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Sonntag, 11. Februar 2018

Ein Ösi in Connecticut (Teil 26)

Teil 26: Von Fahrer zu Fahrgast


Wir fahren mit Uber. In einer US-amerikanischen Kleinstadt wie New Haven mit 130.000 Einwohnern eine halbe Stunde auf ein Taxi zu warten, ist keine Alternative. Die Yale-Shuttles fahren auch nicht immer und überall. Mit Uber ist in drei bis vier Minuten der Transport geregelt. Via App. Ich mache hier sicher keine Werbung für das Unternehmen. Vergessen wir aber einmal die sozioökonomischen Aspekte. Konzentrieren wir uns auf die sozialen, d.h. die zwischenmenschlichen. Gespräche mit Taxilenkern sind schon spannend. Und das weltweit. In den Uber-Fahrern trafen wir in den USA die interessantesten Gesprächspartner. Aus aller Welt. Spannenderweise saßen bisher nur zwei Frauen am Steuer. Beide junge und patente Afroamerikanerinnen. Weder die eine noch die andere hatte Angst, Fahrgäste in der Nacht durch New Haven zu steuern. Wie gesagt, eine Kleinstadt. Mit Uni. Einem goldenen Käfig von der Armut umringt wie das kleine gallische Dorf von Römerlagern. Die betrunkenen College-Studenten, die Nachtens von einer Bar zur anderen oder heim ins Bettchen gefahren werden wollen, die wären zwar laut und nervig, aber harmlos. Eine Beobachtung, der ich mich anschließe. Außerdem sind die im Vergleich zu den Vollzeitstudenten wenigen partylaunigen Youngsters im Moment halb erfroren. In kurzen Hosen und T-Shirts steif wie die Leguane in Florida. Der nächste Frühling und Sommer kommen indes bestimmt. Durst ist schlimmer als Heimweh. Und einige Fahrten führen aus der Gated Community hinaus. Ich bin mir darum sicher, dass die freundlichen jungen Uber-Fahrerinnen etwas Verbindliches zu ihrem Schutz im Handschuhfach mitführen. Generell empfiehlt es sich, sein europäisches Autofahrergemüt und seinen so leicht im Verkehr gekränkten Stolz zu zügeln. Also nicht mit rotem Kopf Beschimpfungen zu brüllen und/oder seinen Mitmenschen Vögelchen und Fingerchen zu zeigen. Die Chance ist groß, dafür geschwind in den Lauf einer Shotgun oder ähnlichem Geschütz zu schielen. Mitgeführt von einem selbstständigen Unternehmer windigen Gewerbes, eines wehrhaften Republikaners oder gar gleich eines schlecht gelaunten Officers. Letztes wäre übrigens der Jackpot. Von einer Nacht in der Zelle träumt doch jeder. Wer eine Reise tut, der will auch was erzählen.
Die USA waren und sind ein Einwanderungsland. Seit die ersten Jäger und Sammler via Eisschollen und über die Beringstraße hierher wanderten. Die einzige aus dem Kontinent geborene humanoide Lebensform haben die Migranten aufgefressen, das Riesenfaultier. Auch die einheimischen Pferde, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Menschen aus aller Herren Länder kamen und kommen hierher. Die komplette Farbpalette der gegenwärtigen Welle fährt für Uber. Zusammen mit rüstigen Rentnern und Zweit- oder Drittjobholdern. Die Gespräche, die sich daraus ergeben sind spannend, informativ und gelegentlich verstörend. Ein erster Eindruck in aller Kürze und gemäß allen Klischees (Wie schon oft gesagt und geschrieben, die müssen ja irgendwoher kommen):
Der rüstige weiße US-amerikanische Rentner fährt Hybrid oder eine deutsche Limousine. Als Gründe für seine Tätigkeit gibt er Langeweile an. Der Erhalt des Lebensstandards bei drastisch reduziertem Jahreseinkommen und/oder die Schieflage des Haussegens kommen dann später erst zur Sprache. Nachdem man sich gegenseitig ein wenig beschnuppert hat, und Juliane und ich als Renegaten der First Church of Income erkannt wurden. Keiner der gutsituierten Herren möchte in seiner Wohngegend als armer Schlucker verkannt sein und aus der Limousine in einen Kleinwagen umsteigen. Da fährt er das kostenintensive Ding lieber für Uber in Grund und Boden und seine Gesundheit in Nachtschichten und beim Kofferstemmen an die Wand. Bitte, it´s the land of the free. Ähnliche Motivationen verraten afroamerikanische und spanischsprechende Familienväter. Sie sind wie die weißen Pensionisten gut gekleidet, sind gebildet, aber auf dem Armaturenbrett leuchtete in den meisten Fällen die Motorkontrollleuchte. Das nächste Service stand an, jedoch nicht auf dem Finanzplan. In der Kostenabrechnung hatten andere Posten Priorität. Ausbildung und Gesundheit der Kinder zum Beispiel. Beim einzigen Nebenerwerbsstudent, der uns zu später Stunde nachhause fuhr, leuchtete die Kontrolllampe im fabrikneuen SUV nicht. Er gab aber ohne Abschweife zu, dass sein Jeep weder fabrikneu wäre noch Reifen hätte, würde er nach seinen Vorlesungen und Lerneinheiten keine Fahrgäste durch New Haven fahren.
Der größte Anteil der Uber-Fahrer rekrutiert sich aber wie gesagt aus Einwanderern. Aus Südamerika und aus muslimischen Herkunftsländern. Unser eigener Akzent funktioniert als Eisbrecher hervorragend. In den allermeisten Fällen ergibt sich daraus sofort ein Gespräch. Frei nach dem Motto: Wo kommt ihr denn her? Ich bin aus XY… Von Österreich und Deutschland hatten bisher alle wenigstens schon einmal gehört. Juliane ist allerdings schon ein wenig davon gekränkt, dass ihre Antwort mit einem zustimmenden Grunzen quittiert wird, und nach meiner die Begeisterungskurve schlagartig steigt.
Gleich zum Jahreswechsel begegneten wir so einem recht verhaltensoriginellen jungen Mann aus Pakistan. Juliane war gleich aufgefallen, dass seine Kundenbewertung mit nur einem Stern im Vergleich zu allen anderen unter jeder Sau war. Zu Neujahr war die Auswahl nicht groß, der Heimdrang dagegen schon. Also mit bester Absicht und im guten Glauben eingestiegen. Keineswegs ungewöhnlich wollte er wissen, woher wir beide kamen, was wir so machten und wie viele Sprachen wir sprächen. Bei Juliane sind es halt doch ein paar mehr, und auch ich habe die eine oder andere lernen dürfen. Er war spürbar enttäuscht von unseren Antworten und relativierte unsere Sprachenkenntnisse im nächsten Atemzug als „international“. Und ich dachte immer, das sei der eigentliche Zweck, um Fremdsprachen zu lernen, sich international austauschen und verstehen zu lernen. Nein, jener wollte uns aufs Auge drücken, dass er acht Sprachen erlernt hatte. Das nötigte mir wiederum ehrliche Bewunderung ab. Seine Enttäuschung wurde jetzt noch größer. Weil ich keinerlei Geringschätzung für „indigene“ Sprachen erkennen ließ, und seine acht Sprachen alles Regionalsprachen des indischen Subkontinents waren. Weshalb auch. Vielsprachigkeit gehört in multiethnischen oder nomadischen Gesellschaften zum Alltag. Ich schloss, dass er einiges an eurozentrischer bzw. amerikazentrischer Verachtung für seine Herkunft zu spüren bekommen hatte und darum die mit Yale verbundenen Wissenschaftler und Studenten gerne mit der bloßen Anzahl beschämen wollte. Wobei Yale ein schlechter Ort für diese Strategie ist. Er war halt dann doch nicht die hellste Kerze auf dem Weihnachtsbaum. Als mich zu Beschämen weder auf die eine noch die andere Weise klappte, änderte er seine Taktik. Ab hier griff er meine Frau an. Nun wollte er mir weismachen, dass mein Glauben in seinen Augen eben doch nicht so gut war wie ich dachte. Als ich ihm dann in rumpelnden Arabisch meine Kenntnisse seiner Religion vortrug, war der Spaß endgültig vorbei. Meine Frau sei zwar die Professorin, aber ich der klügere und so fort. Bevor das ganze eskalieren konnte, war die Fahrt zu Ende. Mit einem freundlichen Basmala schickte ich ihn seiner Wege. Auf hoffentlich Nimmerwiedersehen.
Auf der höchst angenehmen Fahrt ins Kino zu einem leider enttäuschenden Filmerlebnis baumelte der arabische Namenszug Gottes am Innenspiegel. Das konnte ich nicht unkommentiert lassen. Zu groß war meine Neugier. Und mit diesem Mann unterhielt ich mich prächtig vom Einsteigen bis zum Aussteigen. Über Gott und die Welt, Winterreifen und die unergründlichen Geheimnisse der US-amerikanischen Schneeräumung.
Gerne bin ich mit spanischsprechenden Fahrern unterwegs. Die hören die beste Musik. Und die Augen wider den bösen Blick und die Kalligraphie sind in ihren Cockpits durch Rosenkränze und Madonnen ersetzt. Religion ist bei diesen Menschen kein Thema. Man hat die richtige, oder keine. Hemd wie Hose.
Noch lange in Erinnerung bleiben wird mir ein eher unheimlicher Argentinier. Zum einen weil er mich bzw. uns zu einem unterm Strich unerquicklichen aber bitter notwendigen Arzttermin gefahren hat, zum anderen weil auch er ein missionarisches Mitteilungsbedürfnis an den Tag legte, das mir mit der Zeit unangenehm wurde. Aber man kann seinem Fahrer schlecht den Mund verbieten, auf halbem Weg und mit Kinderstube. Zuerst berichtete er in gebrochenem Englisch und recht kurzweilig über seine Nachtschichten. Die er fahren musste, weil ein Familienbesuch bei den Großeltern in Argentinien zwei seiner Jahresgehälter verschlingt. Sein Redeschwall war zwar verstörend, aber in allem nachvollziehbar. Bis er sich in Rage redete. Er zeigte uns beim Vorbeifahren ein College, von dem er regelmäßig schmusende Mädchen abholte. Das Skandalöse daran, die Mädchen küssten und umarmten andere Mädchen. Es waren schwule Mädchen. Guten Morgen, für diese offene Politik ist Yale in den USA bekannt. Hier, anders als in Europa, gilt Yale als die Hippie-Uni unter den Ivy-League Colleges. Wie dem auch sei. Das nächtliche Schmusen der liebestollen höheren Töchter hatte irgendein Ventil gelöst. Im nächsten Atemzug beschwerte er sich über das Bruststillen. Amerikaner, ärgerte er sich, tolerierten Homosexuelle auf offener Straße, aber mit dem Stillen hatten sie ein Problem. Ich spitzte die Ohren. Er kritisierte das Richtige aber im Vergleich zum Falschen und meiner Meinung nach aus den falschen Motiven. Beim Anblick einer stillenden Mutter bricht wirklich buchstäblich Panik aus, jede Form von Gewalt darf jedoch verherrlicht und gezeigt werden. Das wäre mein Problem mit der Sache. Juliane und ich sind uns darin einig, wir hatten aber anderes im Kopf, meinen Arzttermin, und ließen unsren Fahrer weiter schwadronieren. Die Sau war jetzt ohnedies schon heraus, also randalierte sie munter im Weingarten des Herrn. Angesichts unseres Fahrziels gerieten Arzttermine und Medikamentenverschreibungen zum Inhalt seines Ärgers. Er berichtete wie lange er auf einen Termin beim Doktor zu warten habe, und dass seine schwangere Ehefrau keine Schmerzmittel bekam. Wegen ihrer ständigen Beschwerden wollte er sie am Liebsten umbringen. Das trug er völlig frei von Ironie vor. Zu seinen Gunsten interpretierte ich sein Gesagtes als missglückten Scherz bzw. als Sprach- und Übersetzungsproblem. Schon hörte ich die Veränderung im Atemrhythmus meiner Gattin. Und einmal mehr rettete das Erreichen unseres Ziels die Situation.
Bei einer anderen Fahrt freute sich dagegen ein netter Bursche aus der Republik Kongo wie toll er das US-amerikanische Gesundheitssystem fand. Im Vergleich zu dem in seinem Herkunftsland. Juliane und ich hörten seine Worte und trauten unseren Ohren nicht. Er bemerkte unsere Verwirrung und führte weiter aus: In den USA musste er hunderte und tausende Dollar bezahlen während oder nachdem er einen Doktor gesprochen hatte. In Afrika hatte er dieselben Summen aufbringen müssen, um überhaupt einen Arzt treffen zu dürfen. Der war dann manchmal gar keiner, sondern nur irgendein Typ in einem weißen Kittel. Für ihn waren die USA und ihr Gesundheitssystem eine echte Bereicherung und Verbesserung. Natürlich hätten wir ihm jetzt widersprechen können, die Vorzüge des Sozialsystems in Zentraleuropa preisen und ihm die USA madig reden können, aber damit wäre weder ihm noch uns in irgendeiner Weise geholfen worden. Warum sollten wir einem ehrlich Glücklichen die Freude vermiesen?
Juliane und ich empfinden vieles am US-amerikanischen Gesundheitssystem als Spießrutenlauf. Vor allem das ständige Gezerre wegen der Versicherung. Dabei sei klar gesagt, dass weder unser Versicherungsträger noch die Ärzte und Spitäler das Problem bilden. Die Doktoren leiten ihre Verschreibungen direkt an die zuständige Apotheke weiter. Es gibt keine Rezepte. Bis das Medikament aber endlich in meinen Händen, oder besser gesagt in meinem Mund landet, haben noch einige Würstchen ihren Senf abzugeben. Und das dauert. Jede medizinische Hilfe und Versorgung erfolgt unter Finanzierungsvorbehalt. Zum Davonrennen. Darüber könnte man sehr leicht vergessen, wie viele Schrecken, Mühen und Gefahren Menschen auf sich nehmen, um in die USA zu gelangen.
Die Diskussion über die so genannten Dreamers ist in aller Munde. Wir haben schon einige Demonstrationen und Kundgebungen zu ihren Gunsten gesehen. Und ich glaube, in einem jungen Mann mit leichtem spanischem Akzent haben wir neulich auch einen von ihnen getroffen. Auf der Fahrt unter dem riesigen Blutmond über Fair Haven erzählte er uns von seinem Vater, der die lange Reise von Ecuador in die USA zu Fuß unternommen hatte. Von seinem Marsch von Mexiko durch die Wüste nach Texas. Unter sengender Sonne, ohne Wasser und Proviant.
Last but not least trafen wir im Uber einen jungen Mann, der uns recht schnell und schnörkellos gestand, die USA nicht zu mögen. Die Menschen wären unfreundlich und abweisend zu ihm. Das widersprach meinen eigenen Erfahrungen, und ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass die Ablehnung mit seinem Herkunftsland zu tun hatte. Mein erster Eindruck von ihm war ein positiver, sein Umgang freundlich und offen. Wie üblich fragte er uns nach unserem Akzent. Und siehe da, sein Bruder lebte in Wien, und ein Cousin in Deutschland. Die Österreicher wären sehr nett, die Deutschen weniger. Diese Darstellung verblüffte mich ein wenig. Die österreichische Gastfreundschaft wird zurzeit nicht gerade gepriesen. Jedenfalls nicht in den Sozialen Netzwerken. Für den jungen Mann stand sie außer Zweifel. Die besten Pässe, sagte er, wären ein österreichischer, ein schwedischer oder ein deutscher. Seinem Bruder wurde bedingungslos geholfen, seinem Cousin widerwilliger aber doch. Er musste rund um die Uhr arbeiten, um ein Auskommen zu finden. Und Connecticut ist sehr teuer. Sobald er seine Greencard bekommt, will er in ein freundlicheres Land. Dazu brauchte er aber den US-amerikanischen Pass. Seiner war nämlich nichts wert. Was das denn für ein Pass sei, wollte ich wissen. Ich hatte inzwischen einen Verdacht, der sich prompt bestätigte: Der junge Mann war aus Afghanistan. Als ich ihn fragte, ob er Pashtun sprach, zeigte er sich erschüttert. Er hatte scheinbar noch nicht erlebt, dass jemand wusste, dass es Volk und Sprache der Pashtunen überhaupt gab. Seine Muttersprache war allerdings Dari. Wobei er auch Urdu, Pashtun und Farsi beherrschte. Nach Afghanistan zurück wollte er nie mehr.
Unter dem Eindruck all dieser verschiedenen Gespräche und dem fortgesetzten Konsum heimischer Medien traue ich mir inzwischen folgenden Schluss zu ziehen: Der größte Unterschied zwischen den USA und dem deutschsprachigen Europa in der Politik ist, dass alles, was zum Beispiel in Österreich von vielen bereits als rechts oder konservativ angesehen wird, in den USA eindeutig und zweifelsfrei links ist. Umgekehrt haben in Österreich viele, die sich links oder mittig verorten, Gedankengut verinnerlicht, das sie auch ohne Bedenken äußern und als normal empfinden, das in den USA eindeutig und zweifelsfrei als rechts erkannt wird.
Kurz zusammengefasst: Wer Ohren hat zum Hören, der kann auf Uber-Fahrten sehr viel lernen. Nämlich Demut und Dankbarkeit.


Fortsetzung folgt…