Teil 19: I am Austrian, I will not be Heil-ed!
Jetzt habe ich es auch endlich
gesehen, Rodgers & Hammerstein´s: The
Sound of Music! Das Musical, das für die Mehrheit der US-Amerikaner wie
nichts anderes für Österreich steht. Zusammen mit meiner Frau aus Dresden. Ich
musste 39 Jahre alt werden und nach New Haven gehen. Und wie so oft in den USA
entwickelte sich der Abend völlig anders als von uns Europäern erwartet.
Natürlich wusste ich, dass es
sowas wie The Sound of Music gibt.
Sowohl als Film als auch als Bühnenstück. Ich hatte auch von der von
Trapp-Familie und ihrer Flucht vor dem Anschluss gehört. Als ich 1995 anlässlich
der 50-Jahr Feier der UNO und UNESCO in New York gewesen bin, wurde ich oft
danach gefragt. „Ob Österreich immer noch so ist?“, wollten viele wissen. Nicht
nur von mir und nicht bloß damals. Ich habe viele getroffen, die von der
Fragerei nach Film und Musical schon ziemlich genervt waren. In New Jersey hat
mir eine Studentin aus Oberösterreich erzählt, längst aufgegeben zu haben und
stets zu antworten, dass sie im Sommer im Dirndl mit dem Haflinger zur Schule
geritten ist, und im Winter mit den Schiern hingefahren ist. Da ich oft und
gerne in Salzburg bin, kannte ich auch die geführten Touren für
englischsprachige Touristen. Täglich werden mehrere Busladungen begeisterter
Fans an die Spiel- und Drehorte von The
Sound of Music gekarrt. Und das war es dann auch. Ich dachte an ein
süßliches Klischee. Ein bisserl Jodeln und Hopsen im Dirndl und der Krachledernen
über saftige Weiden. Punkt und aus. Was geht mich das an?
Jede Menge Merchandising... |
Zweiundzwanzig Jahre später wohne
ich in New Haven in Connecticut und treffe Inger, eine Krankenschwester aus
Dänemark, die nicht nur unglaublich gerne Schifährt, sondern dafür auch regelmäßig
die Trapp Family Lodge in Vermont
besucht. In unserer Begegnung versteckten sich für mich also gleich mehrere
Überraschungen: Erstens erfuhr ich, dass es in unserer unmittelbaren Umgebung ein
Schigebiet gibt. Zweitens, dass es von Exil-Österreichern betrieben wird. Und
drittens, dass es hier zigtausende Fans des alpinen Skiweltcups gibt, die auch
alle brav zu den Rennen pilgern. Nicht ganz grundlos, u.a. Mikaela Shiffrin
besuchte die Burke Mountain Academy
in Vermont. Ich bin selbst Schi-Fan, aber wurde dafür in Österreich von den
üblichen Verdächtigen gerne belächelt. Weil das ja außer „uns“ niemanden
interessiert. Eine Meinung, die wohl ungeprüft (Stichwort: Einschalt- und
Übertragungsquoten) von gewissen Nachbarn übernommen wird, die sich in letzter
Zeit bis auf ein paar erfolgreiche Ausnahmen aus Bayern kaum oder nur schlecht
auf den Rennbretteln halten können. Jedenfalls bestimmt hierorts die Trapp Family das Bild von Österreich.
Auf den ersten Blick ist das für mich eine amüsante Schimäre aus
westösterreichischer und bayrischer Folklore. Die Brauerei stellt dafür ein „Wiener“
Bier her, das wirklich wie das Ottakringer
Original schmeckt. Klingt alles wie business
as usual. Stünde da nicht die Flagge der k. u. k. Kriegsmarine im Büro des
zu internationalen Filmruhm gelangten ehemaligen österreichischen
U-Bootkapitäns und Familienpatriarchen von Trapp. Und dieses Detail lieferte
den fixen Punkt, der unseren harmlosen Theaterabend aus den Angeln hob.
Es war Inger, die mich
informierte, dass dieses Wochenende im Shubert-Theater
New Haven eine Produktion von The
Sound of Music lief. Sie wusste ja, dass ich Österreicher bin. Und ich wäre
es nicht, wenn ich ihr gegenüber nicht schon einmal die Schlacht von Helgoland (Österreich
vs. Dänemark 1866) und mein berufliches und privates Interesse an der
österreichischen Marine erwähnt hätte. Weil ich zugegebenermaßen keinen
Schimmer von dem Stück (oder dem Film) hatte, meinte sie, ich müsste mir das unbedingt
ansehen. Die Gattin war von der Vorstellung, fröhliches Trällern im Alpenglühen
zu bestaunen, zunächst nicht wirklich begeistert. Aber Inger und ich erinnerten
sie daran, dass es beim Eheversprechen „in guten wie in schlechten Zeiten“
hieß. Juliane ließ sich hernach auch nicht lange bitten und checkte uns die
Karten. Und voller Erwartung eines fröhlich heiteren Stelldicheins mit der
leichten Muse bestiegen wir unseren Uber und fuhren vor dem Theater vor.
Das Shubert in New Haven sieht
für meine europäischen Begriffe weniger wie ein Theater als vielmehr wie ein
Kinocenter aus. Hohe Glastüren, mannshohe Plakate, Spannteppich und mehrere
Bars die Popcorn, Snacks und Getränke in Plastikbechern verkauften. All das
durfte selbstverständlich in den Zuschauerraum mitgenommen werden. Juliane und
ich tranken vor der Vorstellung jeweils einen Piccolo Sekt und ein
Bourbon-Cola. Aus dem Plastikbecher mit dünnem schwarzem Strohhalm versteht
sich. Der dünne Trinkhalm weist das Getränk als alkoholisch aus. Das war
allerdings der Teil, der mir als Europäer völlig wurscht blieb.
Ganz und gar nicht egal war uns
die Steigung der Zuschauerränge. Der Blick stürzte quasi auf die Bühne. Ganz zu
den Alpen passend überlegten Juliane und ich eine Seilschaft zu bilden. Unter
Zittern und Stöhnen kletterten wir zu unseren Sitzplätzen. Unser exotisches
Idiom weckte das Interesse einer Billeteurin, die uns erzählte, wie sehr sie The Sound of Music liebte. „Edelweiss“
wäre das Lieblingslied ihres Vaters gewesen, und sie müsse dabei jedes Mal
weinen. Das erschien mir ein wenig prosaisch. Noch.
Der erste Akt erfüllte all unsere
Erwartungen. Jodeldüüh, Herzeleid und Heißa hopsasa. Wir fragten uns, ob das
wirklich ein Stück über den Anschluss 1938 war. Die Darstellung der ehrwürdigen
Mütter aus dem Kloster Nonnberg brachte mich zum Schmunzeln, weil meine Tante
bei ihnen im Internat gewesen ist. Der bemitleidenswerten und rebellischen
Seele war hinter den Klostermauern selten zum Singen zumute. Zum Glück war das
Klofenster nicht vergittert. Aber egal, die sieben Kinder spielten allerliebst.
Die Sänger waren hochprofessionell. Und das Publikum war außer Rand und Band. Eine
Stimmung wie im Fußballstadium. Popcorn und Begeisterung vor und nach jeder
Nummer.
Dann kam die Pause. Der nette
Barkeeper erinnerte sich an mich. Aus irgendeinem Grund war er der Meinung,
dass ich vor dem zweiten Akt einen dreifachen Bourbon in meinem Cola brauchte. Dafür
berechnete er auch bloß einen Dollar mehr. God
bless him! Der Rest der Pause verlief wie immer und überall. In der
Herrentoilette hallende Leere, vor der Damenvariante eine endlose Schlange.
Mein Angebot, schnell ins feindliche Lager zu wechseln, lehnte Juliane aber
wohlweißlich ab. Es gibt Dinge, da verstehen US-Amerikaner bei aller zur schaugestellten
Lockerheit einfach keinen Spaß.
Im zweiten Teil des Musicals
blieb uns das Lachen im Hals stecken. Die Stimmung verdüsterte sich zusehends. Ich
war verblüfft, im Hochzeitsanzug des Kapitäns von Trapp die authentische
Uniform eines k. u. k. Korvettenkapitäns zu erkennen. Dann geschah auf der
Bühne das Unausweichliche, die Nazis übernahmen die Kontrolle. Auch hier alle
Uniformen korrekt. Als sie die Trapp-Familie bei den Kaltzberger Festspielen auf die Bühne zwingen, verhüllten fünf
riesige Blutfahnen die Bühne. Vor den Hakenkreuz-Fahnen sang Vater Trapp dann „Edelweiss“.
Wenn ein Wiener bei „Edelweiss“ zu weinen anfängt, dann bedeutet das zwei
Dinge: Erstens, dass die Inszenierung wirklich gut ist. Und zweitens, dass es
um Österreich im Moment nicht gut steht. Juliane war völlig fertig, Sie fühlte
sich von den riesigen Fahnen auf der Bühne bedroht. Sie hatte die Dinger noch
nie live und in der Größe erlebt, in Deutschland sind sie verboten.
Viele US-Amerikaner halten „Edelweiss“
bis heute für ein traditionelles österreichisches Lied oder sogar für die
Nationalhymne, es wurde aber für The
Sound of Music komponiert. Das Symbol ist jedoch authentisch. Das Edelweiß
war das Symbol nicht nur der Gebirgsjäger, sondern auch der so genannten „Vaterländischen“.
Christlich Sozialer und nicht selten katholisch-monarchistischer Widerstand.
Dass beim Einzug in den Nationalrat an bestimmten Revers die blaue Kornblume
durch das Edelweiß ersetzt wurde, ist kein Zufall, sondern Inszenierung. Eine
deren Bedeutung mir erst durch die Inszenierung von The Sound of Music in den USA bewusst gemacht wurde. „Edelweiss“
ist das Abschiedslied an das Österreich, das die Trapp-Familie kannte und
liebte. Und dass ich das Stück oder den Film so überhaupt nicht kannte, das
hinterließ einen fahlen Beigeschmack auf meiner Zunge. Die gleichen Menschen
sind erschüttert, dass wieder Deutschnationale im Nationalrat sitzen, deren Bildungspolitik
erneut dazu geführt hat.
Mein Lieblingssatz aus dem Stück
lautet jedenfalls für jetzt und allezeit: „I am Austrian, I will not be
Heil-ed!“
Fortsetzung folgt...
Da wird das Bühnen-Salzburg eingepackt und in die nächste Stadt gebracht... |