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Samstag, 2. Dezember 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 20)

Teil 20: Fest- und Feiertags- Saison, New York


Ein Aufatmen der Erleichterung geht durch die USA. Gefolgt von einem Rülpser. Thanksgiving ist vorbei! Der Festtagsschmaus ist überstanden, der Braten aufgegessen und verdaut. Der freundliche Gummitruthahn zum Aufblasen ist von der benachbarten Frontveranda verschwunden. Der mannsgroße Indian in Pilgerkleidung hat bereits Santa Claus Platz gemacht. Indian, so hieß der amerikanische Vogel früher einmal in Österreich. In Erinnerung an den größten Verfranzer der Weltgeschichte. Vorsicht Kalauer: Ein Italiener am Steuer halt. Und heute gibt´s alles Gute von der Pute. (Haha!) Jedenfalls im Magen ist wieder Platz für Kekse und allerhand andere Feiertagsspezereien, die verschlungen werden wollen. Aber eines nach dem anderem…
Unser erstes Thanksgiving haben Juliane und ich beim Institutsvorstand und seiner Frau verbracht, im Kreis der internationalen Gäste des German Departments. Das war ein sehr nettes und warmherziges Aufsammeln der Internationalen, da Thanksgiving als das wichtigste säkulare Familienfest betrachtet wird. Für einige ist es inzwischen wichtiger geworden als das leider doch recht kommerzialisierte und dank einigen Fundis überfrachtete und explosive Weihnachten. Das äußerte sich im Alltag. Die Woche vor Thanksgiving gestaltete sich ordentlich stressig, da alles Dringende vorab und alle Vorbereitungen dafür erledigt werden musste. Das heißt: Bevor dieses Jahr von Donnerstag bis Montag gar nichts mehr ging, und alles öffentliche Leben pausierte, was in den USA höchst ungewöhnlich ist. Es gibt keine religiösen Feiertage, und z.B. die Post kommt auch sonntags. Selbst die Yale-Shuttles stellten ihren Betrieb ein. Die Wohnungen und Häuser ringsum standen leer, die meisten waren woanders zuhause oder bei jemandem zu Gast. Dieser Umstand bereitete uns große Freude, als am Mittwochabend ein Feuermelder zu quäken begann. Es war beruhigend zu erleben, dass sich bis Sonntagabend kein Mensch um den Alarm kümmerte. Verglichen mit dem anhaltenden Technikterror durch diese offensichtlich nutzlosen, dafür aber unsäglich lauten und nervtötenden Geräte, wäre es mir schon fast lieber gewesen, es hätte tatsächlich nebenan gebrannt. Da wäre nach dem „Brand aus!“, Ruhe gewesen. So waren wir dazu verdammt, abzuwarten, bis sich endlich herausstellte, in welchem der verlassenen Apartments ringsum das verdammte Ding piepte und/oder warum. Einer unserer eigenen Brandmelder, der in der Küche (!), war jedes Mal losgegangen, nachdem ich ein putziges kleines Brathühnchen (eine Cornish Hen) beim Zubereiten mit Wasser übergossen hatte. Dampf stieg auf, Deckenterrorist quäkte. Die Auflösung der Ursache der Thanksgiving-Lärmbelästigung ergab dagegen eine ebenso erschütternde wie lächerliche Pointe.
Die Tage vor und um Thanksgiving waren schon immer als reichlich gefährlich verschrien. Zu dieser besonderen Zeit im Jahr sollten Spaziergänger die Wälder Neuenglands besser meiden. Der Ruf der Natur war und ist im Indian Summer am lautesten. Manch einer spürt dann seine gottgegebene Berufung zum Jäger. Können und Talent, den Feiertagsbraten selbst zu erlegen, so denkt der Nachfahre der Pilgerväter, sei ihm in die Wiege gelegt. Dass dieselben Vorfahren ohne die Natives hilflos verhungert wären, deren Fest sie da schamlos als das ihre begehen, darüber wird der Mantel des Vergessens gebreitet. Die Traditionellsten jener Herrschaften sind übrigens oft die, deren Urgroßväter erst in die USA kamen und die heute einen Einwanderungsstopp für Wirtschaftsmigranten fordern. Ich will ja keine Namen nennen. – Steve Bannon! – Aber egal! Wer dem Herumballern entflieht, der meidet auch besser die Hausmannskost und das Selbstgebackene. Denn wie es die eine oder einen nur einmal zum Jagen in den Wald verschlägt, verschlägt es die oder den anderen nur dieses eine Mal im Jahr zum Essenmachen in die Küche. Trotzdem ist es ein ungeschriebenes Gesetz und eine unbedingt zu erfüllende Erwartung etwas eigenhändig Zubereitetes zum Thanksgivingschmaus mitzubringen. In unserem Fall war die geschlechtsspezifische Rollenverteilung klar. Wie es Gott gewollt hat! Meine Frau hat den Fusel eingekauft, ich hab Kürbissuppe gekocht. Und nachdem ihre Flaschen und mein Topf (der größte, den ich habe) relativ flott leer waren, haben wir unseren Teil des Jobs gut erledigt.
Überhaupt war es ein sehr schöner und geselliger Abend. Das vom Gastgeberpaar bereitete Hauptgericht samt Beilagen schmeckte fantastisch. Die von den Gästen mitgebrachten Zu- und Nachspeisen waren auch gut und allesamt bestens durchdacht, trotzdem stellenweise halbgar. Ganz nach scholastischer Tradition. Wir trafen uns schon nachmittags, wie es üblich ist, zu Drinks und Konversation im Wohnzimmer und zu Zigaretten auf der hinteren Veranda. Ein inzwischen befreundeter Brite hatte vor vier Jahren mit dem Rauchen aufgehört, wegen der supersportlichen und sittenstrengen Amerikaner hat er in Yale wieder damit angefangen. Ich denke, das mit dem relativ frühen Treffpunkt vor dem gemeinsamen Abendessen wird gemacht, dass man bis zum Essen schon soweit beduselt ist, dass einem innerfamiliäre bzw. zwischenmenschliche Spannungen, Schrotkugeln im trockenen Truthahn und klebriger Kekse-Teig völlig wurscht sind. Bei mir hat es geklappt. Ich habe Thanksgiving sehr genossen. Juliane fühlte sich danach ein wenig voll. Vom Essen, nicht vom Trinken!
Sonntagabend kamen dann auch unsere Nachbarn endlich nachhause. Vom Fenster aus beobachteten Juliane und ich eine aufgeregte Expedition mehrerer Pärchen zu einer Mulde, abgestellt auf dem Parkplatz hinter den Nachbarhäusern. In einem der Gebäude wird scheinbar renoviert, und jede Menge Baumaterial in dem Container entsorgt. Nach längerem Waten und Wühlen im Dreck war der Übeltäter endlich gefunden. Das Piepen des Rauchmelders verstummte. Irgendjemand hatte die Brandmelder mitsamt der Batterien und funktionstüchtig in die Mulde geworfen. Auf die Idee die giftigen Dinger vor dem Entsorgen aus den Geräten zu nehmen, ist niemand gekommen. Hätten wir nicht schon unter einem Völlegefühl gelitten, uns wäre schlecht geworden.
Am 30.11. war Thanksgiving dann auch schon verdaut. Und der Appetit auf Advent in New York geweckt. Der Plan war so simpel wie genial: Mit dem Commuter-Train, dem Pendlerzug, an den Big Apple und dort ins Cafe Sabarsky in der Neuen Galerie an der Park Avenue. Das Sabarsky war bzw. ist ein original Wiener Kaffeehaus wie es selbst in Wien nur noch wenige gibt. Es teilt sich das Dach mit der „Goldenen Adele“, kaum restituiert schon hierher verkauft, und liegt nicht zufällig in der Nachbarschaft der deutschsprachigen jüdischen Gemeinde. Kurz gesagt, ich war voller Erwartung. Die (deutschsprachige) Speisekarte verhieß einen Tag in Alt-Wiener Tradition vom kleinen Gulasch bis zum Einspänner. Entsprechend gutgelaunt fuhren wir zur Unionstation. Wir haben es halt einmal probiert und gefragt, ob ich mit meinem österreichischen Behindertenpass eine Fahrpreisermäßigung auf das Ticket nach New York bekomme. Anstandslos! Der Schalterbeamte hat bloß kurz erstaunt geguckt. Ein Behindertenausweis mit Foto und im Scheckkartenformat, das war ihm neu. Die US-Amerikanischen Verkehrsbetriebe gaben mir also wider allen Erwartungen und entgegen aller Klischees Rabatt wegen meines Gesundheitszustands. Anders als die Wiener Linien, die mir trotz Zusatzeintrag „Fahrpreisermäßigung“ auf meinem Behindertenpass keine geben, weil ja niemand anderer bzw. keine soziale Einrichtung ihren dadurch entstehenden Verdienstentgang ersetzt. Meine Jahreskarte habe ich darum diesen Monat nach 21 Jahren gekündigt. Im Pendelzug von Connecticut nach New York hätte sie mir eh nichts genützt, weder ermäßigt noch weiterhin zum Vollpreis.
Der Blick aus den Fenstern während der zwei Stunden Fahrt war bezeichnend und informativ. An der Küste zwischen New York und Connecticut liegen die teuersten Anwesen der USA. Trotzdem sahen einige Bahndämme aus wie Müllkippen, und manch ein Bach- oder kleiner Flusslauf auf seinem Weg zur Küste ähnelte einem Gewässer in einem Slum. Juliane meinte, dass es interessant sei, von der Eisenbahn die Rückseite dieser Welt betrachten zu können. Ich hoffe sie hat Recht, und der Ausblick war „bloß“ die Rückseite der Verhältnisse dieser Gesellschaft und nicht ihre Vorderansicht. Ohne zunächst erkennbarer Logik wechselten sich gepflegte Ortschaften mit obskuren Siedlungsformen ab. Einfamilienhäuser, Golfplätze und weiße Kirchen mit besprühten Werkhallen, baufälligen Hütten und Halden aus abgewrackten Hochseebooten. Dann wurde klar, je näher wir New York kamen, desto einkommensstärker und urbaner wurden Umfeld und Infrastruktur. Sogar die Bronx wirkte im Vergleich zu einigen Dörfern entlang des Weges „zivilisiert“ und am Leben.
Die Central Station war für das Weihnachtsfest festlich, farbenfroh und durchaus patriotisch geschmückt. Weihnachtskränze in Rot und Grün, Stars and Stripes in Blau-Weiß-Rot und Army-Soldaten und Nationalgardisten in Camouflage und Feldbraun. In der Vanderbilt Hall besuchten wir die größte überdachte Holiday Fair der USA. Das war sehr nett. Aber die Klischees über New York müssen ja auch irgendwoher kommen. Wir hatten einen Christkindlmarkt erwartet, gefunden hatten wir einen hochpreisigen Designermarkt mit etwas Christbaumschmuck und Flitter. Trotzdem schön zum Anschauen. Wir haben uns auch zwei Christbaumstücke geleistet. Einen Engel und einen Bären. Natürlich handgefilzt aus Kirgistan. Muss ja.
Mit der U-Bahn in die 86th Street. Von da zu Fuß weiter, es wartete der Verlängerte zur Belohnung. Und wirklich, wir wurden freundlich empfangen. Ein netter Mann im Anzug hielt uns die Tür auf, bat uns herein. Dann machten wir den Fehler und fragten nach dem Kaffeehaus. Heute geschlossen, wegen einer privaten Veranstaltung! Die Enttäuschung stand uns ins Gesicht geschrieben. Die Chance hatten wir vertan, uns in den Event zu schummeln. Wir mussten gehen. Die Gattin nahm es gelassen und in ihrer ganz eigenen Professionalität. Nur zwei Hauserblöcke weiter ärgerte sie sich bloß noch in Zimmerlautstärke. Meine Stimmung war auch nicht die beste. Zwei Stunden Zugfahrt für Arsch und Friedrich! Was soll´s, sagte ich, gehen wir halt was essen. Und wirklich, keinen Steinwurf entfernt die Gelegenheit: Ein kleines französisches Restaurant mit für die USA und vor allem New York moderaten Preisen. Jeweils ein zweigängiges Menü (Prix fix inklusive Glas Wein) später, ging es uns beiden besser. Ich verspeiste ein typisch französisches Gericht: Ein Steak mit Pommes frites, serviert mit einer Flasche Heinz Ketchup. Mon Dieu, es gibt sie wirklich, die zweite Sozialisation! Juliane aß eine köstliche Ente à l´ Orange, die allerdings zu ihrer Überraschung weder nach Ente, noch nach Orange schmeckte. Weil sie zum Hauptgang ein Coq au vin bestellt hatte. Lost in translation. Wie dem auch sei, ich nahm zum Abschluss ein Glas Chartreuse. Dabei löste ich mit meiner Aufforderung, mir mit den Eiswürfeln vom Leib zu bleiben, Verwirrung und Entsetzen aus. Weil dieser Kräuterlikör scheinbar höchst selten, und wenn, in NY immer mit Eis bestellt wurde, hatte der Kellner keine Ahnung, wie viel davon er mir in welches Glas einschenken sollte. Die Chefin übernahm selbst. Und ich bekam nach mehreren Versuchen mit falschen Gläsern, einen halbvollen Kognakschwenker. Das war reichlich zum Preis eines Shots. Zuletzt doch noch Glück gehabt!
Eigentlich wollte ich mir noch den Christbaum vor dem Rockefeller-Building ansehen, aber der Chartreuse und meine Beine hatten andere Pläne. Juliane entschied, die Rückreise anzutreten. Auf dem Weg zur U-Bahn kamen wir an der New Yorker Version des legendären Witte an der Linken Wienzeile vorbei. Dasselbe Geschäftsmodell, dasselbe Aussehen, das war wohl kein Zufall bedenkt man, in welcher Gegend wir waren. Ein vor Weihnachtsschmuck, Partyzubehör, Scherzartikeln und Spielwaren blendend strahlender Laden bot ich unseren staunenden Blicken. In der Auslage das Beste beider Welten: Chanukka und Weihnachten friedlich vereint. Blau, Rot und Flitter bis zur Reizüberflutung. In dem Geschäft gab es alles, vom aufblasbaren Herrnhuter Stern Made in China bis zu Schokoladen-Makkabäern hergestellt in Brooklyn. Servietten, Deko, Christbaumstücke, alles entweder mit Stern und Quaderschrift in Weiß und Blau, oder christlich-weihnachtlich in Gold, Grün und Rot. Sogar goldene Buddhas mit pastellfarbigem Flitter für Adventkranz und Christbaum fanden sich im Sortiment. Das Resultat war ein veritabler Weihnachtsflash samt Kaufrausch. Sowas kommt von sowas, unser Heim strahlt jetzt US-adventlich. Im Wohnzimmer hängt ein goldener Herrnhuter Stern-Ballon mit einem Meter Durchmesser. Der geriet mir beim Zusammenbauen etwas größer, als ich erwartet hatte. Der „kleine“ rote am Fenster misst bloß 70 Zentimeter. Etwas für die Nachbarn: Roter Stern New Haven! Und wenn einer sensiblen Seele jetzt etwas oder jemand im friedlichen und multikulturellen Miteinander abgeht, keine Angst. Die allgegenwärtigen freundlichen Wachsoldaten mit der Waffe im Anschlag erinnerten uns in der Central Station und an jeder Holiday Fair daran, wer oder was für Europäer inzwischen in dem Bild fehlt. Die Eingänge zu den Weihnachtsmärkten sahen aus wie die Einfahrten von Militärcamps. God bless America! Und die gelungene Integration!
Der Pendlerzug zurück nach New Haven war in wenigen Minuten voll. Es gab keinen freien Sitzplatz mehr. Zum Glück waren wir etwas früher auf dem Bahnsteig gewesen. Dabei fuhren die Garnituren alle zwanzig Minuten. Und weil dem so ist, wird das Angebot bestens genutzt. Der Zug ist dadurch bequemer und schneller als das Auto. Die einzelnen Stationen der Rückreise hörten sich als Durchsage für mich in etwa so an: „This Port, Next Port, Another Port, Further Port, New Haven!“ Ich wollte ja schließlich an der Küste leben. Da darf ich mich nicht wundern, wenn die Orte alle Port hießen, Hafen.

Fortsetzung folgt…

Die Unionstation in New Haven, CT.