Teil 21: Es schneit!
Frohen und gesegneten Advent! |
Es schneit und schneit und
schneit. Und wie es aussieht, nimmt das sobald kein Ende. White Christmas steht
vor der Tür. Vorgestern sind die in den Boden gesteckten neonfarbigen
Rundhölzer am Straßenrand aufgetaucht, der Himmel sah nach Schnee aus, und als
im Waldviertel aufgezogener Mensch habe ich mir gedacht: „Oha! Schneewehen im
Kommen!“ Gestern wurde dann dieselbe Wetterwarnung wie vor dem letzten
Regensturm bekannt gegeben, und damit war klar, der Winter Neuenglands wird uns
dieses Wochenende erstmals sein kaltes und eisiges Hinterteil zeigen. Zuletzt hatten
wir bei Temperaturen um die 10° Celsius und prächtigem Sonnenschein gescherzt,
ob wir überhaupt jemals wieder Schneefall in Connecticut erleben würden. Allen allerhöchsten
Dementis eines Klimawandels zum Trotz. Heute schaut die Welt schon wieder
anders aus: Wenn nur die Hälfte der zuletzt erlebten Regenmassen als Schnee vom
Himmel fällt, dann sind wir Sonntagabend futsch, im Schnee begraben. Und
wirklich nach nur wenigen Stunden, sieht es bei uns aus wie im Winter
Wunderland. Ich bin überrascht, wie gut die Holzhäuser, die Wände aus Latten
und Papier, den geänderten Wetterbedingungen trotzen. Die Heizung läuft zwar
rund um die Uhr, und Tauwasser plätschert munter von der Dachtraufe, aber
Energiefragen wie etwa -kosten oder -effizient sind ohnedies kein Thema. Dicke
Schneeflocken fallen dicht vom silbergrauen Himmel. Und die Pracht blieb auch
tatsächlich liegen. Eine weiße Decke breitete sich freundlich über kahle Bäume
und braungescheckte Wiesen. Deutlich sieht man Tierspuren im Weiß. Jetzt trauen
sich auch diejenigen ans Tageslicht, die sonst nur in der Nacht oder zur
Dämmerung unterwegs gewesen waren. Endlich habe ich meinen ersten lebendigen
US-amerikanischen Waschbären erblickt. Das Verkehrsopfer neben dem Highway
zählte ich nicht, mich machen nur lebendige Sichtungen froh.
Neben den Eingangstüren und auf
den Veranden stehen schon länger Schneeschaufeln bereit. Inzwischen tauchte bei
mir der Gedanke auf, wer diese wohl benutzen wird? Oder wer das Stiegenhaus
aufwaschen wird, nachdem wir Mieter alle mit unseren matschigen Schuhen die
Holztreppen rauf und runter gelaufen sein werden? Die Antwort, basierend auf
unseren bisherigen Erfahrungen, gefällt mir nicht. Wenn es nicht Juliane tun
wird, wird es keiner machen! Und das schmeckt mir gar nicht. Sollte es wirklich
nicht anders gehen, sich keiner der kräftigen jungen Herren bequemen, die
Schaufel oder den Wischmopp zu schwingen, werde ich mir eben die Schneeschaufel
unter den Arm klemmen und so schippen. Ich bin ja auch der Erste, der gegebenenfalls
auf den Brettern der Frontveranda ausrutscht. Aber ich hoffe, das wird nicht
nötig werden. Ich rechne damit, dass unsere Vermieter, jemanden vorbeischicken
werden. Dieser Wesenszug mancher junger US-Amerikaner, dass wenn es nicht die Mutti
macht, oder der freundliche Schwarze oder Latino mit dem Truck, macht es
keiner, den finde ich – freundlich ausgedrückt – sehr bedenklich. Zum Beispiel
hat der Wind eine Isomatte in den Rasen des Nachbargrundstückes geweht. Woher
das Ding kam, wissen die Götter. In einem Anfall von Geschäftigkeit hat ein
Nachbar eigenhändig die Isomatte neben die Mülltonnen gestellt. Aber wie glaube
ich alle Müllabfuhren dieser Welt, nehmen die professionellen Abfallentsorger nichts
mit, dass nicht ordnungsgemäß entsorgt worden ist. Das müssten die behüteten
Küken aber erlebt haben, oder wenigstens einmal erzählt bekommen haben. Fakt
ist, das Ding liegt immer noch herum, nach zwei Wochen. Jetzt allerdings im Vorgarten
drei Häuser weiter.
Zu beobachten gibt es diesbezüglich
genug. Auch in unserer Nachbarschaft. Fährt der städtische Müllwagen in eine
Wohnstraße ein, wird er wie ein großer Meeressäuger im Ozean von kleineren Fischen
umschwärmt und begleitet. Diese Trabanten profitieren von seinem Auftauchen und
verwerten seine Nebenprodukte. So treibt jeder Coloniawagen eine Schar
Müllsammler vor sich her. In gewissen Respektabstand zu dem großen LKW und
seiner afroamerikanischen Besatzung parken zernutzte PKWs am Straßenrand, den
Beifahrersitz, die Rückbänke und die Kofferräume voll mit prallen schwarzen
Müllsäcken. Die größtenteils farbigen Lenkerinnen und Fahrer dieser Autos eilen
flink zwischen den auf dem Gehsteig zur Abholung bereit gestellten Mülltonnen
hin und her und sortieren die Wertstoffe heraus. Das heißt, die Glasflaschen,
Aludosen und anderes, das bei Recyclingmaschinen, Mistsammelplätzen oder im
Wertstoffhof zu Geld gemacht werden kann. Und das ist eine ganze Menge. Außer
aus Fernsehberichten aus den Neunzehnhundertfünfzigerjahren kannte ich das
Geschäft eines in Wien so genannten Reifenschusters nicht, hier gibt es sie
noch (oder wieder?) die Gebrauchtreifenhändler.
Off topic: Schnee! |
Außer den Menschen, die sich um
zu überleben auf die Nische des Wertstoffsammelns spezialisiert haben, schert
sich scheinbar niemand um Recycling. Juliane und ich hatten, wie wir es von
daheim gewohnt sind, alle Glasflaschen und Getränkedosen separat gesammelt.
Unsere prallen Säcke wollten wir bei der Pfandrückgabestelle eines Supermarktes
leeren. Wir kamen mit einem Kofferraum voll damit auf dem Parkplatz an und
wurden gleich seltsam beäugt. Der Raum mit dem Pfandrückgabegerät stank
bestialisch. Die Maschine wurde offenbar nie gereinigt, nicht einmal mit einem Schlauch
abgespritzt. Der einzige Zeitgenosse, der sich ebenfalls in den von
Gärungsgasen stickigen Raum verirrt hatte, war ein schwarzer Obdachloser. Der Mann
roch selbst streng, aber zeigte sich ausgesucht höflich und hilfsbereit. Das
Gerät war natürlich voll, kein Angestellter fühlte sich zuständig, das Ding zu
warten und/oder auszuleeren. Immerhin kannte der nette Obdachlose alle Tricks
und Kniffe, das technische Gerät zur Zusammenarbeit zu nötigen. Trotzdem, mit
unseren Säcken hätten wir den halben oder sogar ganzen Tag damit verbracht,
unser Leergut zurückzugeben. Also fragte Juliane den Obdachlosen, ob sie ihm
unsere Flaschen und Getränkedosen schenken durfte. Der Mann hatte schließlich
auch seinen Stolz, dem man, wie es sich hierzulande gehört, mit Respekt zu
begegnen hatte. Er hat sich sehr gefreut. Ich schätze mal, dass er nach einem
Tag Arbeit rund fünf bis zehn Dollar mit unserem Abfall verdient haben wird. Das
nächste Mal werden wir unsere Säcke gleich einer oder einem der Müllsammler aus
dem Tross der Müllabfuhr anvertrauen und uns den Weg zum Supermarkt ersparen.
Auf Recycling legt man hier scheinbar keinen Wert. Oder man rechnet es den
Obdachlosen und Armen zu. Ein Blick auch in die mitteleuropäische Zukunft? Flaschensammeln
dient mancherorts ja bereits als Renten- bzw. Pensionsaufbesserung.
Dafür gleich danach das
Kontrastmittel. Ich lenkte den gemieteten SUV vom Supermarktparkplatz auf die
zugehörige Tankstelle. Natürlich vollautomatisiert und von den Bildschirmen an
den Zapfsäulen brüllte mich Werbung für billige Kredite an. Tanken ist bei der
Miete für ein ZIP-Car enthalten, funktioniert via Chipkarte und Code. Aus
Gewohnheit habe ich mitgeschaut, wie viel Benzin in den Tank floss, und wie
viel er gekostet hat. Große Freude, der Sprit erwies sich als extrem billig.
Anders könnte man sich die US-amerikanischen Motoren mit Hubräumen zwischen
drei und vier Litern nicht leisten. Und da fiel es mir wie Schuppen von den
Augen, ich „bezahlte“ ja gar nicht per Liter. Ich bezahlte nach Gallonen! Das
bedeutete eine US-amerikanische Flüssiggallone entsprach rund 3,8 Litern! Ich
zahlte für fast vier Liter Benzin weniger als für einen Liter in Österreich. In
etwa bloß ein Viertel. Da wunderte es mich auch nicht mehr, das unsere Heizung bei
Kälte ununterbrochen heiß bleiben konnte. Alles in allem lösten sich dadurch alle
meine Fragen zu US-amerikanischer Umweltpolitik in Rauch auf.
Buchten wir uns in New Haven
einen Uber, konnte ich beobachten, dass ausnahmslos alle Autos zwar
Gebrauchtwagen, aber aus dem Hochpreissegment waren. Entweder deutsche
Limousinen oder SUVs. Und wirklich bei allen leuchtete das
Motorblock-Alarmzeichen auf dem Armaturenbrett. Mit einer einzigen Ausnahme,
einem neuen Jeep-Wrangler, der einem Studenten gehörte, der als Uber-Fahrer
arbeitete, um seine Raten für den Wagen abzubezahlen. Bisher war dieser nette
junge Mann der einzige Student, der neben seinem Studium gearbeitet hat. Aus
all dem schließe ich, dass die meisten der hiesigen Uber-Fahrer mit den
Fahrtendiensten ihre Autokaufraten abbezahlen und sich den Weg zum Service in
die Werkstatt trotzdem nicht leisten können. Um sein Gewissen zu beruhigen,
weil man überhaupt einen Uber bucht, raten jetzt einige, man solle einfach nach
jeder Fahrt mehr Trinkgeld geben. Das ist zwar gutgemeint, aber selbst alle
Trinkgelder zusammen können keine Kranken- und Sozialversicherung ersetzen. Ich
weiß, wovon ich rede. Bei der Lektüre meiner monatlichen Krankenhausabrechnung
wird mir jedes Mal schwarz vor Augen. Und mein Konto sieht Rot. Somit schließt
sich der Kreis zum Flaschensammeln…
Fortsetzung folgt…
Mehr Schnee! |