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Dienstag, 12. Dezember 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 22)

Teil 22: Einsichten eines Migrantenlebens


Was haben die zwei gemeinsam? (außer österr. Geburtsurkunden)
Beide spielten Dr. Viktor Fries aka Mr. Freeze in BATMAN!
Christmas Eve, der Heilige Abend, rückt näher. Und die Neugier treibt mich an, dieses Jahr einen Eggnog zuzubereiten. Dieses Getränk, im Prinzip handelt es sich um Eier, Milch, Cream, Zucker und Bourbon, möchte ich bzw. möchten wir integrieren. Das heißt: Diese typisch US-amerikanische Weihnachtszutat in die Menge unser eigenen Weihnachtsbräuche aufnehmen, und somit unsere eigene Weihnachtstradition im neuen Heim zu beginnen. Wie der Eggnog wird das dieses Jahr eine ziemlich wilde Mischung aus sächsischen, österreichischen und US-amerikanischen Elementen. Und diese Melange wird Juliane und mich ziemlich gut wiederspiegeln. Ich hege ja noch Bedenken, den guten Bourbon mit Milch und Zucker zu verunreinigen, aber diese Hürde werde ich überspringen.
Essen und Trinken waren nicht die einzigen, jedoch die ersten Hürden beim Versuch in unser Leben in den USA zu starten. Der größte Brocken waren meine medizinischen Behandlungen und die Sprache. An meinem Akzent, den ich wohl niemals ganz verliere (siehe Arnold Schwarzenegger oder Otto Preminger), bemerkt natürlich jeder als erstes, dass ich aus Übersee bin. Die USA waren und sind nicht der einzige Ort auf der Welt, wo dieser Unterschied ins Auge fällt bzw. ins Ohr geht. Meine Sprache ist ein besonderes Merkmal. Es gibt weltweit nur eine einzige Stadt auf der Welt, wo man so spricht wie ich. Das machte mich bisher froh und auch ein wenig stolz. Damit mussten sich außerdem schon viele abfinden. Millionen Menschen teilen diese Erfahrung an verschiedenen Plätzen und in unterschiedlichen Zungen. Dadurch hat sich mein ganzer Zugang zum Thema Fremdsein an einem Ort bzw. in einer Gemeinschaft verändert. Nirgends war und bin ich so sehr Wiener oder Österreicher wie im fremdsprachigen Ausland. Wozu ich jetzt augenzwinkernd auch Deutschland zähle. Auch hier in New Haven ist es so, dass, wo ich auftauche und den Mund aufmache, die Gesprächsthemen schnell zu Wien, Österreich oder deutschsprachige Exilanten wechseln. Inzwischen macht mich das sogar ein wenig ärgerlich, weil ich nicht den Atlantik überquert habe, um ständig über meine eigenen Themen zu reden. Ich wollte ja etwas Neues kennenlernen. Ich bemühte mich schnell, mich wie Amerikaner anzuziehen, ihre Umgangsformen zu übernehmen und nicht schon auf den ersten, aber auf den zweiten meine angeborene Andersartigkeit zu enthüllen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als Hatty, „meine“ Nurse bei der Photopherese, mir gesagt hatte, ich sehe jedes Mal mehr wie ein „echter Amerikaner“ aus. Über meinen Akzent haben wir dann beide gelacht, und ich fand das auch gut so. Selbst wenn es nicht ganz ehrlich gemeint war, und sie mir nur eine Freude damit machen wollte, es hat gewirkt, ich fühlte mich gut. Und so und nicht anders funktioniert die US-amerikanische Höflichkeit.
Natürlich gibt es nach wie vor unglaublich viele Widersprüche und Ungereimtheiten, und mit jedem Tag werden sie mehr. Es ändert sich nur langsam die Richtung aus der sie kommen, der Wind hat sich gedreht.
Um einen echten Eggnog herzustellen, braucht man Eier. Frische Eier dürfen in den USA nur gekühlt verkauft werden. Wie komisch ist das denn? Um Eier auf den Tisch zu bekommen, braucht es doch keine ununterbrochene Kühlkette. In Europa stehen die Paletten in den Supermärkten meistens ungekühlt herum. Jedenfalls bei den Diskontern. Auf Nachfrage erfuhr ich dann, dass Eier in den USA gewaschen werden müssen, bevor sie die Hühnerfarmen verlassen. Das beschädigt die Eischale und macht Eigelb und Eiweiß darin leichter verderblich. Und plötzlich machte alles Sinn.
Nach acht Monaten Aufenthalt habe ich aufgehört zu vergleichen. Alles ist relativ, und ich lebe hier in einem völlig anderen System. Hier herrschen andere Regeln, die muss ich erlernen. Das leuchtet mir ein. Das bedeutet aber nicht gleichzeitig, dass ich die Gesetzmäßigkeiten meines Ursprungsraums vergesse. Ja, ich kann sie ablehnen und verdrängen. Aber das macht, glaube ich, niemanden glücklich. Eine Pflanze, der ein Maulwurf die Wurzeln abnagt, vertrocknet, verhungert und stirbt. Ich hatte gedacht, mich gut arrangiert zu haben. Bis mir ein harscher Gegenwind den Wind aus den Segeln nahm. Ich verlor für einen Moment meinen Kurs aus den Augen, und ich wusste nicht mehr, wer und wo ich war. Ich war und bin beileibe kein Einzelfall. Diese Erfahrungen machten und machen früher oder später alle Migranten. Das wusste ich. Was mich überraschte, waren Zeitpunkt und Ursprung.
Ich gab mich bisher keinen Illusionen hin, in den USA bin ich der Tschusch. Mein schlechtes Gewissen, dass wir US-Amerikanern die Jobs wegnehmen, hält sich indes in Grenzen. Wer sollte besser qualifiziert sein, US-amerikanischen StudentInnen deutsche Literatur auf Deutsch beizubringen als eine Muttersprachlerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin? Oder welcher der üblichen Verdächtigen möchte sich schon freiwillig meiner gesundheitlichen und beruflichen Unsicherheit aussetzen? Diese Überlegungen waren mein sicherer Hafen, mein trockenes Pulver in der Kammer für den Fall der Fälle. Man weiß ja nie, wem man so aller begegnet. Tatsächlich wurden wir kein einziges Mal mit derartiger Munition angegriffen. Gelegentlich blitzt ein wenig Genervtheit hervor, wenn mir ein Wort nicht gleich einfällt, ich nicht sofort verstehe, oder etwas länger über eine Antwort nachdenke. Das war alles. Vonseiten meiner Gastgeber. Maschallah!
Dank der modernen Medien halte ich den Kontakt nachhause. Zu meiner Familie, zu meinen FreundInnen. Postings in den sozialen Medien verstand ich bisher als Einladung, über den geteilten Inhalt nachzudenken. Anders gesagt: Als Aufforderung, verschiedene Aspekte, Ansichten und Deutungen auszutauschen. Von einer dieser Möglichkeiten wurde ich jetzt ausgeschlossen. Auf Facebook reicht dazu ein Mausklick.
Ich lebe nicht in Wien, hieß es plötzlich, daher weiß ich nicht „wie es bei uns“ zugeht. Dieses „bei uns“ aus der Tastatur meines Gegenübers in Übersee war für mich ein Schlag ins Gesicht. Wie schnell und leichtfertig wurde da eine Wir-Gruppe eingegrenzt. Und wie rasch war ich daraus ausgegrenzt. Schon nach acht Monaten Auslandsaufenthalt hatte mir jemand das Recht abgesprochen, meine Meinung und Überlegungen zu Zuständen und Vorgängen in Österreich zu äußern. Zu den Verhältnissen in meinem Geburtsland. Meiner Heimat, in der ich nach wie vor meine Sozialversicherungsbeiträge und Steuern entrichte. Ich war wütend und gekränkt. Ich brauchte Zeit, um zu rationalisieren. Die Gemüter hatten sich zu nächtlicher Stunde erhitzt. Kann geschehen. Das nehme ich niemanden übel. Aber inzwischen spüre ich Ärger in mir hochkochen, wenn sich jemand, der nie hier gelebt hat, abfällig über die USA äußert. Das trifft es aber nicht ganz. Wenn ich in dieser Gemütslage so etwas schreibe wie: „Der Einzige in den USA, der eine brachiale Lösung gesucht hat, war der, der sich heute Morgen in New York im Busbahnhof in die Luft gesprengt hat“, dann denke ich dabei weder an Präsident Trump, noch an die Bush-Familie, noch an irgendwelche rassistisch-motivierten Amokschützen. Dabei denke ich an die Krankenschwestern im Yale New Haven Hospital, an den netten Busfahrer, der möglichst nahe an den Randstein heranfährt, dass ich gut einsteigen kann, an die Kassiererin, die uns die Quarters für die Waschmaschine rausgibt und ja, auch an die Polizisten, Soldatinnen und Nationalgardisten, die mich beschützen. Kurz: Ich denke an die US-Amerikaner, mit denen ich lebe! In einem von den Demokraten regierten Bundesstaat. Trump, die Bushes und wer noch immer, die interessieren mich dann nicht. Das sind Fratzen aus den Medien. Die Menschen, mit denen ich hier lebe, haben Gesichter. Liebenswerte Gesichter.
Jetzt wurde ich von einem Teil meiner Verwandtschaftsgruppe buchstäblich ausgeschlossen. Ich wurde blockiert, zum Schweigen gebracht. Dazu reicht ein Mausklick. An den Umgang mit Mitmenschen als Wegwerfbekanntschaften werde ich mich nie gewöhnen. Aber egal. In der Rückschau an dieses Ereignis faszinieren mich am meisten die Widersprüche: Ich darf mich nicht mehr zu Wien äußern, weil ich nach acht Monaten nicht mehr weiß, wie es „bei uns“ zugeht. Für die Person, die mir das entgegnete, gelten aber andere Maßstäbe (noch nicht einmal ihre eigenen). Die weiß nämlich genau über die USA und die Amerikaner Bescheid, ohne einen einzigen Tag wirklich in dem riesigen Staatenbund gelebt zu haben. Gelebt, das heißt: nicht als Tourist oder auf Dienstreise.
Ich bin, wie gesagt, kein Einzelfall. In meiner anfänglichen Kränkung hatte ich mich dazu verstiegen, hochgegriffene Parallelen zu ziehen: Paul Lendvai durfte und soll sich nicht mehr über Ungarn äußern. Thomas Mann sollte damals auch besser über den Krieg und das Regime schweigen, weil er als Exilant nicht dabei gewesen war. Christoph Waltz soll über Wahlausgang und Regierungsbildung die Schnauze halten. Et cetera. Und im selben Atemzug fielen mir noch viel mehr Autorinnen und Journalisten ein, denen nahegelegt wurde und/oder wird, über die Zustände in ihrem Herkunftsland den Mund zu halten. Weil ihre Ansichten und Denkanstöße nicht mit geltenden Dogmen und unhinterfragten Ideologien konform gingen und/oder gehen. Aber wie gesagt, das ist in meinem Fall viel zu hoch gegriffen. Ich bin im Vergleich zu diesen Dissidenten nur ein kleines Licht. Auch wenn dies schon der Boden ist, auf dem derartige Frucht keimt, ich bin einem Einzelfall begegnet, die/der sich über etwas aufregen wollte, nicht über etwas nachdenken. Österreich kann das besser. Das weiß ich. Und viele nette Menschen beweisen es.
Wer jetzt aber denkt, dieser Einzelfall wäre bloß ein weiterer aus der langen und fortgesetzten Reihe jener Einzelfälle und Lausbubenstreiche, die unter anderem die Wahlkarten abschaffen wollen, und damit das demokratische Mitbestimmungsrecht von Auslandsösterreichern, der könnte irrer nicht gehen.
Und darum frage ich mich zum ersten Mal, in den Händen welcher Wir-Gruppen ich mein Ursprungsland zurückgelassen habe? What´s wrong with you people?
Bitte, lasst mich mein Wien wiedererkennen wenn ich wiederkomme! Ich glaube an euch, ihr schafft das!

Fortsetzung folgt…

Quellen der Fotos:
Otto Preminger:
Von Allan warren - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9892395
Arnold Schwarzenegger:

Von Koch / MSC, CC BY 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=38272407