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Lassen wir es einmal dahingestellt, ob es sich bei der
Forderung nach einem Verbot des islamischen Kopftuchs in Kindergärten und Volksschulen seitens
der Politik um einen Smogscreen handelt, um von weit drängenderen politischen
Problemen abzulenken. Hinterfragen wir auch nicht die Möglichkeiten der
Gesetzgebung in einem aufgeklärten Verfassungsstaat. Versuchen wir stattdessen
mit den schriftlichen Quellen, die jeder und jedem leicht zur Verfügung stehen,
zu ergründen, wo die ganze Debatte innerhalb der so genannten westlichen
Gesellschaft um das Verhüllen der weiblichen Kopfhaare seinen Ursprung nahm.
Ich weiß, diese Aufgabenstellung gestaltet sich dieser Tage
nicht leicht. Vieles, das auf Grundlage ordentlicher Feldforschung und
fundierter Literaturstudien geschrieben, gelesen und gelehrt wurde, kann heute
in der angeheizten Diskussion in gutem Glauben und/oder frei nach Gutdünken einfach
so vom Tisch gewischt werden. Nichtsdestotrotz werde ich es an dieser Stelle erneut,
unaufgeregt und mit Fleiß versuchen, ich habe nämlich sehr viel
Recherchematerial und Zeit:
Durch die Verbreitung des Christentums fand auch die Deutung
des weiblichen Haupthaares als sekundäres Geschlechtsmerkmal und sexuelles
Attribut Eingang in die europäische Alltagskultur. Unser „westliches“
Verständnis für diese Dinge scheint bis heute von den griechischen, römischen
und monotheistisch orientalischen Ansätzen geprägt zu sein. Diese sprachen der
Frau eine rein passive Rolle zu. In vielen heidnischen, vor allen keltischen
und germanischen Gesellschaftsformen, sah das Geschlechterverhältnis anders
aus. Viele erinnern sich bestimmt, dass es unter älteren Frauen auf dem Land stets
üblich war, ein Kopftuch zu tragen, sobald sie das Haus verließen. Auch das
Sprichwort, jemanden „unter die Haube zu
bringen“, zu verheiraten, legte beredtes Zeugnis ab. Maria Theresia und Queen
Victoria trugen seit dem Tod ihrer geliebten Ehemänner (1765 bzw. 1861) bis zu
ihrem Tod eine Witwenhaube (1780 bzw. 1901). Wollte ein christlicher Künstler
die Unbeflecktheit der Heiligen Jungfrau Maria zum Ausdruck bringen, stellte er
sie mit offenem wallendem Haar dar. Nur unverheiratete und somit jungfräuliche
Mädchen durften so zur Kirche gehen. So einfach und eindrücklich war das.
Seinen Ursprung hatte diese Prägung im ersten Brief des Apostels Paulus an die
Korinther:
„Eine Frau aber, die
betet oder prophetisch redet mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt;
denn es ist gerade so, als wäre sie geschoren.
Will sie sich nicht bedecken, so soll sie sich doch das Haar abschneiden lassen! Weil es aber für die Frau eine Schande ist, dass sie das Haar abgeschnitten hat oder geschoren ist, soll sie das Haupt bedecken.“
Will sie sich nicht bedecken, so soll sie sich doch das Haar abschneiden lassen! Weil es aber für die Frau eine Schande ist, dass sie das Haar abgeschnitten hat oder geschoren ist, soll sie das Haupt bedecken.“
[1 Kor 11, 5-6;
Lutherbibel 1984]
Der Text stammt aus dem Jahr 50 oder 51 n. Chr., die Autorenschaft
von Paulus gilt unter Theologen als unbestritten. Insbesondere für Argumente in
der Debatte um das islamische Kopftuch im öffentlichen Raum wird der
Paulusbrief oft und gerne zurate gezogen. Das Sendschreiben regelte mehrere
Fragestellungen, der Brief umfasst seit dem Mittelalter sechzehn Kapitel. Unter
anderem auch das Geschlechterverhältnis. Ganz im Sinne seines Glaubens und des
Verständnisses wie es im rund zweihundertfünfzig Jahre älteren Text von Jesus
Sirach Ausdruck findet, beschrieb Paulus den Mann als das „Haupt der Frau“ [1 Kor 11,3; ebd.].
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Das Buch Jesus Sirach
(auch Ecclesiasticus oder Ben Sira et alii) stammt aus dem zweiten
vorchristlichen Jahrhundert. Es ist ein zumeist als apokryph beschriebener Text
der Weisheitsbücher der jüdisch-christlichen Bibel. Martin Luther hat das Buch
aus seiner Bibelübersetzung gestrichen aus Mangel an Beweisen für seine
Authentizität. Diese sind inzwischen von der Archäologie erbracht worden, aber der
Reformator hatte auch große Probleme mit dem Inhalt des Textes. In reformierten
Bibelausgaben sucht man dieses Buch vergeblich, in ökumenischen und
katholischen findet man es sehr wohl. Das Gesinnungstestament eines Gelehrten
und Lehrers warnt vor den schlimmen Folgen einer missratenen Kindeserziehung für
das gesellschaftliche Ansehen eines Mannes bzw. Vaters (Kapitel 22). Der Text gibt
in der Folge erste, d.h.: im Rahmen der monotheistischen Buchreligionen bezeugte,
klare Anweisungen für die unterschiedliche Erziehung von Jungen und Mädchen:
„Eine Tochter ist für
den Vater ein Schatz, den er hütet, die Sorge um sie nimmt ihm den Schlaf:
in ihrer Jugend, dass sie nicht verschmäht wird,
nach der Heirat, dass sie nicht verstoßen wird,
als Mädchen, dass sie nicht verführt wird,
bei ihrem Gatten, dass sie nicht untreu wird,
im Haus ihres Vaters, dass sie nicht schwanger wird,
im Haus ihres Gatten, dass sie nicht kinderlos bleibt.
in ihrer Jugend, dass sie nicht verschmäht wird,
nach der Heirat, dass sie nicht verstoßen wird,
als Mädchen, dass sie nicht verführt wird,
bei ihrem Gatten, dass sie nicht untreu wird,
im Haus ihres Vaters, dass sie nicht schwanger wird,
im Haus ihres Gatten, dass sie nicht kinderlos bleibt.
Mein Sohn, wache
streng über deine Tochter, damit sie dich nicht in schlechten Ruf bringt,
kein Stadtgespräch und keinen Volksauflauf erregt,
dich nicht beschämt in der Versammlung am Stadttor.
Wo sie sich aufhält, sei kein Fenster, kein Ausblick auf die Wege ringsum.
Keinem Mann zeige sie ihre Schönheit und unter Frauen halte sie sich nicht auf.
kein Stadtgespräch und keinen Volksauflauf erregt,
dich nicht beschämt in der Versammlung am Stadttor.
Wo sie sich aufhält, sei kein Fenster, kein Ausblick auf die Wege ringsum.
Keinem Mann zeige sie ihre Schönheit und unter Frauen halte sie sich nicht auf.
Denn aus dem Kleid kommt
die Motte, aus der einen Frau die Schlechtigkeit der andern. Besser ein
unfreundlicher Mann als eine freundliche Frau und (besser) eine gewissenhafte
Tochter als jede Art von Schmach.“
[Jesus Sirach 42, 9-14;
Einheitsübersetzung]
Diese Worte beinhalten ganz gewiss einen gewissen Widererkennungseffekt z.B. mit einem Harem.
Ihr Ursprung liegt im antiken Jerusalem (oder Alexandria). Der Verfasser, ein
gebildeter Jude, gibt seinem Sohn Erziehungstipps, Richtlinien, die lange Zeit,
in manchen Teilen der Gesellschaft bis heute, Gültigkeit haben. Wer jetzt
denkt, den (Enkel-)Söhnen erginge es liebevoller, die oder der irrt gewaltig:
„Wer seinen Sohn
liebt, hält den Stock für ihn bereit, damit er später Freude erleben kann.
(…)
Beug ihm den Kopf in Kindestagen; schlag ihn aufs Gesäß, solange er noch klein ist,
sonst wird er störrisch und widerspenstig gegen dich, und du hast Kummer mit ihm.“
(…)
Beug ihm den Kopf in Kindestagen; schlag ihn aufs Gesäß, solange er noch klein ist,
sonst wird er störrisch und widerspenstig gegen dich, und du hast Kummer mit ihm.“
[Jesus Sirach, 30, 1
und 12; ebd.]
War und ist die von Jesus Sirach vertretene Pädagogik aus
heutiger Sicht archaisch, brutal und nach aufgeklärtem Verständnis gegen die
Menschen- und Kinderrechte, so hielt der Text auch überaus praktische
Verhaltensregeln für fast alle Lebenslagen bereit. Das reichte von Tischsitten
bis zum Umgang mit Freunden, Vorgesetzten und sogar mit Kreditwesen.
Insbesondere für ultra-konservative religiöse Gruppierungen hat Jesus Sirach im
Krankheitsfall einen guten Rat. Und um hier nicht nur seine schwarze Pädagogik
zu zitieren:
„Doch auch dem Arzt
gewähre Zutritt! Er soll nicht fernbleiben; denn auch er ist notwendig.
Zu gegebener Zeit liegt in seiner Hand der Erfolg, denn auch er betet zu Gott,
er möge ihm die Untersuchung gelingen lassen und die Heilung zur Erhaltung des Lebens.“
Zu gegebener Zeit liegt in seiner Hand der Erfolg, denn auch er betet zu Gott,
er möge ihm die Untersuchung gelingen lassen und die Heilung zur Erhaltung des Lebens.“
[Jesus Sirach 38,
13-14; ebd.]
Niemand hätte nach Aufklärung und Kulturkampf in Europa
damit gerechnet, dass Paulus im einundzwanzigsten Jahrhundert noch einmal
gesellschaftspolitische Relevanz bekommt. Für die australische Erfinderin des Burkini, Ahada Zanetti, bedeutet die verhüllende
Badekleidung aus einem Lycra-Teflon-Stoffmix vor allem eines, nämlich Teilnahme
am öffentlichen Leben. Während in Mitteleuropa heftig über ein Verbot des Burkini in öffentlichen Badeanstalten
und an Stränden diskutiert wird. Der Name Burkini
ist eine Wortkreuzung aus "Burka"
und "Bikini". Er beschreibt
einen Zweiteiler zum Baden, dessen lange Hose und Oberteil Arme und Beine
bedecken. Kopf und Hals bekleidet der angenähte "Hijood", seinerseits ein Wortspiel aus "Hidjab" (dt.: Kopftuch) und "Hood" (dt.: Haube). Das Gesicht
bleibt frei.
"Der Körper einer
Muslimin wird immer politisiert. Egal, ob er bedeckt ist oder nicht",
sagt Ahada Zanetti, die auch die Sportbekleidung für Afghanistans
Frauen-Fußballteam und Bahrains Olympia-Läuferinnen entworfen hat [Zitiert
nach: derstandard.at, 22.August 2016]. Dass sie mit den Produkten ihrer Firma Ahiida muslimischen Frauen
Selbstvertrauen und Komfort bieten möchte, argumentiert Ahada Zanetti so: „Sie wollen, dass wir uns in ihre westlichen
Ideen einfügen. Ich bin eine fähige, unabhängige Frau. Das ist mein Körper,
mein Tempel. Ich entscheide, wie ich ihn zeigen möchte." [ebd.] Und
sie bezieht sich mit ihren Worten, bewusst oder unbewusst, auf den Apostel
Paulus und seinen ersten Brief an die Korinther aus dem ersten Jahrhundert:
„Oder wisst ihr nicht,
dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr
von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?
Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“
Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“
[1 Kor 6, 19-20;
Lutherbibel 1984]
In der spätantiken männlich dominierten hellenistischen
Gesellschaft rannte Paulus als römischer Bürger jüdischen bzw. später
christlichen Glaubens mit seinen Wertvorstellungen offene Türen ein. Das
Resultat war, dass mit der Machtergreifung des monotheistischen Christentums im
römischen Weltreich das Weibliche zunächst komplett aus dem öffentlichen Raum
und der Religion verbannt wurde. Die alten Götter wurden zu Dämonen gemacht,
die uralten Muttergöttinnen verteufelt. Die Misogynie, die Frauenfeindlichkeit,
feierte in Theologie und Politik fröhliche Urstände. Nur in der europäischen Volksfrömmigkeit
konnte dieses rigide Konzept nicht gänzlich greifen. Die Marienverehrung machte
dem Bestreben einen dicken Strich durch die Rechnung. Und vorchristliche
Vorstellungen und Kultplätze blieben Überlieferungen, Inquisitionsakten und
modernen archäologischen Befunden zufolge bis ins Hochmittelalter und in
Britannien bis in die Neuzeit am Leben.