Dummheit hält sich für Intelligenz, Intelligenz hinterfragt stets die
eigene Dummheit. Die Dummheit sucht den Fehler immer bei den Anderen, die
Intelligenz immer bei sich selbst. So ungefähr hat es M. Tullius Cicero zu
seiner Zeit auf den Punkt gebracht. Am Ende der römischen Republik, in der
Morgensonne des Populismus und am Beginn der Diktatur. Er war zu seiner Zeit auch
ein bescheidenes Gemüse (Cicero=Kichererbse), das Wahlerfolge errungen hatte
und im Senat als politische Kontrollinstanz gegen Korruption und
Machtmissbrauch gewirkt hat. Dieses Mal, am 15. Oktober 2017 in Österreich, war
es allen Vorzeichen zum Trotz und allen bisherigen Hochrechnungen nach keine grüne
Erbse, aber ein kleiner Pilz, der Wurzeln schlagen durfte.
Meiner Meinung nach ist es
falsch, angesichts dieses Wahlergebnisses weiter von einem geteilten Land zu
sprechen. Ich denke, das Ergebnis spricht für sich, und eine überwältigende
Mehrheit hat sich für einen so genannten Rechtsruck entschieden und gegen so
genannte linke Ideen. Im nächsten Nationalrat werden also nach aktuellem Stand eine
konservative, eine heimat-soziale, eine wirtschaftsliberale Partei und eine
junge Bewegung, geführt von einem erfahrenen Politiker, vertreten sein. Und
eine Sozialdemokratie, von der eigentlich niemand mehr so wirklich weiß, vor
allem nach einem Hrn. Schröder und einem Hrn. Hartz, auf welcher politischen
Hemisphäre sie eigentlich steht. Die Sozialdemokratie wirkt wie der Markuslöwe
(das Wappen der alten Republik Venedig), wie ein Mischwesen mit Klauen und
Flügeln, das mit den Vorderpfoten auf dem Land und den Hinterfüßen auf dem
Wasser steht. Dieses Tier läuft, fliegt und schwimmt überall und nirgends
zugleich. Und es bleibt die Frage: „Sag, was bist Du eigentlich und was willst
Du überhaupt?“ Im blendenden Licht der politischen Heilsbringer und parlamentarischen
Vernunftehen scheint die Zeit für Fabelwesen endgültig vergangen.
Sieben Jahre später ist eine
Situation eingetreten, die Gerd Schilddorfer und ich in unserem Bestseller NARR
vorhergesagt haben (genrespezifisch überspitzt und dramatisiert), und ein
junger fescher Minister hat alle anderen politischen Mitbewerber rechts
überholt. Damals wurden wir von einigen belächelt, heute steht es weltweit in
den Schlagzeilen. In einem anderen Buch von mir, das wohl niemals erscheinen
wird, habe ich den Kater sogar noch konkreter vorhergesagt, der heute, am
Morgen nach der Wahl, in meinem und in bestimmt vielen anderen Köpfen jammert:
„Die Schlange im Gras ist die Gefahr der individuellen Radikalisierung
durch das Aufhalten in so genannten Filterblasen oder Echokammern.
Mit dem Begriff Echokammer beschreiben Kommunikationswissenschaftler das
Phänomen, dass viele Menschen in den sozialen Netzwerken dazu neigen, sich nur
noch mit Gleichgesinnten zu umgeben, um sich gegenseitig in der eigenen
Position zu bestärken. So entsteht eine fatale Dynamik. Wer den Konsens der
Gruppe mit Inhalten und Kommentaren am besten trifft, wird ‚geteilt‘ und ‚gelikt‘
und bekommt reichlich Freundschaftsanfragen und Follower. Die Echokammer wächst
und bläht sich zu dem Irrtum auf, sie repräsentiere keine gesellschaftliche Minderheit,
sondern die demokratische Mehrheit. Es ist unwichtig, ob die Menschen außerhalb politische und
gesellschaftliche Positionen teilen oder nicht. In der Echokammer ist man immer
in der Mehrheit und automatisch auf der moralisch richtigen Seite. (…) Social
Media jeder Art befördern diese Entwicklung. Indem sie mittels der aus
freiwillig geteilten Informationen gewonnenen Algorithmen dafür sorgen, dass
ich nur noch oder vorrangig Inhalte von meinem Browser angezeigt bekomme, die
von Gleichgesinnten stammen oder von ihnen ‚gelikt‘ wurden. Informatiker nennen
diesen Vorgang: Filterblase. Die Algorithmen-gestützte Filterblase sorgt
dafür, dass ich nur noch mit Webinhalten und Content konfrontiert werde, die
mein Weltbild stützen. Während andere, meinem Weltbild zuwiderlaufende
Informationen herausgefiltert werden. So wird um den Nutzer sozialer Netzwerke
ein bequemer Informationskokon gesponnen, in dem er als einzelnes Würmchen lebt,
und den er für die Welt hält. Wie jede Münze hat auch diese Medaille zwei
Seiten: Wohlbehütet kann ich in meiner eigenen Filterblase übersehen, wie aus
der von mir belächelten Minderheit ganz unbemerkt die Mehrheit geworden ist.
Meine Algorithmen lullen mich in Wohlgefallen ein, wiegen mich in Sicherheit.
Und das Diskussionsforum meiner Wahl täuscht mich darüber hinweg. Und Eins,
Zwei, Drei schreiten die von Volksvertretern und ‚Lügenpresse‘ Enttäuschten
am zahlreichsten zu den Wahlurnen. Das wäre ein böses Erwachen am Morgen nach
der Wahl. Aber wäre es Demokratie? Ob es mir in der aktuellen politischen
Situation weltanschaulich schmeckt oder nicht, antwortet Jean-Jacques Rousseau
in seinem Werk Der Gesellschaftsvertrag von 1762:
‚Übrigens darf ein Volk immer,
worum es auch im einzelnen (!) gehen mag, seine Gesetze ändern, sogar die
guten: Wer hätte das Recht, es daran zu hindern, wenn es sich nun einmal
unbedingt schaden will?‘ [S. 70]“
Kurz gesagt: Das Aufhalten in einer
Echokammer bewirkt Weltfremdheit. In dieser Weltfremdheit geborgen, trifft
einem das gestrige Wahlergebnis wie eine Faust ins Gesicht. Und leider wurden
auch schon die ersten tatsächlich angegriffen, auf Buchmessen und bei Wahlveranstaltungen.
Die Schuld an diesem Wahlergebnis
nur bei den Anderen zu suchen ist dumm. Die Andersdenkenden als die Dummen zu
betrachten ist arrogant. Und Dummheit und Arroganz sind eine gefährliche
Mischung.
Viel zu viele selbsterklärte
Linke haben bewiesen, dass sie von zu vielem zu wenig Ahnung haben, aber zu
allem die „richtige“ Meinung. (Eine Eigenschaft, die sie mit vielen Rechten
gemeinsam haben!) Das wiederum hat die Mehrheit der Menschen m.M.n. zu Recht
als Beleidigung empfunden. Als disrespect
wie der US-Amerikaner sagt. Persönliche Erfahrungsberichte wurden belächelt,
vorweg abgelehnt, oder als „unpassend“ bezeichnet, weil sie nicht in die
gewohnte Bestätigungsspirale gepasst haben. Berichte wurden als
unwahrscheinlich abgetan, weil sie in der eigenen Lebensrealität keine Rolle
spielten, daher auch keine Bedeutung hatten. Und bei all dem wurde übersehen,
dass die eigene Lebensrealität, die einer privilegierten Minderheit ist. Privilegiert,
weil sie die Möglichkeit beinhaltet, frei von Existenzängsten über Inhalte
nachzudenken. Und nicht frei, aufgrund von Wohlstand, sondern aufgrund von
Bildung. Aber leider ist Bildung nicht mit Wissen gleichzusetzen.
Im Elfenbeinturm der eigenen moralischen
Überlegenheit haben leider viele aufgehört, ihren Mitmenschen zuzuhören und sie
ernst zu nehmen. Kanon und Mehrstimmigkeit werden zunehmend als Misstöne
empfunden, der Wunsch nach einem Leitmotiv wächst. Der Grundton, den die
Stimmgabeln der Populisten anschlagen, ist klar: Die Europäische Union läuft
Gefahr, in den Abgrund zu schlittern. Das größte Friedenswerk der europäischen
Geschichte droht, an den Folgen einer für viele Systemkritiker aus Habgier
entstandenen und für Ökonomen mit Gewissen vorhersehbar gewesenen
Wirtschaftskrise zu zerschellen und von Flüchtlingsströmen fortgespült zu
werden. Zäune und Grenzkontrollen nehmen der Freiheit die Luft zum Atmen.
Überwunden geglaubte Ressentiments, Chauvinismus und banaler Futterneid bringen
die gefährlichste Seuche des neunzehnten Jahrhunderts zurück, den
Nationalismus. Wobei man nicht vergessen darf, was Sozialanthropologe David N.
Gellner festgestellt hat: „Nationen
entstehen ja nicht von allein, sondern werden erst durch Staaten und
Nationalisten geschaffen.“ So genannte nationalkonservative Parteien
erobern Raum, die fixe Idee Nation
ist wieder salonfähig. Vergessen scheint, dass die Pandemie Nationalismus im
Zuge ihres gewalttätigen Ausbruchs im zwanzigsten Jahrhundert in nur zehn
Jahren (1914-18 und 1939-45) rund 95 Millionen Tote gefordert hat.
Politikverdrossenheit und
Ohnmachtsgefühle bewirken bei vielen Mitmenschen einen Rückzug in die eigenen
vier Wände (räumlich und geistig) und eine Realitätsflucht in fantastische
Welten. Ist der eigene Planet alleine ökologisch nicht mehr in der Lage, die
Menschheit zu ernähren und zu tragen, sucht und erschafft man sich halt neue.
Und wenn sie auch nur als Bits und Bytes oder im Kopf existieren. Die Suche nach
einfachen Antworten auf immer komplexer werdende Fragestellungen hat
Hochkonjunktur. Orthodoxie und Dogmatik bieten sich als Lösung an, die
Befolgung strenger Regeln und Glaubensätze bieten Sicherheit. Sei dies nun in
Religion, Esoterik, Lifestyle und/oder Technologie- und
Fortschrittsgläubigkeit. Sie alle sind bloß Facetten eines einzigen Schliffs.
Konformität in Erscheinungsbild und Sitte wird wieder zum gesellschaftlichen
Wert. Die vierte industrielle Revolution bedroht das gesellschaftliche und
soziale Gleichgewicht. Arm und Reich driften zusehends auseinander. Migration
trägt ihren Teil zum sozialen Unfrieden bei. Die wirtschaftliche Abhängigkeit,
die Angst, Job und Anstellung zu verlieren, fördert eine Entwicklung, die als
massiver und bedenklicher Rückfall in im Verlauf der letzten Jahrzehnte
überwunden geglaubte Rollen- und Geschlechterklischees bezeichnet werden kann.
Viele Linke haben ihren
Mitmenschen einfach nicht zugehört. Und als ich heute (am 16.10.2017) Terizija
Stoisits im Mittagsjournal auf Ö1 zugehört habe, habe ich sie, als Antwort auf
jede Frage des Interviewers nach den Gründen für das Scheitern der Grünen,
Gebetsmühlenartig wiederholen gehört, „dass sie es sich einfach nicht
vorstellen kann!“ Und egal, welche Worte auf diese Einleitung folgten, die
eigentliche Beantwortung war bereits diese Realitätsverweigerung. Den größten
Fehler sah sie darin, Peter Pilz nicht angegriffen zu haben. Falsch, der größte
Fehler der Grünen in diesem Wahlkampf ist es gewesen, Julian Schmid anstelle
von Peter Pilz auf Listenplatz Vier zu wählen. Wie auch das Wahlergebnis
anschaulich macht, empfindet es nur eine verschwindende Minderheit als cool, im
Kapuzenpullover vor den Nationalrat zu treten. Die Mehrheit, auch ich, empfindet
es als Besudelung des Hohen Hauses und der Republik. Es schüttelt mich vor
Ekel, wenn Themen und Grundfesten der Demokratie mit einer vulgären Imitation von
Kabaretthumor angegangen werden. Wozu ich Michael Häupl zitieren möchte: „Wenn
wir uns selbst nicht ernst nehmen, wer bitte soll uns dann noch ernst nehmen?“
Oder diese Republik?
In der Sozialdemokratie erscheint
mir der Wiener Bürgermeister wie der letzte Mohikaner. Und er möge mir den
flapsigen Vergleich vergeben. Für mich ist er der letzte Krieger eines einst
edlen Stammes. Wo bitte, frage ich, existiert die „moderne und offene
Gesellschaft“ real, die Christian Kern in seiner letzten Rede an- bzw.
versprochen hat. Auf internationalen Konferenzen jedenfalls nicht. Dort
behandeln Exilanten die international als österreichisch empfundenen Themen.
Die Akademie der Wissenschaften bleibt auch im Ausland lieber unter sich, das internationale
Feigenblatt stammt meistens ganz exotisch aus Deutschland. Das zuständige
Bundesministerium nimmt jede Menge Geld in die Hand und drückt jedem und jeder
KonferenzteilnehmerIn eine bunte Einladung in die Hand, aber wenn ich dann auf
den Empfang gehe, dann redet niemand mit mir. Den Krüppel kann man ja in seinem
Sessel hocken lassen. Aber nicht nur mit mir hat man nicht geredet. Liebe
Landsleute, wenn man sich die Nachbarskinder zum Spielen einlädt, dann muss man
ihnen auch die Hand geben und mit ihnen reden. Und während alle Internationalen
(US-Amerikaner, Briten, Deutsche, Schweizer, etc…) Englisch sprechen, oder
Hochdeutsch, damit sich auch wirklich jeder gegenseitig versteht, dann reden
die ÖsterreicherInnen sozialdemokratischer Prägung breitesten Dialekt. Und wenn
sie bemerken, dass da einer kommt, der sich ein bisschen anders anzieht und
nicht an die Schöpfung Österreichs aus dem Nichts im 45iger-Jahr glaubt, dann
erstarren sie und stecken die Köpfe zusammen. Ist das ihre „offene und moderne
Gesellschaft“, Herr Kern? Es ist auf alle Fälle ihre (versorgte) Gefolgschaft.
Ich bedaure es zutiefst, dass die
kleinen Oppositionsparteien so wenig Stimmen bekommen haben. Wenn alle, die vorab
auf wahlkabine.at die meisten Übereinstimmungen mit der KPÖ gehabt hatten,
diese auch guten Gewissens hätten wählen können, dann sähe die Welt für die
Zweite Republik heute anders aus.