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Samstag, 9. Dezember 2017

Ein Ösi in Connecticut (Teil 21)

Teil 21: Es schneit!


Frohen und gesegneten Advent!
Es schneit und schneit und schneit. Und wie es aussieht, nimmt das sobald kein Ende. White Christmas steht vor der Tür. Vorgestern sind die in den Boden gesteckten neonfarbigen Rundhölzer am Straßenrand aufgetaucht, der Himmel sah nach Schnee aus, und als im Waldviertel aufgezogener Mensch habe ich mir gedacht: „Oha! Schneewehen im Kommen!“ Gestern wurde dann dieselbe Wetterwarnung wie vor dem letzten Regensturm bekannt gegeben, und damit war klar, der Winter Neuenglands wird uns dieses Wochenende erstmals sein kaltes und eisiges Hinterteil zeigen. Zuletzt hatten wir bei Temperaturen um die 10° Celsius und prächtigem Sonnenschein gescherzt, ob wir überhaupt jemals wieder Schneefall in Connecticut erleben würden. Allen allerhöchsten Dementis eines Klimawandels zum Trotz. Heute schaut die Welt schon wieder anders aus: Wenn nur die Hälfte der zuletzt erlebten Regenmassen als Schnee vom Himmel fällt, dann sind wir Sonntagabend futsch, im Schnee begraben. Und wirklich nach nur wenigen Stunden, sieht es bei uns aus wie im Winter Wunderland. Ich bin überrascht, wie gut die Holzhäuser, die Wände aus Latten und Papier, den geänderten Wetterbedingungen trotzen. Die Heizung läuft zwar rund um die Uhr, und Tauwasser plätschert munter von der Dachtraufe, aber Energiefragen wie etwa -kosten oder -effizient sind ohnedies kein Thema. Dicke Schneeflocken fallen dicht vom silbergrauen Himmel. Und die Pracht blieb auch tatsächlich liegen. Eine weiße Decke breitete sich freundlich über kahle Bäume und braungescheckte Wiesen. Deutlich sieht man Tierspuren im Weiß. Jetzt trauen sich auch diejenigen ans Tageslicht, die sonst nur in der Nacht oder zur Dämmerung unterwegs gewesen waren. Endlich habe ich meinen ersten lebendigen US-amerikanischen Waschbären erblickt. Das Verkehrsopfer neben dem Highway zählte ich nicht, mich machen nur lebendige Sichtungen froh.
Neben den Eingangstüren und auf den Veranden stehen schon länger Schneeschaufeln bereit. Inzwischen tauchte bei mir der Gedanke auf, wer diese wohl benutzen wird? Oder wer das Stiegenhaus aufwaschen wird, nachdem wir Mieter alle mit unseren matschigen Schuhen die Holztreppen rauf und runter gelaufen sein werden? Die Antwort, basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen, gefällt mir nicht. Wenn es nicht Juliane tun wird, wird es keiner machen! Und das schmeckt mir gar nicht. Sollte es wirklich nicht anders gehen, sich keiner der kräftigen jungen Herren bequemen, die Schaufel oder den Wischmopp zu schwingen, werde ich mir eben die Schneeschaufel unter den Arm klemmen und so schippen. Ich bin ja auch der Erste, der gegebenenfalls auf den Brettern der Frontveranda ausrutscht. Aber ich hoffe, das wird nicht nötig werden. Ich rechne damit, dass unsere Vermieter, jemanden vorbeischicken werden. Dieser Wesenszug mancher junger US-Amerikaner, dass wenn es nicht die Mutti macht, oder der freundliche Schwarze oder Latino mit dem Truck, macht es keiner, den finde ich – freundlich ausgedrückt – sehr bedenklich. Zum Beispiel hat der Wind eine Isomatte in den Rasen des Nachbargrundstückes geweht. Woher das Ding kam, wissen die Götter. In einem Anfall von Geschäftigkeit hat ein Nachbar eigenhändig die Isomatte neben die Mülltonnen gestellt. Aber wie glaube ich alle Müllabfuhren dieser Welt, nehmen die professionellen Abfallentsorger nichts mit, dass nicht ordnungsgemäß entsorgt worden ist. Das müssten die behüteten Küken aber erlebt haben, oder wenigstens einmal erzählt bekommen haben. Fakt ist, das Ding liegt immer noch herum, nach zwei Wochen. Jetzt allerdings im Vorgarten drei Häuser weiter.
Zu beobachten gibt es diesbezüglich genug. Auch in unserer Nachbarschaft. Fährt der städtische Müllwagen in eine Wohnstraße ein, wird er wie ein großer Meeressäuger im Ozean von kleineren Fischen umschwärmt und begleitet. Diese Trabanten profitieren von seinem Auftauchen und verwerten seine Nebenprodukte. So treibt jeder Coloniawagen eine Schar Müllsammler vor sich her. In gewissen Respektabstand zu dem großen LKW und seiner afroamerikanischen Besatzung parken zernutzte PKWs am Straßenrand, den Beifahrersitz, die Rückbänke und die Kofferräume voll mit prallen schwarzen Müllsäcken. Die größtenteils farbigen Lenkerinnen und Fahrer dieser Autos eilen flink zwischen den auf dem Gehsteig zur Abholung bereit gestellten Mülltonnen hin und her und sortieren die Wertstoffe heraus. Das heißt, die Glasflaschen, Aludosen und anderes, das bei Recyclingmaschinen, Mistsammelplätzen oder im Wertstoffhof zu Geld gemacht werden kann. Und das ist eine ganze Menge. Außer aus Fernsehberichten aus den Neunzehnhundertfünfzigerjahren kannte ich das Geschäft eines in Wien so genannten Reifenschusters nicht, hier gibt es sie noch (oder wieder?) die Gebrauchtreifenhändler.
Off topic: Schnee!
Außer den Menschen, die sich um zu überleben auf die Nische des Wertstoffsammelns spezialisiert haben, schert sich scheinbar niemand um Recycling. Juliane und ich hatten, wie wir es von daheim gewohnt sind, alle Glasflaschen und Getränkedosen separat gesammelt. Unsere prallen Säcke wollten wir bei der Pfandrückgabestelle eines Supermarktes leeren. Wir kamen mit einem Kofferraum voll damit auf dem Parkplatz an und wurden gleich seltsam beäugt. Der Raum mit dem Pfandrückgabegerät stank bestialisch. Die Maschine wurde offenbar nie gereinigt, nicht einmal mit einem Schlauch abgespritzt. Der einzige Zeitgenosse, der sich ebenfalls in den von Gärungsgasen stickigen Raum verirrt hatte, war ein schwarzer Obdachloser. Der Mann roch selbst streng, aber zeigte sich ausgesucht höflich und hilfsbereit. Das Gerät war natürlich voll, kein Angestellter fühlte sich zuständig, das Ding zu warten und/oder auszuleeren. Immerhin kannte der nette Obdachlose alle Tricks und Kniffe, das technische Gerät zur Zusammenarbeit zu nötigen. Trotzdem, mit unseren Säcken hätten wir den halben oder sogar ganzen Tag damit verbracht, unser Leergut zurückzugeben. Also fragte Juliane den Obdachlosen, ob sie ihm unsere Flaschen und Getränkedosen schenken durfte. Der Mann hatte schließlich auch seinen Stolz, dem man, wie es sich hierzulande gehört, mit Respekt zu begegnen hatte. Er hat sich sehr gefreut. Ich schätze mal, dass er nach einem Tag Arbeit rund fünf bis zehn Dollar mit unserem Abfall verdient haben wird. Das nächste Mal werden wir unsere Säcke gleich einer oder einem der Müllsammler aus dem Tross der Müllabfuhr anvertrauen und uns den Weg zum Supermarkt ersparen. Auf Recycling legt man hier scheinbar keinen Wert. Oder man rechnet es den Obdachlosen und Armen zu. Ein Blick auch in die mitteleuropäische Zukunft? Flaschensammeln dient mancherorts ja bereits als Renten- bzw. Pensionsaufbesserung.
Dafür gleich danach das Kontrastmittel. Ich lenkte den gemieteten SUV vom Supermarktparkplatz auf die zugehörige Tankstelle. Natürlich vollautomatisiert und von den Bildschirmen an den Zapfsäulen brüllte mich Werbung für billige Kredite an. Tanken ist bei der Miete für ein ZIP-Car enthalten, funktioniert via Chipkarte und Code. Aus Gewohnheit habe ich mitgeschaut, wie viel Benzin in den Tank floss, und wie viel er gekostet hat. Große Freude, der Sprit erwies sich als extrem billig. Anders könnte man sich die US-amerikanischen Motoren mit Hubräumen zwischen drei und vier Litern nicht leisten. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ich „bezahlte“ ja gar nicht per Liter. Ich bezahlte nach Gallonen! Das bedeutete eine US-amerikanische Flüssiggallone entsprach rund 3,8 Litern! Ich zahlte für fast vier Liter Benzin weniger als für einen Liter in Österreich. In etwa bloß ein Viertel. Da wunderte es mich auch nicht mehr, das unsere Heizung bei Kälte ununterbrochen heiß bleiben konnte. Alles in allem lösten sich dadurch alle meine Fragen zu US-amerikanischer Umweltpolitik in Rauch auf.
Buchten wir uns in New Haven einen Uber, konnte ich beobachten, dass ausnahmslos alle Autos zwar Gebrauchtwagen, aber aus dem Hochpreissegment waren. Entweder deutsche Limousinen oder SUVs. Und wirklich bei allen leuchtete das Motorblock-Alarmzeichen auf dem Armaturenbrett. Mit einer einzigen Ausnahme, einem neuen Jeep-Wrangler, der einem Studenten gehörte, der als Uber-Fahrer arbeitete, um seine Raten für den Wagen abzubezahlen. Bisher war dieser nette junge Mann der einzige Student, der neben seinem Studium gearbeitet hat. Aus all dem schließe ich, dass die meisten der hiesigen Uber-Fahrer mit den Fahrtendiensten ihre Autokaufraten abbezahlen und sich den Weg zum Service in die Werkstatt trotzdem nicht leisten können. Um sein Gewissen zu beruhigen, weil man überhaupt einen Uber bucht, raten jetzt einige, man solle einfach nach jeder Fahrt mehr Trinkgeld geben. Das ist zwar gutgemeint, aber selbst alle Trinkgelder zusammen können keine Kranken- und Sozialversicherung ersetzen. Ich weiß, wovon ich rede. Bei der Lektüre meiner monatlichen Krankenhausabrechnung wird mir jedes Mal schwarz vor Augen. Und mein Konto sieht Rot. Somit schließt sich der Kreis zum Flaschensammeln…


Fortsetzung folgt…

Mehr Schnee!