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Montag, 28. Mai 2018

Ein Ösi in Connecticut (Teil 32)


Teil 32: Das österreichische Landgasthaus



Austrian Country Cuisine, österreichische Landküche, das klang wie ein Versprechen, gleichzeitig aber auch wie eine Drohung. Das europäische Vorurteil über den US-amerikanischen Gaumen lautet: Verbranntes Fleisch, Fett und Zucker. Dazu Makkaroni mit Käse. Garniert mit Zucker. Zentnerweise serviert. Ebenso viele Vorurteile gibt es von US-amerikanischer Seite gegen das europäische Essen. Nur was Chinesen essen gilt als schlimmer. Manchmal stimmt´s von beiden Seiten, mehrheitlich jedoch gar nicht. Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über, genau darum reden und schreiben Österreicher gerne und häufig übers Essen. Das Abendessen im österreichischen Landgasthof im nahen und idyllischen Cheshire war als End- und Höhepunkt eines Seminars über österreichische Literatur gedacht. Das auf Papierweiß gedruckte Wort schmeckt und riecht aber nur nach Druckerschwärze, und grau bleibt darum jede Theorie. Daher lautete die Idee: Da hilft nur der Praxistest, die Probe aufs Exempel. Doch erstens kommt es immer anders und zweitens als man denkt, die Studentinnen und Teilnehmer zeigten nach dem Abholen ihrer Note fürs Lesen keinen Appetit aufs Erholen beim Essen. Sie hatten kein Interesse, ihren Horizont über den Burger-Tellerrand zu erweitern. Wie langweilig. Ich bin zwar manchmal ein Frosch, aber immer einer, der zum Sprung über den Brunnenrand bereit ist. Wir nahmen es wie es kam. Der Gruppenausflug wurde ein Abend unter acht Augen. Ein Abendessen, das unter anderem dadurch als bemerkenswert angesprochen wurde, weil es völlig ohne Jobtalk auskam. Wenn Charakter dadurch ausgedrückt wird, wie sich ein Mensch gegenüber jemanden verhält, der nichts für einen Tun kann, dann besteht die Natur der meisten Beziehungen an diesem Ort darin, keinen zu haben. Entsprechend freuten sich die um den „Stammtisch“ Versammelten über jede und jeden, den sie zurückgelassen hatten.

Schon die Autofahrt nach Cheshire war sehenswert. Nicht ohne Grund galt der Ort als Platz, an dem man leben möchte. Gepflegte Häuser und Gärten reihten sich im besten Neuengland-Klischee aneinander. Cheshire mit seiner weißen Holzkirche und den Backsteinhäusern im Kolonialstil ringsum wirkte wie eine Hollywoodkulisse, ganz wie jenes „Überall in Amerika“, das wir bei der Warner Brothers Studiotour erlebt hatten. Dabei hat Cheshire auch eine dunkle Seite, nämlich eine Strafvollzugsanstalt. Und die sogenannten Cheshire-Morde hatten die letzten Diskussionen über die Todesstrafe in Connecticut ausgelöst. Wir waren aber keine solchen Gruseltouristen. Mir stand der Sinn nach einem anderen Thriller. Der Gedanke, in den USA ein österreichisches Restaurant zu besuchen, weckte in mir den Reiz des Unbekannten und der Gefahr, Vertrautes und Bekanntes seltsam entstellt serviert und vorgesetzt zu bekommen. All das Mirakulöse und Monströse dann in den schillerndsten Farben zuhause erzählen und hier schildern zu können, auch das hatte seine Verlockung. Die Rechnung ging aber nicht auf. „The Watch Factory Restaurant“ wird von einem waschechten Tiroler aus Brixen im Tale geführt und bekocht. Schon beim Hereinkommen hatte ich das Gefühl, wirklich ein Gasthaus auf dem Land irgendwo in Österreich zu betreten. Holzvertäfelung, Fliesenboden, Herrgottswinkel, Stammtisch, weiße auf gemusterten und farbigen Tischdecken, alles da. Obwohl es genug Themen gegeben hätte und wir an den „Stammtisch“ gesetzt wurden, ersparten wir uns die politischen Diskussionen, das Essen sollte ja schmecken. Die Speisekarte las sich jedenfalls kaum anders als eine österreichische. Mit der Ausnahme, dass unter „Entree“ wie landesüblich die Hauptspeisen und nicht wie aus Europa gewohnt die Vorspeisen aufgelistet waren, und mit ein paar Zugeständnissen an US-amerikanische Geschmäcker. Diese Anpassungen fielen jedoch nicht viel skurriler aus, als wenn man sich von der österreichischen Grenze nordwärts bewegt. Das Jägerschnitzel wurde in der Panier (dt.: Panade) mit Schwammerl- (bzw. Champignon-) Sauce serviert. Und nicht „Natur“ wie es „richtig“ erscheint. Bei manchen meiner Landsleute löst das bekanntlich (und nachvollziehbar) Ekel aus, mir schmeckt das so eigentlich ganz gut. Sachertorte mit Himbeermarmelade, das geht dann aber zu weit und grenzt auch für mich an Barbarei. Das Wiener Schnitzel kam dafür korrekt vom Kalb. Da ich aber keine Kinder esse, wurde es für mich das „Schweinswienerne“, das heißt ein Schweinsschnitzel nach Wiener Art. Die zum Schnitzel erhältlichen Beilagen lasen sich zunächst schon ein wenig exotisch. Salat stand nicht zur Auswahl, weder Vogerl- noch Kartoffelsalat. Dafür Kartoffelpuffer und Erdäpfelpüree. Todesmutig hatte ich letzteres schon zuvor bei anderer Gelegenheit probiert, auch schon selbst gekocht, darum wählte ich diese Variante. Das Schnitzel nach Wiener Art wurde nicht frittiert, sondern korrekt und schmackhaft in der Pfanne gewendet. Ich glaube, sogar in Butterschmalz. Da gab es rein gar nichts zu mäkeln. Zuvor aß ich eine eingebrannte bzw. legierte Gemüsesuppe wie ich sie schon als kleines Kind im Gasthaus Daniel im Waldviertel gegessen hatte, vor mittlerweile unglaublichen vier Jahrzehnten. Zum krönenden Abschluss unseres österreichischen Abendessens kam Markus Patsch sogar aus der Küche und schüttelte uns die Hand. Er erzählte uns, dass der Koch in seinem Lokal in München so ein seltsames Deutsch sprach, weil er wie Juliane aus Sachsen kam. Die Welt ist ein Dorf.

Die Begegnung mit einem anderen, berühmten Sachsen und seiner besonderen Sprache blieb bei mir nicht ohne Folgen. Juliane hat mir aus einer der zahlreichen Bibliotheken der Universität ein paar Bücher mitgebracht. Die ausgemusterten Bibliotheksbände werden zur freien Entnahme an den Instituten ausgelegt. Da es sich dabei ganz fachspezifisch recht oft um fremd- also deutschsprachige Titel handelt, sind wir als Muttersprachler im klaren Startvorteil. Und das in jeder Hinsicht. Diesmal hat mir Juliane nämlich ein paar „Exoten“ mitgebracht. Es erscheint mir völlig logisch, warum diese Bücher aussortiert worden sind. Und weshalb einige Zaungäste zunächst große Augen machten, als sie Juliane heimtrug. Nach ihrer Erklärung meines bibliophilen Interesses wich dieses Erstaunen einer anderen Verwunderung. Die Bücher stammen aus den 1920igern und sind augenscheinlich von, na sagen wir mal, nationalem Inhalt. Augenscheinlich. „Das Heilige Reich der Deutschen“ von 1925 handelt tatsächlich und rein wörtlich (wenn auch etwas geschwurbelt formuliert) vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, seiner Geschichte und von nichts anderem. Layout und Satz verströmen einen giftigen Brodem der Deutschtümelei, der sich allerdings noch nicht im Geist und Gebrüll von Feldherrnhalle und Hofbräuhaus manifestiert hatte. Diesen Unterschied muss man allerdings schon einmal gesehen haben, um ihn zu erkennen. Er zeigt sich vor allem daran, dass die Texte in Latein und nicht Fraktur bzw. Kurrent gedruckt sind wie es bis 1941 üblich gewesen ist, weil sie für ein ausländisches, in diesem Fall englischsprachiges Publikum lesbar sein wollten. Ein anderer Titel ist ein Kommentar über die psychologischen Errungenschaften Friedrich Nietzsches von 1926. Rein optisch dasselbe Problem. Zudem umweht den Philosophen aus Sachsen in den USA immer noch der braune Mief der Fehlinterpretation und des Missverständnisses. Sowie der plumpen Fälschung des Willens zur Macht. Als Nietzsche-Fan hat es mir dieses Buch besonders angetan. Es stammt von Ludwig Klages, einem zu seiner Zeit populären Denker und Publizisten um den man damals einfach nicht herumkam. Wenn wundert es, dass Juliane dieser Name sofort ins Auge springt, verfasst sie im Moment das letzte Kapitel ihrer Habilitationsschrift über die „Klage“. Klages indes war in der Zwischenkriegszeit ungefähr das, was ein Richard David Precht für die Philosophie heute ist und ein Richard Dawkins für eh alles. Wie dem auch sei! Ich begann dieses Buch zu lesen. Aus Neugier und Begeisterung. Eine Frau hat vor etlichen Jahrzehnten ihr Lesezeichen darin vergessen, mit ihrem Namen und ihren Notizen darauf. Sie interessierte sich für Zeitungsartikel über Tee. Jeder Druckfehler ist unterstrichen und ein ganz besonders arger ist in professoralem Unmut und gestochener Kurrenthandschrift mit „glatter Satzfehler“ kommentiert. Seither leide ich unter etwas wie einem aufgewühlten und anachronistischen Prosadurchfall. Und auch bei mir wurde die Tragödie aus dem Geist der Musik geboren:

Wir können uns inzwischen wieder gefahrlos ohne Schwimmflügerl ins Freie wagen. Anders als die Leute im Süden, die sich auf Sturm und Überschwemmungen gefasst machen müssen. In New Haven sind die Abende lau, die Nächte heiß und dunstig. Die Balkonsaison ist eröffnet. Etliche unserer jugendlichen Nachbarn versammeln sich auf dem Vorbau des Nebenhauses zu Stuhlrunde mit Bier und Plauderei. Das ist zwar nett, aber laut. Frequenz und Tonlage der aufgrund der Entfernung unverständlichen Gespräche sind schwer auszuhalten. Und die Lektüre von Nietzsche hilft dabei nicht. Immer die Zeile verloren. Das liegt am eigentümlichen Klangbild des geselligen Zusammenseins. Meiner bisherigen Beobachtung nach klingen derartige Gesprächsrunden in allen Sprachen der westlichen Hemisphäre gleich. Unabhängig vom Inhalt, der aber wahrscheinlich auch überall derselbe ist. Für meine Ohren und den gequälten Geist dazwischen hört sich das dann so an: Ein gemurmeltes Adagio con moto hebt zu einem Andante an, das fast augenblicklich in ein Allegro con brio übergeht, welches seinerseits in ein Crescendo mündet, in eine Lachsalve. Das nun folgende Presto risoluto erstirbt schon im nächsten Takt zu einem Adagio. Ab hier dann weiter wie zuvor. Das Schema wiederholt sich. Bis zur totalen Ermattung oder wütenden Raserei des unbeteiligten Zuhörers. Und zwei Häuser weiter heult schon der Hund im Garten. Und man möge mir verzeihen, dass ich einem Miniatur-Nietzsche gleich nur Florettstöße des Hasses und Hammerschläge des Zorns für diese Sesselkreise und Nudelsalatrunden übrig habe, da ich in deren Alter wenn nicht gleich ausgeschlossen, so doch an den Rand oder die Eselsbank gesetzt worden bin. Weil ich schon früh als Orchesterinstrument verstimmt nie den richtigen Ton getroffen habe, in den notwendigen Gleichklang einzustimmen, um ein erfolgreiches oder auch nur von meinen Zuhörern respektiertes Stück abzuliefern. Sodass ein objektiv nur Misstöne quäkendes Instrument, solange es nur die richtige, das heißt: gefällige Tonart trifft, im Konzert besser gelitten ist als ich. Vor allem wenn ich in meiner jugendlichen Begeisterung bei meiner Rede die Zügel schleifen ließ, gingen mir allzu oft die Pferde durch. Der größte Dummkopf erscheint klug, hält er nur lange genug seinen Mund. Und umgekehrt.

In klaren Momenten weiß ich heute, dass jemand schon ein gehöriges Maß an verbitterter Feindseligkeit samt Minderwertigkeitsgefühl mitbringen muss, um einen derart enthusiastisch daher schwafelnden jungen Menschen seine Galle schmecken zu lassen. Gern bezeichnet man die oder den dann als Histio oder Narziss, dabei handelt es sich bloß um ein Fohlen auf der Weide. Ich denke, die Welt würde ein besserer Ort, sobald die Menschen mehr achteten, was jemand sagt und weniger darauf, wie oder in welcher Weise jemand etwas sagt. Eine Antwort lässt vielleicht einmal etwas länger auf sich warten, weil sich der Angesprochene die Mühe macht, vor dem Reden über seine Worte nachzudenken. Die Erwiderung erfolgt natürlich schneller, wenn sie vorbereitet und nach dem Allerweltsgaumen abgeschmeckt daherkommt. Hätten Populisten mehr aufmerksame Zuhörer, sie hätten automatisch weniger Publikum.

Dergleichen überkommt es mich, Nachtens schlaflos schwitzend, beim Versuch, in Ruhe Nietzsche zu lesen… O weh! Ich hoffe das gibt sich wieder.

Fortsetzung folgt…