Bisher erschienen:

Bisher erschienen:

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 23)

Teil 23: Weihnachten, Boston und ein verirrter Linienbus


Noch einmal ganz herzlich: Merry Christmas and A Happy New Year! Mein Eintrag war früher geplant, aber eine renitente Ente, ein paar undichte Fenster und ein öffentliches Verkehrsmittel auf Abwegen haben dieses Vorhaben vereitelt. Ich habe ja schon einiges über die Abenteuer gehört, die man an Bord eines Greyhound-Busses erleben kann, aber jetzt wissen Juliane und ich, dass alles noch viel schlimmer kommen kann…
Manch einer sieht in den USA ein völlig anderes totalitäres Regime vor dem Horizont aufmarschieren. Juliane, in der DDR geboren und die ersten prägenden Jahre in ihr verbracht, versicherte mir jedoch, dass sie die gegenwärtigen USA an den Kommunismus bzw. an den real existierenden Sozialismus erinnern. Die Infrastruktur ist vielerorts uralt, funktioniert nicht richtig oder ist schlicht und ergreifend hin, und der Alltag klappt dank der Improvisationskunst einzelner Beherzter trotzdem. Man kann sich im Leben vieles schönreden, aber jeden Tag über Schlaglöcher in den Straßen zu hoppeln, oder beim Frühstück von draußen einen eiskalten Hauch ins Genick geblasen zu bekommen, das macht keine Freude. Ein feingliedrig segmentiertes Jugendstilfenster im Esszimmer ist eine schöne Sache. Die Freude daran schwindet mit den Außentemperaturen. Sobald sie von spätsommerlich Plusgraden über Nacht auf bis zu minus 14 Grad Celsius fallen, und der elende Holzrahmen vielfach überstrichen vor sich hin rottet, rissig ist, die Seitenteile nur mit einer einlagigen Glasscheibe verglast oder bloß mit einer von außen angeschraubte Plexiglasplatte verschlossen sind. Der Gebrauch von Silikonmasse scheint zwar bekannt, aber völlig verpönt. Was angesichts des sonstigen Kunststoffdurchsatzes dieser Gesellschaft ein kleines Wunder darstellt. Handwerk hat in den USA goldenen Boden, die Resultate hingegen… Naja, lassen wir das! Jedes Vogelhaus ist energieeffizienter isoliert, jedes Puppenhaus nachhaltiger zusammengebaut. Jedenfalls dort, wo in den USA Normalsterbliche wie wir hausen. Oder liegt es daran, dass jedermann nur eine begrenzte Zeit an einem Ort lebt, um dann zum nächsten weiterzuziehen? Ich weiß es nicht! Glücklich, wer sich in solch schwieriger Lage zu helfen weiß. Dank der frühkindlichen Erfahrungen meiner Gattin und meiner Kindheit im Waldviertel gelang es uns, die eiskalte Hand auszusperren, die allmorgendlich nach mir im Pyjama griff und gierig nach unserer Heizkostenabrechnung grapschte.Ich erinnerte mich, was mir meine geliebte Großmutter und Waldläuferin über das Wärmedämmen beigebracht hatte. Weidenflechtwerk mit Moos und Waldlehm verschmiert wäre demnach meine erste Wahl gewesen. Dieses Naturmaterial war aber nicht zur Hand. So auf die Schnelle einen Fensterpolster häkeln war auch nicht. Also her mit den Zeitungen und den Kartons der Amazon-Pakete. Die undichten Seitenfenster flink mit der Pappe zugeklebt. Licht tauschten wir gegen Wärme. Ein Deal, den all

unsere Vorfahren auf der ganzen Welt eingehen mussten. Je besser die Heizungen wurden (oder wärmer das Klima), desto größer die Fenster. Jetzt folgte der zeitaufwendige und zermürbende Teil: Vier Women´s Health, zwei Men´s Health und drei Ausgaben des Yankee Magazins mussten seitenweise daran glauben. Jede Seite habe ich zerknüllt und zwischen Plexiglas bzw. Glas und Karton gestopft. Stunden später war der Zwischenraum endlich voll, die eisigen Brisen ausgesperrt. Danach haben wir die ganze Pracht von innen mit Klebeband versiegelt. Sieht scheiße aus, aber bildet einen isolierenden Luftpolster. Von der Straße hat man den Eindruck, ein deutscher Verpackungskünstler oder ein avantgardistischer Street Art-Dadaist hätte ungefragt mit „einer Arbeit“ seine Umwelt beglückt. Mir ist´s egal, Juliane und ich erfreuen uns daran, dass die Fenster endlich dicht sind.
Diese gleichermaßen unzeitgemäßen wie unerfreulichen Instandsetzungsimprovisationen an unserem Heim hielten mich davon ab, vor unserem Ausflug nach Boston meine Eindrücke niederzuschreiben. Bei unserem Trip nach Boston handelte es sich um mein Weihnachtsgeschenk. Als mir klar wurde, wohin der Ausflug ging, grölte ich laut falsch und hingebungsvoll „I'm Shipping Up To Boston“ (Dropkick Murphys), was mehrere Schmerzmittelangebote meiner Gattin nach sich zog. Dergleichen Banausentum ignorierend freute ich mich sehr, endlich die historische Stadt (Tea Party, Battle of Bunker Hill, etc…) und die Heimat der Boston Celtics zu sehen. Seit dem Gymnasium war und bin ich Fan der Celtics. Daran konnten auch jene nichts ändern, die damals vor mehr als zwanzig Jahren – Jesus Christ! – naht- und übergangslos vom Dress Michael Jordans (Chicago Bulls) in das von Shaquille O´Neill (damals Orlando Magic) geschlüpft waren.
Die Anreise mit dem Greyhound-Bus klappte problem- und klaglos. Der Fahrer – eigentlich unnötig zu sagen, dass er Afroamerikaner war – war zu uns nett und hilfsbereit. Ein paar Mitreisende, die ihn ungebührlich drängeln wollten, stauchte er dagegen lautstark zusammen. Bei jedem noch so kurzen Aussteigen fand sich eine Zigarette in seinem Mundwinkel. Auf dem Kopf trug er eine schwarze Wollmütze, die von vielen in einer Art getragen werden, die irritierenderweise an das Reservoir eines Präservativs erinnert. Eine Ähnlichkeit, die man mit Blick auf die eigene Gesundheit besser für sich behält. Ins Auge fiel mir auch gleich der wohl schusssichere Glaskäfig, der den Passagierteil vom Fahrerbereich trennte. Eine Einrichtung, die es in Peter Pan-Bussen nicht gab, also eine Spezialität von Greyhound sein musste. Der Zustand des Busses war hingegen nicht anders als der jedes anderen Überlandlinienbusses. Berichte über den mitreisenden Bodensatz der Gesellschaft erschienen mir reichlich übertrieben, die wirklich armen Leute können sich eh kein Ticket leisten. Trotzdem war die erste Reaktion auf unseren Plan mit Greyhound zu reisen: „So you will be with the people!“ Es stimmte, im Bus reisten wir wirklich volksnah. Nachdem wir die Regionallinie benutzten, blieben wir bei jeder Milchkanne in der Landschaft stehen. Auf der Route quer durch zwei Indianerreservate lagen die beiden Casinos der Natives: das Mohigan Sun und das uns schon bekannte Foxwoods. Wen wir dort aller absetzten und einsammelten war aus soziologischer Sicht alleine die Reise wert. Junge schwarze in knallbunten Seiden-Blousons, reizende farbige Rentnerinnen und ein etwas abgerissener und keineswegs geruchsneutraler Pensionist in zwei Paar Jeanshosen. Besonders ans Herz ging uns ein erst kürzlich entlassener Ex-Sträfling, der sich mithilfe eines fünfzehn bis zwanzig Jahre alten Klapphandys um seinen Job und die Freundschaft seines Geschäftspartners quatschte. Er reparierte als Handwerker Eigenheime, bis zu diesem Telefonat, schätze ich. Der von ihm freigesetzte Redeschwall war laut Juliane, die in einem Frankfurter Gefängnis Deutschunterricht gegeben hatte, exakt derselbe, den sie auch in Deutschland von denselben Leuten gehört hatte. Wenigstens das Elend im Kapitalismus ist globalisiert. Diesen Mann sahen wir nicht wieder, den Alten in den zwei Hosen trafen wir auf der Rückfahrt wieder. Geduscht und in gewaschenen Hosen. Wir waren mit zwanzig Minuten Verspätung in New Haven losgefahren, ohne Delay erreichten wir Boston.
Mein erster Eindruck von Boston lässt sich in drei Adjektiven zusammenfassen: Elegant, sauber und sicher. Zum ersten Mal hatte ich kein ungutes Gefühl, zu Fuß und behindert durch den öffentlichen Raum zu gehen. Downtown wirkte auf mich wie das mit dem Stahlbesen durchgefegte Gotham City aus den DC-Comics. Jugendstilwolkenkratzer, Feuerleitern und dampfende Kanalgitter. Unser Hotel lag mitten in der Innenstadt, und direkt angeschlossen war ein Pub, das „Elephant and Castle“. Das barg den grandiosen Vorteil, nach Abendessen und letztem Bier in den Aufzug zu steigen und kurz darauf direkt ins Bett zu fallen. Bevor es soweit war, besuchten wir den Weihnachstmarkt bzw. die Holidays and Winter Fair. Diese US-amerikanische Variante des Christkindlmarktes war hinter dem Rathaus aufgebaut, einem dezenten Meisterwerk des architektonischen Brutalismus. An jedem anderen Ort der Welt hätte mich der Betonklotz gegruselt, hier passte er hin. Auf dem Weg zum Rathaus kamen wir an einigen der ältesten Bauwerke der USA vorbei. Dem Old State House, an dem auf dem Dachfirst bis heute noch Löwe und Einhorn des Britischen Empires zu sehen sind. Dieses zwischen den Schluchten des Bürogebirges ringsum winzig anmutende Backsteingebäude mit weißem Holzturm versinnbildlicht wie kaum ein anderes die Geschichte der USA. Von der Kolonie bis zu einer der größten und mächtigsten Demokratien der Welt. Das Gefühl der Sicherheit vertiefte sich beim Betreten des Weihnachtsmarkts mit Eislaufbahn. Hier hatten wir nicht den Eindruck, ein Armeecamp zu betreten. Ein Blick in die beleuchteten Bürofenster ringsum machte indes deutlich, dass die Mehrheit die Innenstadt mit den Pendlerzügen verlassen hatte. Die Abgänge zu den U-Bahn-Stationen waren seit 20:00 Uhr mit Rollläden verschlossen. Wir waren demnach tatsächlich „unter uns“. Die Staatsgewalt äußerte sich bloß darin, dass beim Betreten des Zeltes mit Wein- und Glühweinausschank das Alter kontrolliert wurde, und mehrere Police Officers mit strenger Amtsmiene zum Aufwärmen hereinkamen. In geselliger Runde neben dem Tresen tauten ihre Mienen wieder auf. Juliane und ich brauchten keinen Stempel auf der Hand, wir bekamen unser alkoholhaltiges Heißgetränk auch so. Frechheit! „Glühwein“ stand auf den Etiketten der Flaschen, die kamen alle aus Deutschland. Die Schachteln und Flaschen, nicht der Wein. Zu unserer Verblüffung lernten wir, dass der „deutsche Glühwein“ aus  Georgia stammte. Nicht Georgia USA, sondern Georgia, the Country. Das heißt, aus Georgien. Georgia wäre von uns schon weit weg genug gewesen, aber dass unser heißer Gewürzwein so weit gereist war, um in Boston in unseren Mägen zu landen, das schmeckte doch ein wenig bitter. Nach zwei Bechern war auch hier um 20:00 Uhr Schluss. Die Gäste durften zwar draußen weiter trinken, aber der Ausschank wurde geschlossen. Aufs Herumstehen in eisiger Kälte hatten wir keine Lust, also die Tassen geleert und auf ins Pub. Zum Trost fand Juliane einen Stand mit originalen Herrnhuter Sternen aus der Oberlausitz. Das wärmte das Gemüt, und so ein kleiner gelb-roter Stachelstern schmückt seither unser Fenster.
Der nächste Morgen präsentierte sich anders als in den Wetterprognosen sonnig und klar. Die besten Voraussetzungen, um mein eigentliches Weihnachtsgeschenk anzutreten, eine Schiffsrundfahrt zu den historischen Stätten in der Bostoner Hafenbucht. Der Weg zu den Anlegestellen war nicht weit, er führte uns wieder am Old State House vorbei. Auch an der in etwa gleichalten Faneuil Hall, der Versammlungs- und Markthalle im Zentrum, die das großzügige Geschenk eines Hugenotten an die Stadt gewesen war. Der Name war und ist demnach Französisch, ihn aber derart auszusprechen führt zu gar nichts. Außer zu Stirnrunzeln. Inzwischen finde ich es faszinierend, wie amüsiert bis indigniert einige US-Amerikaner reagieren, wenn jemand ein Wort oder einen Namen ihrer Meinung nach falsch bzw. mit Akzent ausspricht. Sie selbst haben wiederum meiner Meinung nach ein unvergleichliches Talent, jeden nicht-englischen Eigennamen oder Ausdruck bis zur Unkenntlichkeit zu verdrehen. Besonders das nur in den USA bekannte und beliebt berüchtigte TH der semitischen Sprachen hat es mir angetan. Selbst wenn Komposition und Text in Weihnachtsliedern auf diese Weise partout nicht zusammengehen, wird das englische TH trotzdem stur in z.B. Bethlehem gesungen. Aber wenn meine Frau in einer Konversation Karbon sagt, dann freut sich das Gegenüber blödsinnig über einen Car bone (Autoknochen). Whatever! Die Schiffahrt hinaus in die Bucht war wunderschön. Kurz beschlich mich gerade darum ein unangenehmes Empfinden. Weit hatte ich es gebracht, dass Juliane mich an Bord bugsiert, mich unter Deck auf einen Sessel setzt, und ich dann glücklich lächeln die vorbeiziehenden Sehenswürdigkeiten bestaune, unfähig, sie mir aus eigener Kraft anzusehen. Juliane tröstete mich, dass das das eigentliche Konzept des Tourismus darstellte und flößte mir eine heiße Schokolade ein. Der Anblick von echten Forts und Leuchttürmen aus dem sechzehnten, siebzehnten und späteren Jahrhunderten taten ihr Übriges, um mich mit der Welt und meinem Zustand zu versöhnen. Wir wuchteten mich auch über die steile Treppe nach oben auf Deck. Dort hatte ich aber Angst vom Wind erfasst und verblasen zu werden. Viel bringe ich nicht mehr auf die Waage, und die Brise war kalt und steif. Höhepunkt der Ausfahrt war für mich natürlich die U.S.S. Constitution, das älteste sich in Dienst befindliche Kriegsschiff der Welt. Die Old Ironside liegt am Fuße des Denkmals der Schlacht von Bunker Hill vertäut und ist in meinen Augen noch so schön wie an ihrem ersten Tag. In Boston legte sich auch endlich das Gefühl, geschichtsloser Gefangener in einer identitätslosen Gegenwart zu sein. Boston lag nahe bei den blauen Bergen, die von den Natives Massachusetts genannt worden waren. Und Boston war neben New York der größte Einwandererhafen. Konflikte zwischen Neuankömmlingen und den Alteingesessenen waren an der Tagesordnung. Besonders zur Zeit der Großen Hungersnot in Irland kam es zu Repressalien. Zum Glück, erzählte man uns, waren diese Zeiten vorbei, heute ist Boston eine irische Stadt. Entsprechend kauften wir mir eine Kappe und eine Wollmütze der Boston Celtics, deren legendäre Spieler und Manager in Bronze gegossen die Plätze zieren.
Wir schauten dann noch auf eine Schüssel Clam Chowder im Cheers vorbei, dann war unsere schöne Zeit in Boston auch schon wieder vorbei. Die Bürotürme Downtowns präsentierten sich als Termitenburgen, in die morgens Heerscharen emsige Arbeiterströme einzogen, sie belebten und abends wieder in die Vororte verließen. Eine gewaltige Flutwelle aus Pendlern spülte uns aus Downtown zum Bahnhof und weiter in den Busbahnhof. Von dort begann unsere Heimreise, die gut und gerne von Homer in Hexametern besungen werden konnte. Kurz gesagt: Eine schlichte Busreise wurde zur Irrfahrt, zur Odyssee. Unser Chauffeur trug dieselbe signifikante Mütze und wirkte auf den ersten Blick wie die rauchfreie, jüngere und gebügelte Variante unseres Fahrers bei der Herfahrt. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Berufsfahrern war aber ein völlig anderer. Wir erinnern uns, der ältere hat eine Verspätung von zwanzig Minuten aufgeholt. Ich habe schon miterlebt, dass ein Fahrer der Wiener Linien, der ansonsten immer 13A gefahren war, als Aushilfslenker irrtümlich nicht in die 14A-Route eingebogen war. Einmal um den Block, und alles war wieder gut. Wirklich noch nie in meinem Leben habe ich es erlebt, dass ein Berufsfahrer überhaupt keinen Plan davon hat, wohin er seinen vollbesetzten Linienbus zu lenken hat. In Providence, der ersten Station unserer Reise, landeten wir nicht vor dem Bahnhof, sondern unter einer Brücke dahinter. Kein Ort, wo man in der Nacht sein möchte. Sein kleiner Irrtum war unserem Lenker aufgegangen, als nach zehn Minuten noch immer keiner der gebuchten Fahrgäste aufgetaucht war. Nachdem wir die Fahrgäste aus Providence erfolgreich aufgesammelt hatten, steuerte er den Wagen in eine Gegend gegen die unser Parkplatz unter der Brücke ein anheimelndes und lauschiges Plätzchen gewesen war. Wir stießen tiefer und tiefer in die Hood vor, bis endlich eine ortsansässige Mutter mit Tochter lauthals protestierte und die Navigation des Busses übernahm. Das, sagte sie, wäre ihr Teil der Stadt, und wo uns der Lenker gerade hinfuhr, dort wollten weder wir noch sie jemals sein. Dank dieser Frau erreichten wir den Highway. Jetzt stieg in unserem Pensionisten in den beiden Hosen, der wieder mit von der Partie war, die Nervosität. Der Fahrer wusste nicht, welches der beiden Kasinos sein nächstes Ziel war. Nun, es war das Foxwoods. Aber wie der Name schon sagt, das stand mitten im Wald. Und im Reservat sah es aus wie im Waldviertel im Winter. Es gab jede Menge Bäume, keine Straßenbeleuchtung und es war finster. Nach dem jahreszeitlich bedingten frühen Sonnenuntergang, wird einem an einem solchen Ort rasch klar, warum gerade jetzt ein Fest begangen und nötig wurde, bei dem viel künstliche Beleuchtung im Spiel war. Langer Rede gar kein Sinn, der Lenker fuhr dreimal an dem riesigen, hell erleuchteten Gebäudekomplex vorbei. Der Rentner in den beiden Hosen wurde renitent. Zum Glück, er wusste nämlich wo es lang ging. Die Weiterfahrt zum nächsten Kasino endete auf einem Parkplatz irgendwo im Nirgendwo. Die Stimmung im Bus knisterte. Der schwere Pickup der Tribal Police der Mashantucket Pequot war uns seit dem Foxwoods gefolgt und parkte in einiger Entfernung. Die Officers dachten vielleicht an eine Entführung. Ich dachte an die Rettung aus der Wildnis durch diese tapferen Polizisten. Es kam anders. Ein beherzter Mitreisender stand auf, marschierte vor und hielt dem Fahrer sein Smartphone mit GPS-Navigation vor die Nase. Dank dieses beherzten Eingreifens verfranzten wir uns auf der Weiterfahrt bloß noch dreimal. Wir kamen mit einer Stunde Verspätung und mitten in der Nacht in New Haven an. Ob der Bus jemals sein Ziel New York erreicht hat, wissen wir nicht. Der Mann mit dem Navi sagte, er würde beim nächsten Halt aussteigen.
Die einstündige Verspätung löste eine Kettenreaktion in mir aus. Sie war gewissermaßen der erste einer langen Reihe aus Dominosteinen. Fiel der eine um, folgten alle anderen. Ich hatte vor Weihnachten eine ganze Reihe von Arztterminen, und durch die Verzögerung und Erschöpfung verlor ich einen ganzen Vormittag. Just jenen, an dem wir ein Auto gemietet hatten, um unseren Christbaum zu besorgen. Statt dem üblichen SUV bekam ich einen Honda Civic. Der ließ sich zwar gut fahren, aber das Ein- und Aussteigen gestaltete sich, na sagen wir mal, interessant. Außerdem zog die designoriginelle „Sportvariante“ den Neid und die Aufmerksamkeit der falschen Mitbürger auf sich. Sitzt dann auch noch eine vollbusige Blondine auf dem Beifahrersitz, dann ist man sich der glühenden Blicke sicher. Und besonders reizend gestaltet sich das Wiedersehen mit so einem Zeitgenossen im Wartezimmer des gemeinsamen Podologen. Vorweihnachtliches Beisammensein. Auf der einen Seite grimmte mich einer von unter seiner Baseballcap und Kapuze an, auf der anderen rieb ein kleiner Bub fröhlich krähend die Lederbänke und Tische mir Desinfektionsmittel ein. Letzteres hielt ich für eine gute Idee, das musste schließlich auch mal gemacht werden. Nach dem Treffen mit meinem Doktor, an dessen Ende ein weiterer Umbau meiner orthopädischen Einlagen stand, ging es weiter in den Baumarkt. Dort kauften wir endlich unseren Weihnachtsbaum. Eine Fraser Tanne, die wir quer über die Rückbank in den Civic stopften. Weihnachten konnte kommen.
Noch einmal Photopherese, dann war es soweit. Ich fand mich einen Tag vor Heiligabend Aug in Aug mit einer 60 US-Dollar-Ente und einem Blaukrautkopf wieder. Das Interessante an der Zubereitung eines traditionellen Entenbratens hierzulande ist, dass es in den USA nichts gibt, dass einem dabei helfen würde. Das heißt, kein tiefgefrorenes Rotkraut, keine vorgefertigte Masse für Erdäpfel- bzw. Kartoffelknödel. Ich musste wie Anno Dunnemal alles selbst herstellen. Mein Respekt vor den Kochkünsten unserer Vorfahren wuchs mit jedem Arbeitsschritt. Nachdem ich das Krauthappel niedergerungen hatte, musste ich das Ding erst einkochen, dann dünsten. Die Vielfalt an Zutaten ist bemerkenswert. Dank sei Gott, dass der Topf nicht explodierte. Das Herstellen der Waldviertler Knödel beschäftigte mich die nächsten paar Stunden. Stets begleitet von der lieblichen Stimme meiner Gattin, die es nicht lassen wollte, meine herrlichen Knödel Thüringer Klöße zu zeihen. Und auch wenn sie hundertmal damit Recht hat, ist mein Stolz nicht gewillt, dergleichen „Beleidigungen“ einfach hinzunehmen. Koste es was es wolle! Da kann ich ja gleich das dämliche TH mitsingen. Aber egal jetzt. Als nächstes kam die Ente dran, die ich stopfte und würzte. Zusammengefasst: Ich verbrachte den gesamten 23. Dezember damit, das Essen für den Heiligen Abend am 24sten vorzubereiten. Respekt vor all unseren vorangegangenen Generationen ohne Tiefkühlgemüse und Instantnahrungsmitteln.
Gebraten habe ich die Ente dann am nächsten Tag. Drei Stunden lang. Und hätte mir Hatty nicht während meiner Behandlung erklärt, wie man den Herd richtig einstellt, hätte ich Kohle produziert. Vielen Dank!


Fortsetzung folgt…