Teil 42: Grand Smoky Mountains National Park, TN -NC und Cherokee, NC
Kaum zu glauben, ich schreibe
meinen letzten Blog-Eintrag über Julianes und meinen USA-Aufenthalt in New
Haven, CT. Nicht mehr an meinem Schreibtisch, aber im Hotel. Nur noch einmal
schlafen, und ich bin kein „Ösi in Connecticut“ mehr. Mit Teil 43, „Rückkehr
und Fazit“, wird nicht nur unser zweijähriges Leben mit Migrationshintergrund
enden, sondern auch dieses Projekt abgeschlossen sein. Und ich möchte mich sehr
herzlich bei allen Leserinnen und Lesern für das vielfältige und rege Interesse
bedanken. Der Blog hat zwar nur neun offizielle Follower, aber er hat dafür 66
377 Seitenaufrufe verzeichnet. Immer wieder wurde ich auch im wahren, dem
analogen Leben interessiert und voller Entdeckerfreude auf meine Zeilen im
Internet angesprochen. Vielen Dank!
Eine Reise in den Süden bildete
unseren letzten Ausflug innerhalb der USA. Diese führte uns aus Connecticut in
Neuengland nach Tennessee und North Carolina unterhalb der Mason-Dixon Linie.
Also jenseits der bis heute ziemlich konfliktreichen Trennungslinie zwischen dem
Norden und dem Süden der Union. Und nicht selten wurde ich darauf hingewiesen,
dass ich mich „dort unten“ im Vergleich zu Nordengland wie in einem anderen
Land fühlen werde. Alle, die diesen Hinweis an mich richteten, meinten es von
ihrem Standpunkt aus positiv. Obwohl sie alle unterschiedliche Aspekte
ansprachen. Beim Süden der USA denkt jede und jeder vor allem eines, nämlich
Vorurteile. Die positiven Vorurteile besagen, dass die Menschen in Tennessee
und North Carolina im Unterschied zu den „hochnäsigen Yankees“ freundlich,
höflich und gastlich sind. Die negativen sehen dort „unten“
Trump-unterstützende Hinterwäldler, die Grillpartys im Schatten der Auspuffgase
ihrer Pick up-Trucks und unter der Battleflag der Konföderierten veranstalten.
Die wechselseitigen Ressentiments speisen sich naturgemäß aus der etwas älteren
und vor allem der jüngeren Geschichte der USA. Juliane und ich haben uns unsere
eigenen Bilder gemacht. Mich lockten die Menschen in den Great Smoky Mountains National
Park, die schon entlang des Mississippi und im Südwesten der USA lebten, bevor
die ersten so genannten „Indianer“ Columbus entdeckt hatten.
In den Bergen am Ocunaluftee
River, rund um die Stadt Cherokee in North Carolina, liegt die Reservation der
Cherokee Nation. Eine First Nation, die zu den so genannten „Five Civilized
Tribes“ gehörte. Cherokee, Chickasaw, Choctaw, Creek (Muscogee), und Seminolen
unterhielten seit der frühesten kolonialen Phase auf dem nordamerikanischen
Kontinent wirtschaftliche, politische und diplomatische Kontakte zu Europa.
Durch wechselseitige Verträge geregelte Verhältnisse bewirkten, dass diese
Nationen die europäische Lebensweise übernahmen. Nach dem Unabhängigkeitskrieg
erfüllten sie alle von den USA gestellten Bedingungen, um Bürger der USA zu
werden, wie ihren gewählten Regierungen von Washington, Jefferson und Knox
versprochen worden war. Seit Anbeginn der Zeiten Farmer, schufen die Cherokee
den infrastrukturellen Aufschwung und die wirtschaftliche Grundlage des
Südwestens der USA. Inklusive Plantagenwirtschaft, was einen dunklen Schatten
auf ihre Geschichte wirft. Seit 1790 wurde im Südwesten der USA der „Plan of
Civilization“ umgesetzt, der Geschlechterverhältnisse und Religion der
einheimischen Bevölkerung vollkommen an die Lebensart der Einwanderer und
Siedler aus dem Norden und Europa anpasste. Kurz und polemisch zusammengefasst:
Aus Männern wurden Frauen gemacht, und aus Frauen Hunde. Zuvor für die
Landwirtschaft verantwortlich, verschwanden die Frauen aus dem öffentlichen
Leben. Was keineswegs zeitgemäß „europäisch“ gedacht war, sondern rein
US-puritanisch. Das Christentum in seiner US-amerikanischen Interpretation löste
das traditionelle Weltbild ab. Vor allem durch das Wirken der Foreign Mission
School (1817-1826) in Connecticut, die auch einheimische und farbige Prediger
ausbildete. Die Cherokee-Sprache wurde mittels eines einzigartigen Syllabars
verschriftlicht. Am Ende der Entwicklung entstand eine Zeitung mit Amtsblatt
der Cherokee Nation. Der Wohlstand der Cherokees weckte Begehrlichkeiten, vor
allem vonseiten Georgias. Ungeachtet aller bilateralen Verträge mit der
englischen Krone und aller Versprechen von US-Präsidenten und US-Secretaries of
State unterzeichnete US-Präsident Andrew Jackson am 28. Mai 1830 den Indian
Removal Act. Jener Andrew Jackson (1767-1845), dem ein Cherokee-Krieger einst
das Leben gerettet hatte. Ein Gesetz, dass Juliane und mir noch vor wenigen
Tagen als Besucher des Kapitols in Washington DCs als eines in einer langen
Reihe von „großartigen“ Gesetzen präsentiert wurde, das durch das demokratisch
gewählte Repräsentantenhaus erlassen worden war. Tatsächlich führte dieses
Vertreibungsgesetz zum „Trail of Tears“, dem Genozid an der Cherokee Nation. Dieses
Gesetz bewirkte, dass „indianische“ Haus-, Land- und Geschäfts- und Gewerbebesitzer
mit staatlicher Gewalt von ihrem Besitz vertrieben wurden, der unmittelbar an
bereits wartende Weiße übergeben wurde. Die Vertriebenen wurden in
Konzentrationslager gesperrt. Die Deportation in die so genannten
„Indianergebiete“ mussten die Cherokee selbst organisieren und finanzieren. Der
Tod unzähliger Menschen in den Lagern, auf Todesmärschen und während der
„Umsiedelung“ wurde wissentlich von den Regierungen in Atlanta und Washington
DC in Kauf genommen. Ich glaube nicht, dass ich an dieser Stelle extra erwähnen
muss, an was mich dieser organisierte Genozid an assimilierten Mitbürgerinnen
und „Ja leider dann doch nicht“-Staatsbürgern erinnerte.
In Washington, DC hörte ich immer
wieder Menschen davon sprechen, dass die USA endlich ihren „eigenen Holocaust“
bekannte. Sie hatten alle das „Museum of African American History“ in der
Hauptstadt der USA besucht und waren ehrlich und meiner Meinung nach völlig
zurecht vom Gesehenen und Erlebten schockiert. Der transkontinentale
Sklavenhandel ist eines der widerlichsten und abartigsten Kapitel der
Weltgeschichte. Ein Verbrechen an Unschuldigen, das Europäer, Araber und
Afrikaner gleichermaßen involvierte und schuldig machte. Trotzdem hinterließ
die Formulierung einen bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge. Und dieser
laute und oft gehörte Ausruf der Empörung klang in meinen Ohren nicht nur,
sondern auch nach Bewunderung und „Sündenstolz“. Im Sinne von, die USA reiht sich
nun ganz in die Reihe der imperialistischen Kolonialreiche ein, sie ist endlich
im Guten wie im Bösen in einem Atemzug mit Groß Britannien, Spanien, Frankreich
und Deutschland zu nennen. Eine „vollkommene“ Großmacht mit festem Platz in der
Geschichte. Auch wenn immer wieder der Versuch unternommen wurde und wird, die
Verantwortung für Plantagenwirtschaft und Sklavenhandel an den „Europäern“ festzumachen.
Die Ermordung, Versklavung und Vertreibung der Native Americans, der Kariben
und der Polynesiern durch die USA seit 1776 war im selben Atemzug völlig
vergessen. Die ersten Regimenter, rekrutiert aus befreiten afrikanischen
Sklaven, kämpften nicht im Bürgerkrieg gegen die Konföderierten, sie kämpften
1812 unter britischer Flagge gegen die USA.
Besonders unappetitlich wird
diese an sich schon widerliche Diskussion, wenn man tut, was man
erfahrungsgemäß besser niemals tun sollte, nämlich die Kommentare im Internet
zu lesen. Zum Beispiel unter dem YouTube-Video Trevor Noahs und der Daily Show
von Comedy Central zum Thema möglicher Reparationszahlungen an die Nachkommen
schwarzer Sklaven in den USA. In den Kommentaren dort entlädt sich die gesamte
Kraft des „Teile und Herrsche“ der aktuellen Identitätspolitik, sobald jemand
auf die Verbrechen an den Native Americans verweist. Schnell sind sich auch
bisher unversöhnliche Bevölkerungsteile einig, die „Indianer“ würden „ja genug
Geld mit ihren Kasinos in den Reservaten verdienen“. Was jedoch ein Reservat
ist, und wie diese Menschen dorthin gelangten, spielt in dieser Interpretation
der „Geschichte“ keine Rolle. Es zählt alleine das „they make money enough“. Da
wird die „heritage“/ „das kulturelle Erbe“ ganz schnell wieder ahistorisch. Haltungen
haben keinen Wert, sondern einen Preis. Oder noch übler, die eine oder der andere
verweist geschickt darauf, dass die Plantagenbesitzer unter den Natives auch
Sklavenhalter waren. Ist diese Feststellung als Argument gedacht, den „Trail of
Tears“ rückwirkend und „rassenübergreifend“ zu einer „rechtmäßigen Enteignung“
zu machen? Und wie verfahre ich gegenüber den Nachkommen jener schwarzer
Sklaven, die am Trail of Tears mit ihren indianischen Besitzern teilnahmen, um
nicht in die Hände der weißen Profiteure zu geraten?
Damit wir uns an dieser Stelle
nicht missverstehen: Ich finde es weder angemessen noch sinnvoll, ein
Verbrechen wider das andere aufwiegen zu wollen. Sie existieren als historisches
Faktum unabhängig voneinander und sollten auch auf diese Weise betrachtet
werden. Aber wer von alldem noch nie etwas gehört hat, der hat keine
Möglichkeit dazu. Und im US-amerikanischen Schulunterricht findet nichts von
alldem, das ich soeben kürzest möglich umrissen habe, Erwähnung. Darin haben
zwar die „Underground Railroad“ und die Abolitionisten ihren berechtigten und
fixen Platz, aber die „Five Civilized Tribes“ aka die Nachfahren der
Mississippi Kultur wurden zum ersten Mal in ihrer Geschichte vom Mittelalter
bis zum neunzehnten Jahrhundert zu einem weißen Fleck auf der Landkarte.
Und weiße Flecken auf der
Landkarte ziehen Europäer an wie faules Obst die Fliegen. Dank „23andMe“ weiß
ich jetzt, dass ich zu 100% Europäer bin, weshalb mich Cherokee wohl auch
magisch anzog. Und ich wollte Schwarzbären sehen. Kleine Schwarzbärchen, die
auf Bäume kletterten. So hat mir das eine Dokumentation über den Frühling in
den „Great Smoky Mountains“ in Washington im Hotel versprochen.
Unsere Anreise begann auf dem
LaGuardia Airport. Also eigentlich mit der Fahrt auf den Flughafen via
GoShuttle. Schlechte Erfahrungen mit und die Angst vor dem Highway nach New
York City führten dazu, dass Juliane und ich pünktlich drei Stunden zu früh in
LaGuardia eintrafen. Andere Erlebnisse wie ewige Wartezeiten, bummelnder
Specialservice und hübsche Restaurants an den Gates motivierten meine Gattin
dazu, schleunigst zum Abfluggate zu eilen. Vorbei am Food Court und den
hübschen Geschäften. Hinter dem Sicherheitsprozedere, wie üblich kein Spaß und
reichlich ätzend, dann die unschöne Überraschung: Die Flüge von New York City
nach Knoxville, Tennessee gehen natürlich nicht von den gut ausgestatteten und
repräsentativen Flugsteig ab. Unser Flugzeug startete von einem weit
abgelegenen Flugsteig aus, der mich mit seinem originalgetreu erhaltenen
Retro-Chic an den Flughafen Wien Schwechat in den 1980igern erinnerte. Derselbe
Fußboden, und auf den schwarz-gelben Hinweistafeln derselbe Schriftsatz wie
einst in Wien. Wie gesagt, im Original erhalten, darum auch etwas baufällig und
abgenutzt. Unnötig zu sagen, dass es hier kein einziges der trendigen Restaurants
gab. Nur insgesamt zirka fünf oder sechs Geschäfte: Imbissbuden, Gebäck- und
Zeitschriftenläden. Die Automaten mit Süßigkeiten, Unterhaltungselektronik
(z.B. Kopfhörer), Drogerie- und Apothekenartikel nicht zu vergessen. Ich hatte
ja jetzt Zeit genug, spazieren zu gehen und mich anzusehen. Im Vorübergehen
beobachtete ich die vereinsamten und darum leicht verhaltensoriginellen Verkäuferinnen,
Angestellten und Sicherheitsleute, und recht schnell taufte ich diesen Teil des
Flughafens auf „das Gate der Verdammten“. Trotzdem waren wir nicht die einzigen,
die so früh bereits auf den Abflug nach Tennessee warteten. Die Wartebänke
füllten sich schnell mit Reisenden, die offensichtlich so schnell wie möglich
aus dem Moloch New York weg und wieder nachhause wollten. Ich fühlte mich
wiederum in meine Kindheit versetzt, diesmal in die Wartehalle des Wiener
Busbahnhofs auf dem Weg ins Waldviertel. Dieser Eindruck wurde von meiner
Verblüffung darüber, dass sich scheinbar alle Fahr- bzw. Fluggäste persönlich
kannten, noch verstärkt. Endgültig sicher war ich mir, hier und jetzt mit einem
fliegenden Linienbus zu reisen, als ich das Flugzeug selbst sah: Zwei
Bankreihen auf jeder Seite. Wie meine Frau sich auszudrücken pflegt, ein
fliegender Schlauch.
Dieser fliegende Linienbus
brachte uns sicher und wohlbehalten in knappen zwei Stunden nach Knoxville. Und
hätte Horn im nördlichen Waldviertel einen Flughafen, so würde der auch
aussehen. Picobello sauber, ein künstlicher Flusslauf mit Felsen und
Stromschnellen im Übergang zur großen Ankunfts- und Abflughalle. Heute weiß
ich, dass er den Ocunaluftee River darstellen sollte. In der Halle ausgestellt:
Landmaschinen, Farmbedarf und Motorboote. Landwirtschaft und professionelles
Fischen an den lokalen Seen stellen die Hauptinteressen und Erwerbquellen der
Region dar. Der junge Mann vom Specialservice wartete bereits am Flugzeug auf
uns, mit Rollstuhl und allem. Er brachte uns zuverlässig vor die Flughafenhalle
und wartete mit uns auf den Uber-Fahrer. Im Gespräch stellte sich heraus, dass
er Cherokee war. Er erklärte mir ausführlich, freundlich und ungefragt, wie ich
am besten am nächsten Tag mit dem Mietwagen in unser Hotel in Cherokee fahren
sollte, das heißt: auf der landschaftlich schönsten Straße durch den
Nationalpark. Julianes Trinkgeldangebot lehnte er höflich aber bestimmt ab.
Nachdem er tatkräftig mitgeholfen hatte, mich und unser Gepäck ins Auto zu
verfrachten. Es war schließlich seine Aufgabe, uns zu helfen. Die Reaktion
bestimmter Specialservice-Mitarbeiter in New York auf ihrer Meinung zu wenig
Trinkgeld sprach eine ganz andere Sprache.
Der Uberfahrer, der uns zu
unserer ersten Übernachtung im nahen Flughafenhotel brachte, war ein
pensionierter „nurse“ der Air Force. Als er hörte, wo wir morgen hinwollten,
freute er sich, er wohnte nämlich dort oben in den Bergen. Er erklärte mir
freundlich und ausführlich, wie ich am besten, also auf der schönsten Straße
durch den Nationalpark, zu unserem Hotel in Cherokee kam. Es war dieselbe Route
wie zuvor. Schade, zu unserem Hotel heute hätten wir in wenigen Minuten auch
gehen können, allerdings hätten wir dazu den Highway überqueren müssen. Wir
hielten das ja schon damals für keine gute Idee, aber in Wahrheit hatten wir
keine Ahnung, wie herausfordernd der Highway in Tennessee werden konnte. Dazu
später mehr.
Unser erstes Abendessen in
Tennessee bekamen wir direkt nebenan in einem Kettenrestaurant von „Ruby
Tuesday“. Erster unmittelbarer Kontakt mit der lokalen Bevölkerung: Juliane
betritt die Szene und löst Erstaunen aus. Blick auf mich, ihre Begleitung, führt
zu Entspannung. Ganz normaler Typ, scheinen sie alle zu denken. Die meisten
Männer tragen Vollbart und eine Schirmmütze. Ein etwas älterer Herr mit
geflochtenen Zöpfen im Bart grüßt mich, als er geht. Die Kellnerin ist total
nett. Die gegrillten Rippchen sind köstlich. Als Getränk dazu empfahl die
Speisekarte: Jack Daniels und Cola. Kein Preis. Was soll´s, wir sind in
Tennessee! Die Rechnung brachte s an den Tag: Der Whiskey kostete zwei Dollar,
das Cola vier. Der Kaffee übrigens 2,90 Dollar.
Am nächsten Morgen in der Lobby
ein befremdendes Erwachen. Die Rezeptionistin dozierte beim Auschecken
ausführlich ihren Gesundheit- und Immunzustand aufgrund einer
Bestrahlungstherapie. Ich dachte, zu viel Information, und Juliane wurde gleich
auf mein ernstes Gesicht angesprochen. Ich bekäme auch eine Strahlentherapie,
erklärte Juliane. Die Dame hinter dem Tresen nickte verständig, ergriff meinen
Unterarm, große Verbrüderung. Ich wusste also, wovon sie redete. Währenddessen
ertönte eine aufgeregte Stimme hinter uns. Ein älterer Typ mit Schirmmütze und
Ohrenstöpseln ereiferte sich gegen die korrupten „Scumbags“ in Washington.
Verabschiedung und Flucht ins Freie.
In der warmen Frühlingssonne
holte mich der Erboste wieder ein. Und er warnte mich besorgt: Wir sollten auf
uns aufpassen. Er trage seine Ohrstöpsel aus gutem Grund. Die Regierung
pflanzte nämlich Mikroben und Bohrwürmer in seinen Körper. Die Amish benutzten
diese Tiere zur Folter. Alles im Lande sei korrupt, und „sie“ wären überall.
Juliane starrte auf ihr Smartphone und sehnte unseren Uber zum Mietwagenverleih
herbei. Ich musste irgendwie entgleist geguckt haben, obwohl ich mich sehr um
professionelle Miene bemüht hatte. Jedenfalls seufzte mein Gegenüber traurig,
dass ich davon wohl noch nie etwas gehört haben werde. Nein, antwortete ich
wahrheitsgemäß. Daraufhin wünschte er mir das Allerbeste, und beteuerte
abermals, wir sollten gut auf uns aufpassen. Er selbst wollte sich wieder in
die Berge zurückziehen. Okay, hier war er also, der paranoide und psychotische Hinterwäldler.
Aber zum Glück auch unser Uber zur Mietwagenfirma.
Bevor ich den Wagen, einen
Nissan, übernehmen gehen durfte, erklärte mir der Angestellte von Enterprise
zum dritten Mal, freundlich, ausführlich und ungefragt wie ich am besten, also
auf der schönsten Straße durch den Nationalpark zu unserem Hotel in Cherokee
fahren sollte. Es war wieder dieselbe Route. Ich hatte allerdings von Anfang an
vor, sie zu fahren. Hatty hatte sie mir schon im Krankenhaus erklärt, sie hatte
in North Carolina gelebt. Jetzt hatte sie sich eingeprägt, ich konnte mich gar
nicht mehr verfahren. Zwischen mir und dem Lenkrad lag nur noch die Bürokratie,
und die verlief etwas zäh, weil der junge Mann verstand, ich würde „Vice“
heißen, was ihn sehr irritierte. Mit meinem Führerschein konnte ich ihm
glaubhaft machen, nicht wie das „Laster“, sondern einfach wie die (Nicht-)Farbe
auf Deutsch zu heißen: Weiss. Aber das Material meines Führerscheins hatte es
ihm noch mehr angetan als mein Nachname. Woraus wir, die Europäer, diese
hervorragenden Dokumente herstellten, wollte er wissen. Er sah so viele davon,
einige wie meiner aus den Neunzigern, und keiner war zerschlissen. Das
imponierte ihm.
Mich beeindruckte die Landschaft,
die ich nur wenige Minuten später fuhr. Erster Eindruck: Kein Müll. Beinahe
nirgends. Vielleicht ein Pappbecher neben der Straße in fünf Meilen. Der
Highway selbst in gutem Zustand. Bis auf einen Abschnitt, auf dem auf den alten
Straßenbelag einfach ein neuer asphaltiert worden war. Diese Lösung hatte den
letzte Winter nicht überlebt. Der Frost hatte riesige Löcher in die Fahrbahn
gesprengt. Das Stück war etwas anspruchsvoll zu fahren. Die Häuser und Gärten
links und rechts der Straße waren allesamt gepflegt. Auch jene der sichtbar
ärmsten Bewohner. Deutliches Zeichen für den völlig anderen Zugang zu Eigentum
als in Neuengland: die zu Füßen beinahe jeden Postkastens gepflanzten
Märzenbecher und Narzissen.
Zwischen Ausfahrt Highway und Einfahrt
Nationalpark liegt Gatlinburg ausgestreckt. So viel wir davon gesehen haben, eine
Straßensiedlung aus Einkaufszentren, Vergnügungsbetrieben, Themenparks und
sogar einer auf Kiel liegenden Titanic. Genau das also, was man in den USA als
Tourismuszentrum bezeichnet. Und es war Spring Break. In Restaurants wurden
während des Abendessens auf Showbühnen Aufführungen gezeigt. In dem meisten davon
bekriegten sich die legendären Hatfields und MacCoys. Die Fehde der beiden
Familien war in den restlichen USA für unverzeihlichen Hass und Hinterwäldler
an sich zum Synonym geworden. Es gibt sogar eine oder mehrere Fernsehserien.
Und es wäre nicht Tennessee, gäbe es nicht auch hier eine lokale Country Music
Legende. In Gatlinburg war es niemand geringerer als Dolly Parton. Sie hatte
entsprechend ihr eigenes Dollywood. Etliche Wegweiser wollten uns nach Dollywood´s Splash Country, in das
Dollywood´s DreamMore Resort oder zu den Dollywood´s Smoky Mountains Cabins
locken. Wir verstanden allerdings nicht, weshalb wir uns in künstlichen
Themenparks vorgaukeln lassen sollten, was keine fünf Minuten Autofahrt tatsächlich
auf uns wartete. Gemessen an den vollen Parkplätzen Gatlinburgs waren wir
jedoch mit dieser Meinung in der Minderheit. Vielleicht war das a auch ganz gut
so. Immerhin für die Schwarzbären und anderen Tiere im Nationalpark.
Natürlich waren wir nicht alleine
im Nationalpark. Es war Spring Break. Wie so eindrücklich empfohlen folgten wir
der 441, einem typischen Beispiel für die Beschäftigungspolitik der 1930iger
Jahre, in Schweißes Angesicht und mit den Händen vom CCC errichtet, dem
Civilian Conservation Corps. 1933 gegründet, und sichtlich genauso ordentlich
wie seine europäischen Vorbilder. Der Vorteil davon, eine mit Granitmauern
befestigte zweispurige Straße mit klug angelegten Ausweichen und malerischen
Tunnels. Die Berge ragten schroff und bewaldet zu allen Seiten auf. Und unten
im Tal donnerte der Ocunaluftee River. Von der Straße gingen auch die
zahlreichen Wanderrouten ab, die auch alle sehr beliebt zu sein schienen.
Die Bäume waren Großteils noch kahl,
so dass ihre Stämme und Äste silbern in der Frühlingssonne glänzten. Die ersten
Knospen der Blätter und Nadeln wirkten gut sichtbar und gleichzeitig
schemenhaft das erste Grün hinein. Von den Parkplätzen an den Panoramablicken
konnte man weit ins Land schauen. Schnell wurde einem dort klar, woher diese
Berge ihren Namen hatten. Die Gipfel ragten dunkel in der Ferne auf und
dunsteten. Ein Schleier aus silbergrauem Nebel lag über den Wipfeln und vor dem
Horizont. Schwarzbären sah ich leider keine, aber einige majestätische
Greifvögel zogen ihre Kreise über den naturbelassenen Tälern und Hängen des
Great Smoky Mountains Nationalparks.
Die Errungenschaften der
amerikanischen Zivilisation stellten mich im Hotel vor eine echte
Herausforderung. Kurz zweifelte ich an meinem Verstand. Der Grund war, dass ich
relativ kurz aufeinanderfolgend in verschiedenen Hotels geschlafen hatte, aber
alle Zimmer geradezu gleich aussahen. Washington, Knoxville und jetzt Cherokee,
überall fast der gleiche Zimmergrundriss, die gleichen dunklen Möbel, derselbe
Teppichboden und ein beinahe identisches Badezimmer. Typisch für
US-amerikanische Hotels. Vielleicht um Vielreisenden das Gefühl eines Zuhauses
zu vermitteln? Ich wusste kurz ehrlich nicht mehr, wo ich war. Oder anders
ausgedrückt: Ich suchte meinen Kamm dort, wo ich ihn am Morgen hingelegt hatte
und ärgerte mich, dass ihn Juliane weggeräumt hatte. Sie klärte mich aber auf,
dass ich heute Früh in einem anderen Hotel in einer anderen Stadt gewesen war.
Zu guter Letzt habe ich einen Riesenschreck bekommen, als ich aus dem Aufzug
ausgestiegen und in die Hotellobby gegangen war. Die sah plötzlich ganz anders
aus als erwartet! Möglicherweise hilft es Handlungsreisenden, aber mich
versetzte diese Uniformität der Hotelzimmer und Hotels kurz in echte Panik.
Am Abend des St. Patrick´s Days
besuchten wir das Casino. In mehrfacher Hinsicht war das unvermeidlich. Das
Harrah´s Cherokee Hotel und Casino war das wirtschaftliche und
gesellschaftliche Zentrum des Reservats, und suchten wir Sonntagabends ein
offenes Restaurant fanden wir es dort. Harrah´s ist sehr viel kleiner als
Foxwoods in Connecticut, aber im Grunde spielt sich in den Hallen dasselbe ab.
Der größte Bereich ist mit grellen und lauten Automaten vollgestellt, an
Spieltischen wird Roulette und Black Jack gespielt und in abgetrennten und
ruhigeren Räumen kann gepokert werden. Es gibt ein kleines Einkaufszentrum mit
zwei Restaurants, einem Steakhouse und einem Italiener. Wir waren beim
Italiener. Und ganz an Ende des Ensembles warteten ein Theater und ein
Bowlingzentrum. Das Publikum ist insgesamt weit bodenständiger und ländlicher
als bei den Pequot in Connecticut. Und weil St. Patrick´s Day war, erschienen
auch einige entsprechend adjustiert. Mit meiner Celtics-Kappe stach ich darum
auch nicht wirklich heraus, obwohl sich auch im Kasino, genau wie an der
Tankstelle en paar Stunden früher, die aus dem Kettenrestaurant abends zuvor
beschriebene Szene mehrmals wiederholte: Julianes Anblick löste Erstaunen aus,
meiner stellte das seelische Gleichgewicht wieder her. Die meisten Männer sahen
aus wie ich, etliche grüßten mich und wünschten mir sogar einen „Happy St.
Patrick´s Day“. Besonders gemustert wurde ich von einem Afroamerikaner an der
Bar in der Spielhalle, der wie der selige Coolio in den 1990igern gestylt war.
Über den Schneidezähnen trug er ebenso formschöne wie elegante so genannte
Grillz. Neben der vergoldeten Zahnverblendung, sah man deutlich, sobald er
lachte oder redete, dass ihm alle Backenzähne fehlten. Er entschied sich
dagegen, Juliane an zu flirten. Die hatte ihn bisher weder gesehen oder
wahrgenommen, weil sie mit dem Rücken zu ihm saß. Sie hätte sich sicher sehr
gefreut. Aus der Bekanntschaft wurde nichts. Seine volle Aufmerksamkeit wurde
kurz darauf zwei leicht bekleideten Damen zuteil, mutmaßlich aus dem Gewerbe.
Wir blieben nicht lange im
Casino. Wir hatten am nächsten Tag einiges vor. Wichtigster Programmpunkt war
das Cherokee Museum. Dieses kleine, aber feine Haus bestach durch seine
großartige Sammlung archäologischer und historischer Objekte. Die Cherokee
konnten sich vieles ihrer Tradition erhalten und zukaufen. In den 1950iger
brannte das Museum überraschend ab, die Cherokee hatten ihre Sammlung jedoch
zum Überwintern ausgelagert. Wovon außer ihnen niemand wusste.
Im Museum wird die Geschichte der
Cherokee Nation seit der Steinzeit dargestellt. Die Mississippi Kultur und ihre
Handlungsnetze werden ebenso ausführlich thematisiert wie die diplomatischen
Kontakte nach Europa und der Trail of Tears und seine Folgen bis heute. Die
Cherokee-Kindern wurden früh von ihren Eltern getrennte und in staatlichen
Boarding Schools (Internaten) zu „guten Staatsbürgern“ umerzogen. Unvorstellbar,
dass die Cherokee erst 1940 zu US-Bürgern erklärt wurden.
Ich glaube, inzwischen ist jeder
und jedem klar, dass ich in Bezug auf die Native Americans eine klare Position
beziehe. Ich habe größten Respekt vor ihren Lebensweisen. Allen Nations ist
eines gemeinsam gewesen: Die totale Ausrottung einer Lebensform, sei es Feind,
Tier oder Pflanze widersprach völlig ihrer Logik. Sogar in der Cherokee-Variante
der Fabel vom Rennen von Schildkröte gegen Hase stirbt der Hase am Ende nicht
wie bei Äsop, sondern ist „nur“ erschöpft und verzweifelt. Im Museumsshop gab
es ein Kinderbuch zu kaufen mit dem Titel „Zehn kleine Häschen“ („Ten Little
Bunnies“). Es fing mit einem einsamen Häschen in der Wildnis an, und es endete
mit einer Gruppe von zehn, die gemeinsam campierten. Selbst wenn dieses
Bewusstsein, wie viele richtig argumentieren, aus der Erfahrung rührt, die die
Paläo-Indianer nach der Ausrottung der nordamerikanischen Megafauna und der Pferde
machten, so muss ich doch unterstreichen, dass diese Kulturen bereit waren, zeitgerecht
die folgerichtigen Konsequenzen zu ziehen. Und nicht bloß die Symptome, sondern
die Ursachen zu beseitigen. Im direkten Vergleich gefragt: Wie viele Amokläufe
muss es noch geben, bis der richtige Zeitpunkt gekommen scheint, um über
Waffengesetze und Zwischenmenschlichkeit in den USA zu reden? Wie viele
Klimakatastrophen müssen noch wie prophezeit eintreten, bis der menschlich
verursachte Klimawandel als Tatsache akzeptiert werden kann?
Ein weiterer augenfälliger
Unterschied zu feudalen Kulturen ist die demokratische Organisation der First
Nations. Die Cherokee errichteten ihre Siedlungen entlang des Mississippi und
im Rest des Südwestens nach dem Motte und Bailey-Prinzip. Genau wie im
normannischen England und auch im niederösterreichischen Waldviertel. Also, jeweils
ein künstlicher Burgberg, und darum herum ein Dorf. Bei den Cherokee stand auf
der Motte allerdings nicht der befestigte Turm der Grundherren, sondern das
Versammlungshaus. Es war faszinierend zu erfahren, dass es bei den Cherokee die
Legende gibt, dass es einst unter ihnen einen Priesteradel gegeben hatte, den
Brahmanen in Indien nicht unähnlich. Die Mitglieder dieser Gruppe, die
Ani-kutani, konzentrierten Reichtum und Bildung auf sich und erhoben sich über
das Gesetz. Sie verübten auch sexuellen Missbrauch. Als ein junger Priester die
Braut eines jungen Kriegers vergewaltigte, führte dies zum unausweichlichen
Aufstand der Cherokee unter der Führung des jungen Kriegers. Alle Ani-kutani
wurden getötet. Und die Cherokee beschlossen, dass es unter ihnen niemals
wieder erblichen Adel und eine Oligarchie geben sollte. Welche Lehren könnten
wir also aus dieser Erfahrung und aus dem Beispiel der Cherokee ziehen?
Auf dem Weg zum National Park-Besucherzentrum
und dem Mountain Farm Museum hatten Juliane und ich eine berührende Begegnung.
Wir sahen einen echten wildlebenden Truthahn mit zahlreichen Hennen. Diese
symbolträchtigen Wildtiere in ihrem natürlichen Umfeld zu sehen, freute mich
sehr. Mir war nicht klar, wie groß diese Tiere wirklich waren und dass sie
schwarzblaues Gefieder haben.
Das kleine Gehöft, das hinter dem
Visitor Centor am Ufer des Ocunaluftee Rivers und bis vor relativ kurzem noch
die Davis-Farm gewesen war, präsentierte sich doch recht spartanisch. Im
Vergleich zu europäischen Bauernhöfen in ähnlich abgelegenen Bergregionen –
Tirol, Steiermark oder Schweiz – waren diese Holzgebäude winzig und ärmlich. Irgendetwas
Wesentliches an der Konstruktion der Ställe fehlte zum heutigen Tag, das es
nicht mehr möglich war, im Winter Tiere auf der Farm zu halten. Tatsächlich waren
die Ställe zugig und eiskalt, die Fugen und Spalten der Wände riesig. Die
Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diese Ritzen und Fugen mit Moos und Lehm
ausgestopft waren. Die Bäume in den Smokys sind dicht mit Flechten bewachsen, die
auch gutes Dämmmaterial abgeben wurden. Das Zimmermannswerk war auch eher
lausig, ohne Nut und Feder oder Gärung lagen die Kanthölzer einfach auf dem
stehenden und tragenden Holz. Die Langhäuser der Cherokee, errichtet wie ein
Fachwerkbau aus Holz und Lehm, wirkten dagegen robust. Und sie waren ja
angeblich die Unzivilisierten. Professionelle Arbeitsteilung war im Falle eines
solchen Einschichtbauernhofes naturgemäß Mangelware, weshalb dieses Gehöft auch
eine kleine Schmiede, eine Sorghumhirse-Verarbeitung und mehr improvisierte
Werkstätten umfasste. Ein bemerkenswertes und hübsches Resultat dieser Arbeitsweise:
Die Scharniere aus Hufeisen an Fensterläden und Türen. Von den Cherokee
übernommen wurde die Methode, amerikanische Rotkehlchen in an den Gärten aufgehängten
Kalebassenkürbissen nisten zu lassen, um „Schädlinge“ von den Feldfrüchten fernzuhalten.
Diese Vögel sind um einiges größer als das europäische Rotkehlchen und
ordentlich revierdominant und rauflustig.
In diesem Sinne sehr eindrücklich
gestaltete sich wieder einmal unser Abendessen. Diesmal im Native-geführten „Paul´s
Family Restaurant“. Family Restaurant, weil keine Alkohol-Lizenz. Beim
Eintreten spielte sich mit den Ladenbesitzern und der Bedienung die bereits
gewohnte Szene ab, die versammelte Gästeschar bereicherte unseren
Erfahrungshorizont um einiges: An einem Tisch saß ein etwas älteres Paar, beide
mit Kurzhaarfrisur und in hochpreisiger professioneller Outdoor-Freizeitkleidung.
Der hagere Mann mit Stoppelbart bemerkte das weiße Y auf Blau an meinen Handschuhen.
Sofort zischte er seiner Frau zu, dass ich ein "Yalie" wäre. Ab
diesem Moment konnte er sich an mir und vor allem an meinem Gehstock nicht sattsehen.
Beides war allen anderen Menschen, die bisher unseren Weg gekreuzt hatten, völlig
egal gewesen. So auch dem Grüppchen örtlicher Landbevölkerung, einer Frau und
zwei Männer in karierten Hemden und in ausgewaschenen und beuligen Jeans. Die
schauten kurz zu uns herüber, als sie uns Deutsch reden hörten, kümmerten sich
danach aber schnell nicht mehr um uns. Das änderte sich schlagartig, als ein
afroamerikanisches Paar das Lokal betrat. Die Spannung zwischen den drei Weißen
und den beiden Schwarzen war spürbar, beinahe unerträglich. Tatsächlich
wechselte das Paar auch kurz darauf den Tisch. Las die beiden in einem anderem
Raum und außer Sicht saßen, beruhigte sich die Stimmung. Ich konnte in Frieden
meinen Elk-Burger verputzen.
Auf der Rückfahrt nach Knoxville
verpassten wir wegen eines Funklochs die richtige Abzweigung und fuhren nicht
wieder durch Gatlinburg zurück. Stattdessen führte uns das Navigationssystem
über kleine abgelegene Landstraßen auf den Highway. Dabei sahen wir blühende
Forsythien und Obstgärten. Und so manches Dorf war um einen Hügel herum errichtet,
auf dessen Kuppe die Gemeindekirche stand. Alles wirkte sauber und gepflegt.
Diese provinzielle Ordentlichkeit erzeugte im Vergleich zu New Haven und
Neuengland vor allem eines: Lebensqualität!
Um unser Leben fürchteten wir
indes kurz vor der Rückgabe unseres Mietwagens am Flughafen von Knoxville. Ich
wollte, auch ganz kleinbürgerlich und ordentlich, den Tank wieder befüllt
zurückgeben. Was ich nicht wusste, alle Tankstelle auf dem Highway sind links.
Das bedeutete, wir mussten erst auf die ganz linke Spur wechseln und von dort
die Gegenfahrbahnen überqueren. Ja, richtig gelesen, wir mussten drei
Richtungsfahrbahnen einer Autobahn in der Gegenrichtung überqueren. Dieses „Geisterfahrer
unterwegs“ entsprach so den Vorschriften. Den Geruch von saurem Angstschweiß in
der Nase erreichten wir lebend die Zapfsäulen. Nur um festzustellen, dass ich
vergessen hatte zu fragen und es nicht auf dem Tankdeckel stand, ob dieses Auto
ein Diesel oder Benziner war. Das Wissen, dass der falsche Zapfhahn nicht in
den Stutzen passte, nutzte in den USA gar nichts, hier sprudelten vier
Treibstoffsorten munter aus demselben Hahn. Das bedeutete, dass ich
unverrichteter Dinge wieder auf die Gegenrichtung des Highways wechseln musste.
Nach dieser Aktion hätte ich gerne das Hemd gewechselt. Stattdessen wechselten
wir vom Mietwagen in den fliegenden Bus nach New York. Gut gegangen, nichts
geschehen!
Fortsetzung folgt…