Teil 22: Einsichten eines Migrantenlebens
Was haben die zwei gemeinsam? (außer österr. Geburtsurkunden) Beide spielten Dr. Viktor Fries aka Mr. Freeze in BATMAN! |
Christmas Eve, der Heilige Abend,
rückt näher. Und die Neugier treibt mich an, dieses Jahr einen Eggnog zuzubereiten.
Dieses Getränk, im Prinzip handelt es sich um Eier, Milch, Cream, Zucker und
Bourbon, möchte ich bzw. möchten wir integrieren. Das heißt: Diese typisch
US-amerikanische Weihnachtszutat in die Menge unser eigenen Weihnachtsbräuche aufnehmen,
und somit unsere eigene Weihnachtstradition im neuen Heim zu beginnen. Wie der
Eggnog wird das dieses Jahr eine ziemlich wilde Mischung aus sächsischen,
österreichischen und US-amerikanischen Elementen. Und diese Melange wird
Juliane und mich ziemlich gut wiederspiegeln. Ich hege ja noch Bedenken, den
guten Bourbon mit Milch und Zucker zu verunreinigen, aber diese Hürde werde ich
überspringen.
Essen und Trinken waren nicht die
einzigen, jedoch die ersten Hürden beim Versuch in unser Leben in den USA zu
starten. Der größte Brocken waren meine medizinischen Behandlungen und die
Sprache. An meinem Akzent, den ich wohl niemals ganz verliere (siehe Arnold
Schwarzenegger oder Otto Preminger), bemerkt natürlich jeder als erstes, dass
ich aus Übersee bin. Die USA waren und sind nicht der einzige Ort auf der Welt,
wo dieser Unterschied ins Auge fällt bzw. ins Ohr geht. Meine Sprache ist ein
besonderes Merkmal. Es gibt weltweit nur eine einzige Stadt auf der Welt, wo
man so spricht wie ich. Das machte mich bisher froh und auch ein wenig stolz. Damit
mussten sich außerdem schon viele abfinden. Millionen Menschen teilen diese
Erfahrung an verschiedenen Plätzen und in unterschiedlichen Zungen. Dadurch hat
sich mein ganzer Zugang zum Thema Fremdsein an einem Ort bzw. in einer
Gemeinschaft verändert. Nirgends war und bin ich so sehr Wiener oder
Österreicher wie im fremdsprachigen Ausland. Wozu ich jetzt augenzwinkernd auch
Deutschland zähle. Auch hier in New Haven ist es so, dass, wo ich auftauche und
den Mund aufmache, die Gesprächsthemen schnell zu Wien, Österreich oder
deutschsprachige Exilanten wechseln. Inzwischen macht mich das sogar ein wenig
ärgerlich, weil ich nicht den Atlantik überquert habe, um ständig über meine
eigenen Themen zu reden. Ich wollte ja etwas Neues kennenlernen. Ich bemühte
mich schnell, mich wie Amerikaner anzuziehen, ihre Umgangsformen zu übernehmen
und nicht schon auf den ersten, aber auf den zweiten meine angeborene
Andersartigkeit zu enthüllen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als Hatty, „meine“
Nurse bei der Photopherese, mir gesagt hatte, ich sehe jedes Mal mehr wie ein „echter
Amerikaner“ aus. Über meinen Akzent haben wir dann beide gelacht, und ich fand
das auch gut so. Selbst wenn es nicht ganz ehrlich gemeint war, und sie mir nur
eine Freude damit machen wollte, es hat gewirkt, ich fühlte mich gut. Und so
und nicht anders funktioniert die US-amerikanische Höflichkeit.
Natürlich gibt es nach wie vor
unglaublich viele Widersprüche und Ungereimtheiten, und mit jedem Tag werden
sie mehr. Es ändert sich nur langsam die Richtung aus der sie kommen, der Wind
hat sich gedreht.
Um einen echten Eggnog
herzustellen, braucht man Eier. Frische Eier dürfen in den USA nur gekühlt
verkauft werden. Wie komisch ist das denn? Um Eier auf den Tisch zu bekommen,
braucht es doch keine ununterbrochene Kühlkette. In Europa stehen die Paletten
in den Supermärkten meistens ungekühlt herum. Jedenfalls bei den Diskontern.
Auf Nachfrage erfuhr ich dann, dass Eier in den USA gewaschen werden müssen,
bevor sie die Hühnerfarmen verlassen. Das beschädigt die Eischale und macht
Eigelb und Eiweiß darin leichter verderblich. Und plötzlich machte alles Sinn.
Nach acht Monaten Aufenthalt habe
ich aufgehört zu vergleichen. Alles ist relativ, und ich lebe hier in einem
völlig anderen System. Hier herrschen andere Regeln, die muss ich erlernen. Das
leuchtet mir ein. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass ich die
Gesetzmäßigkeiten meines Ursprungsraums vergesse. Ja, ich kann sie ablehnen und
verdrängen. Aber das macht, glaube ich, niemanden glücklich. Eine Pflanze, der
ein Maulwurf die Wurzeln abnagt, vertrocknet, verhungert und stirbt. Ich hatte
gedacht, mich gut arrangiert zu haben. Bis mir ein harscher Gegenwind den Wind
aus den Segeln nahm. Ich verlor für einen Moment meinen Kurs aus den Augen, und
ich wusste nicht mehr, wer und wo ich war. Ich war und bin beileibe kein
Einzelfall. Diese Erfahrungen machten und machen früher oder später alle
Migranten. Das wusste ich. Was mich überraschte, waren Zeitpunkt und Ursprung.
Ich gab mich bisher keinen
Illusionen hin, in den USA bin ich der Tschusch. Mein schlechtes Gewissen, dass
wir US-Amerikanern die Jobs wegnehmen, hält sich indes in Grenzen. Wer sollte
besser qualifiziert sein, US-amerikanischen StudentInnen deutsche Literatur auf
Deutsch beizubringen als eine Muttersprachlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin?
Oder welcher der üblichen Verdächtigen möchte sich schon freiwillig meiner
gesundheitlichen und beruflichen Unsicherheit aussetzen? Diese Überlegungen
waren mein sicherer Hafen, mein trockenes Pulver in der Kammer für den Fall der
Fälle. Man weiß ja nie, wem man so aller begegnet. Tatsächlich wurden wir kein
einziges Mal mit derartiger Munition angegriffen. Gelegentlich blitzt ein wenig
Genervtheit hervor, wenn mir ein Wort nicht gleich einfällt, ich nicht sofort
verstehe, oder etwas länger über eine Antwort nachdenke. Das war alles.
Vonseiten meiner Gastgeber. Maschallah!
Dank der modernen Medien halte
ich den Kontakt nachhause. Zu meiner Familie, zu meinen FreundInnen. Postings
in den sozialen Medien verstand ich bisher als Einladung, über den geteilten Inhalt
nachzudenken. Anders gesagt: Als Aufforderung, verschiedene Aspekte, Ansichten und
Deutungen auszutauschen. Von einer dieser Möglichkeiten wurde ich jetzt ausgeschlossen.
Auf Facebook reicht dazu ein Mausklick.
Ich lebe nicht in Wien, hieß es
plötzlich, daher weiß ich nicht „wie es bei uns“ zugeht. Dieses „bei uns“ aus
der Tastatur meines Gegenübers in Übersee war für mich ein Schlag ins Gesicht.
Wie schnell und leichtfertig wurde da eine Wir-Gruppe eingegrenzt. Und wie
rasch war ich daraus ausgegrenzt. Schon nach acht Monaten Auslandsaufenthalt
hatte mir jemand das Recht abgesprochen, meine Meinung und Überlegungen zu
Zuständen und Vorgängen in Österreich zu äußern. Zu den Verhältnissen in meinem
Geburtsland. Meiner Heimat, in der ich nach wie vor meine
Sozialversicherungsbeiträge und Steuern entrichte. Ich war wütend und gekränkt.
Ich brauchte Zeit, um zu rationalisieren. Die Gemüter hatten sich zu
nächtlicher Stunde erhitzt. Kann geschehen. Das nehme ich niemanden übel. Aber
inzwischen spüre ich Ärger in mir hochkochen, wenn sich jemand, der nie hier
gelebt hat, abfällig über die USA äußert. Das trifft es aber nicht ganz. Wenn ich
in dieser Gemütslage so etwas schreibe wie: „Der Einzige in den USA, der eine
brachiale Lösung gesucht hat, war der, der sich heute Morgen in New York im
Busbahnhof in die Luft gesprengt hat“, dann denke ich dabei weder an Präsident
Trump, noch an die Bush-Familie, noch an irgendwelche rassistisch-motivierten
Amokschützen. Dabei denke ich an die Krankenschwestern im Yale New Haven
Hospital, an den netten Busfahrer, der möglichst nahe an den Randstein
heranfährt, dass ich gut einsteigen kann, an die Kassiererin, die uns die Quarters
für die Waschmaschine rausgibt und ja, auch an die Polizisten, Soldatinnen und
Nationalgardisten, die mich beschützen. Kurz: Ich denke an die US-Amerikaner,
mit denen ich lebe! In einem von den Demokraten regierten Bundesstaat. Trump,
die Bushes und wer noch immer, die interessieren mich dann nicht. Das sind
Fratzen aus den Medien. Die Menschen, mit denen ich hier lebe, haben Gesichter.
Liebenswerte Gesichter.
Jetzt wurde ich von einem Teil meiner
Verwandtschaftsgruppe buchstäblich ausgeschlossen. Ich wurde blockiert, zum
Schweigen gebracht. Dazu reicht ein Mausklick. An den Umgang mit Mitmenschen
als Wegwerfbekanntschaften werde ich mich nie gewöhnen. Aber egal. In der
Rückschau an dieses Ereignis faszinieren mich am meisten die Widersprüche: Ich
darf mich nicht mehr zu Wien äußern, weil ich nach acht Monaten nicht mehr
weiß, wie es „bei uns“ zugeht. Für die Person, die mir das entgegnete, gelten aber
andere Maßstäbe (noch nicht einmal ihre eigenen). Die weiß nämlich genau über
die USA und die Amerikaner Bescheid, ohne einen einzigen Tag wirklich in dem
riesigen Staatenbund gelebt zu haben. Gelebt, das heißt: nicht als Tourist oder
auf Dienstreise.
Ich bin, wie gesagt, kein
Einzelfall. In meiner anfänglichen Kränkung hatte ich mich dazu verstiegen,
hochgegriffene Parallelen zu ziehen: Paul Lendvai durfte und soll sich nicht
mehr über Ungarn äußern. Thomas Mann sollte damals auch besser über den Krieg
und das Regime schweigen, weil er als Exilant nicht dabei gewesen war. Christoph
Waltz soll über Wahlausgang und Regierungsbildung die Schnauze halten. Et cetera.
Und im selben Atemzug fielen mir noch viel mehr Autorinnen und Journalisten
ein, denen nahegelegt wurde und/oder wird, über die Zustände in ihrem
Herkunftsland den Mund zu halten. Weil ihre Ansichten und Denkanstöße nicht mit
geltenden Dogmen und unhinterfragten Ideologien konform gingen und/oder gehen.
Aber wie gesagt, das ist in meinem Fall viel zu hoch gegriffen. Ich bin im
Vergleich zu diesen Dissidenten nur ein kleines Licht. Auch wenn dies schon der
Boden ist, auf dem derartige Frucht keimt, ich bin einem Einzelfall begegnet, die/der
sich über etwas aufregen wollte, nicht über etwas nachdenken. Österreich kann
das besser. Das weiß ich. Und viele nette Menschen beweisen es.
Wer jetzt aber denkt, dieser
Einzelfall wäre bloß ein weiterer aus der langen und fortgesetzten Reihe jener
Einzelfälle und Lausbubenstreiche, die unter anderem die Wahlkarten abschaffen
wollen, und damit das demokratische Mitbestimmungsrecht von
Auslandsösterreichern, der könnte irrer nicht gehen.
Und darum frage ich mich zum
ersten Mal, in den Händen welcher Wir-Gruppen ich mein Ursprungsland zurückgelassen
habe? What´s wrong with you people?
Bitte, lasst mich mein Wien wiedererkennen
wenn ich wiederkomme! Ich glaube an euch, ihr schafft das!
Fortsetzung folgt…
Quellen der Fotos:
Otto Preminger:
Von Allan warren -
Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9892395
Arnold Schwarzenegger:
Von Koch / MSC, CC BY
3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38272407