mich wurde dieser Schritt notwendig. Innerhalb der letzten
Jahre hat sich mein Körper vollständig verändert. Ich war zwar niemals
leichtfüßig wie eine Elfe oder flink und geschmeidig wie ein Otter, aber jetzt
bin ich behindert. Das ist schon einmal ein ziemlicher Brocken. Ich wurde in
der Vergangenheit mit Prognosen konfrontiert, die ziemlich barsch waren. Zum
Beispiel hatte ich einen Fleck auf der Lunge, von dem meine Ärzte sich nicht
sicher gewesen sind, ob es die Sklerodermie, ein Karzinom oder Tuberkulose war.
Die Situation, sich zu wünschen, dass es bitte Tuberkulose sein sollte, war
ziemlich anspruchsvoll. Ich bin derjenige, den man wirklich coloured nennen sollte, ich bin weiß,
schwarz, braun, purpurn und pink gescheckt. Schmerzfrei bin ich eigentlich nie.
Der Umstand, dass ein ehemaliger Freund, Partner und Kollege, eine
Schmutzkübelkampagne gegen mich geführt hat, und viele Leute Dinge über mich
reden und zu wissen glauben, ohne mich jemals um meine Sicht und den
Wahrheitsgehalt zu fragen, hat mir auch nicht wirklich geholfen. Ich habe davon
aber erst fast zwei Jahre nach meiner Diagnose erfahren. Mir blieb bis dahin bloß,
mich zu wundern, warum so eigenartige Dinge um mich herum stattfanden. Ich war,
so kann man sagen, wie der Calafati
auf dem Praterringelspiel. Last but not least bin ich kein besonders
glücklicher Jugendlicher gewesen, weshalb ich etwas verhaltensoriginell war und
gelegentlich noch bin. Kurzum: Ich kann jeder und jedem, dem ganz ähnliche
Sachen widerfahren, nur raten: Traut euch, redet mit einem Vogerldoktor!
Alle Tassen im Schrank stehen hat
schon das neue College im Tudorstil. Inzwischen ist es bezogen, die Türme und
Fenster nachts beleuchtet. Und mit den Studenten und Fellows sind auch die
chinesischen Großeltern nach New Haven gekommen. Und Juliane und ich hegen den
Verdacht, dass sie nicht bloß gekommen sind, ihre Kinder zu besuchen, sondern
auch darauf zu achten, dass die Erziehung ihrer Enkel chinesisch bleibt. Ich bin
mir dabei nicht so sicher, welches von beiden möglichen Resultaten mich mehr
irritiert: Das verwestlichte kleine Wunder, dass nicht einmal mehr hinterher
schaut, wenn ihr oder ihm im Bus etwas zu Boden fällt, oder die jungen Mädchen,
die im Wettstreit zu stehen scheinen, welche von ihnen ihren Kopf tiefer
zwischen den gesenkten Schultern tragen kann. Beides gruselt mich. Und ich
gestehe, dass ich jetzt erstmals an meine Grenzen stoße. Weshalb ich auch froh
bin, jemanden zum Reden zu haben, mit der ich weder verheiratet, noch
befreundet bin.
Ye Olde Yale... Wo alles begann. |
Ich bin mit Juliane auf eine
Abendveranstaltung gegangen. Mein Plan war es gewesen, einen Kontakt
herzustellen. Ich habe es total verkackt. Anders kann man es nicht ausdrücken. Thema
des Abends war das Aufrechterhalten und Führen eines kreativen Lebens. Anders
gesagt: Wie verdient man als Freischaffender genug Geld, um nicht zu
verhungern. Für mich ja kein uninteressantes Thema. Das Podiumsgespräch begann mit
einer Vorstellung der Teilnehmerinnen durch die Moderatorin und Herausgeberin. Sie
hat wortreich und begeistert über ein Thema schwadroniert, dass ihr sehr am
Herzen gelegen ist: Sie sprach über sich selbst. Das hat mich ungut an geteilte
Veranstaltungen in meiner aktiven Zeit erinnert. Das alleine war schon mal kein
guter Start. Es folgte eine zehnminütige Einführung darüber, wie speziell und privilegiert
sie alle als Yale-Studentinnen und Absolventen wären. Dass sie die wenigen
wären, die hier sein dürften, während 80% der Bevölkerung sie darum beneiden
und hassen würden. Nun, dachte ich, zu Recht. Etwas später erhob sich ein
US-asiatisches Küken, das nach eigenen Worten kurz vor dem Abschluss stand,
aber in meinen Augen schon oft das Zwölfeläuten gehört hatte, dass sie es als Yale-Studentin
nicht gewohnt wäre, jemals ein „Nein“ zu hören. Sie wollte von den Vortragenden
wissen, wie sie sich darauf vorbereiten könnte, es – das „Nein“ – in „der richtigen
Welt“ zu hören. Sorry, das wurde mir zu viel. Und die kleine Stimme in meinem
Kopf – die mit der Flinte und den Sauborstenpatronen –, sagte: „Nein, du kannst
hier nicht parken! Das ist verdammt nochmal meine Garage!“ Weder Juliane noch
ich gehören zu den Privilegierten. Juliane ist in Yale, weil sie hart dafür
gearbeitet hat. Wir beide haben während unseres Studiums gearbeitet und eigenes
Geld verdient. Ich habe niemals eine staatliche Unterstützung erhalten, weder
als Student, noch als Autor. Und weil ich niemanden hatte, der sich diesbezüglich
für mich eingesetzt hat, waren auch wirklich genug Scheißjobs dabei. Ich denke
an Hilfsarbeiter auf einer Ausgrabung, Museumsaufsicht und Garderobendienst bei
Abendveranstaltungen. Die reale Welt war mir schon in jungem Alter bestens
bekannt. Darum bin ich auch nicht locker genug für eine Welt ohne
Waschküchenplan oder Parkordnung. Nun ja, und mit dieser Stimmung im Bauch zwanglos
Smalltalk zu beginnen, das konnte ja nur schiefgehen. Wie dem auch sei. Schwamm
drüber! Beim nächsten Mal klappt es bestimmt wieder besser.
Fortsetzung folgt…
Fall is here. Der Herbst ist da. |